piwik no script img

Entsetzen und Zynismus im Kaffeehaus

Etwa 50 österreichische Künstler trafen sich im Kreuzberger Exil zu einem „Protestfrühstück“

Österreichische Künstler reagieren auf ihre Art auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ in ihrem Heimatland: Etwa 50 Künstler trafen sich gestern mittag im Kreuzberger Café „Jolesch“, das von einer Österreicherin betrieben wird, zu einem „Protestfrühstück“. Bei Käsehäppchen, Kaffee und Bier diskutierten sie die politische Entwicklung in dem Alpenland.

Die Idee dazu sei „relativ spontan“ entstanden, sagte die Initiatorin Martina Barthelmes. Innerhalb eines Tages habe sich die Nachricht von dem Treffen herumgesprochen. „Wir wollen überlegen, was wir als Künstler tun können – vor allem gegen die trotzige Haltung der Österreicher gegenüber dem Ausland.“ In ruhiger Kaffeehausatmosphäre sprachen die Exilösterreicher über ihr Entsetzen: Von einem „Albtraum“, einer „Hetzjagd gegen Intellektuelle“, dem „Marionettenkabinett Haiders“ und einer „scheußlichen Volksgemeinschaft“ war die Rede.

Die Künstler einigten sich auf einen Fragenkatalog, der deutschen Journalisten als Hilfestellung für Diskussionen mit Haider dienen soll. „Jeder blöde Fernsehsender lädt Haider derzeit ein“, hieß es, und habe dem extrem rechten Österreicher nichts Fundiertes entgegenzusetzen. Haider müsse nach Auffassung der in Berlin lebenden Künstler zu seiner Meinung über eine „Wiedervereinigung mit Deutschland“, zu Gerüchten über seine „geheime homosexuelle Veranlagung“ und über Erfahrungen mit Drogen befragt werden. Außerdem solle er die Finanzierung seiner Partei offenlegen und erklären, ob die FPÖ „finanzielle Zuwendungen“ von Gerhard Frey, dem Chef der rechtsextremistischen Deutschen Volksunion, erhalte.

Ein Theaterbetreiber berichtete von seinen Erfahrungen in Kärnten, wo der FPÖ-Chef Haider 1990 das Amt des Landeshauptmanns übernahm: „Nach außen gibt man sich pluralistisch, aber ich musste mein Theater aus politischen Gründen schließen“, sagte er. Deshalb sei er „über Nacht“ ausgewandert. Derzeit müsse „von außen so viel Druck wie möglich“ auf die österreichische Regierung ausgeübt werden. Die Reaktionen der EU bezeichneten die Künstler dagegen als „überzogen“. Die Alternativen aber fehlen: Künstler und Medien in der Alpenrepublik würden sich nicht trauen, offen Kritik zu äußern, weil ihnen dann die Gelder gestrichen würden.

Einige der Anwesenden flüchteten sich in Zynismus: Man könne der Koalition auch etwas Positives abgewinnen, erklärte einer. Die unter einen „riesigen Teppich“ gekehrte Vergangenheit könne nun nicht mehr ignoriert werden: „Österreich zeigt endlich seine wahre Fratze.“ Dirk Hempel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen