: Putin erklärt Grosny für erobert
■ Die tschetschenischen Kämpfer formieren sich neu beim Rückzug in die Berge. Human Rights Watch wirft den russischen Truppen Massaker an Zivilisten in Grosny vor
Moskau (AP/taz) – Der amtierende russische Präsident Wladimir Putin hat gestern den Sieg seiner Truppen in der monatelangen Schlacht um Grosny erklärt. Die Stadt sei vollständig unter russischer Kontrolle, sagte er laut einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass. „Was die Lage in Tschetschenien betrifft, kann ich folgendes sagen: Vor einiger Zeit ist die letzte Bastion des Widerstands der Terroristen gefallen, der Sawodskoi-Bezirk in Grosny“, sagte Putin. „Wir können also sagen, dass die Operation zur Befreiung Grosnys beendet ist.“
Schon vor Putins Erklärung hatten tschetschenische Widerstandsgruppen nach dem aufgegebenen Kampf um Grosny am Wochenende versucht, sich für die von ihnen angekündigte neue Phase des Guerillakriegs neu zu formieren. Einer ihrer bekanntesten Führer, Schamil Bassajew, entkam verletzt in die Berge im Süden der Kaukasusrepublik. Im Fernsehen wurde gezeigt, wie ihm in dem westtschetschenischen Dorf Walerik der rechte Fuß amputiert wurde.
Aus der verwüsteten tschetschenischen Hauptstadt entkamen seit vergangenem Montag 2.000 bis 3.000 tschetschenische Kämpfer. In einem von russischen Truppen gelegten Minenfeld wurden Dutzende getötet oder schwer verwundet, darunter auch Bassajew. Dennoch schlugen sich viele bis in westtschetschenische Dörfer wie Walerik, Sakan-Jurt und Gechi-Tschu durch. Dort wurden sie von Kämpfern aus dem Süden in Empfang genommen, die sie in die Stützpunkte im Gebirge führen wollten. Russische Kampfhubschrauber und Jagdbomber flogen dort am Wochenende über 50 Angriffe, teilten Militärsprecher mit.
Im Westen versuchten unterdessen viele Zivilisten, angesichts der Kämpfe nach Inguschetien zu entkommen. Laut Itar-Tass seien im Dorf Schaami-Jurt 250 Partisanen eingekesselt worden. Ein Ausbruchsversuch sei zurückgeschlagen und 150 Tschetschenen getötet worden. Doch auch die russischen Truppen erlitten Verluste: Bei Katyr-Jurt sei eine Spezialeinheit am Samstag von 1.000 Tschetschenen angegriffen und in die Flucht geschlagen worden. Drei Soldaten seien getötet und sechs verwundet worden. Ein geflohener Einwohner der Ortschaft Samaschki sagte, die Soldaten hätten bei ihrem Eintreffen die Straßen übersät mit Leichen gefunden, nachdem die Streitkräfte den Ort bombardiert hatten. Die Soldaten hätten die toten Zivilisten mit Lastwagen weggebracht.
Aus Grosny wurden nur noch vereinzelte Kämpfe gemeldet. Die russischen Streitkräfte rückten weiter in die Stadt vor und stießen dabei nach Militärangaben kaum auf Widerstand. Der stellvertretende russische Generalstabschef, Generaloberst Waleri Manilow, sagte im Sender NTW, sobald Grosny vollständig unter Kontrolle sei, werde das Gros der Einheiten in den Süden verlegt.
Die Organisation Human Rights Watch beschuldigt die russischen Truppen der Ermordung von Zivilisten, meldete gestern die britische BBC. Human Rights Watch lägen die Namen von 36 Personen vor, die in Grosnys Staropromyslovsky-Bezirk nach Anaben tschetschenischer Augenzeugen von plündernden russischen Soldaten massakriert worden seien. BBC zitierte eine Frau, die ein Massaker an Zivilisten in einem Keller überlebte, in dem sie sich tot stellte. Unklar ist weiterhin das Schicksal des Reporters Andrej Babizki. Russische Truppen hatten ihn am Donnerstag angeblich an tschetschenische Kommandeure übergeben. Die tschetschenischen Kämpfer bezeichnen die Aufgabe Grosnys als taktische Entscheidung. Sie könnten aus der Deckung des Gebirges ihren Guerillakrieg wirkungsvoller führen, hieß es aus ihren Kreisen.
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