: Aus Stress und Überforderung ins Unglück gerast
Der Unfall in Brühl weckt Erinnerungen an Eschede. Schuld ist meist der Mensch, nicht die Technik. Personalabbau bei der Bahn erhöht dieses Gefahrenpotenzial noch erheblich
Das schwere Zugunglück in Eschede am 3. Juni 1998 ist noch in zu frischer Erinnerung, als dass nicht jeder sofort daran denkt, wenn er die Nachrichten aus Brühl hört. Damals starben 101 Menschen, 88 wurden verletzt, diesmal sind es neun Tote oder mehr, dazu 50 Verletzte. Die Frage bleibt dieselbe: Wer oder was ist schuld an solchen Unfällen, inwieweit sind sie zum Beispiel durch eine Erhöhung der Sicherheit vermeidbar?
Im Falle des Brühler Unglücks konnte zumindest eine Mitursache offensichtlich schnell geklärt werden. Der Lokführer hatte den D-Zug mit dem Dreifachen der erlaubten Geschwindigkeit über die Schienen gejagt. In diesem Fall waren es also keine Sicherheitsmängel, nach denen schnell gefragt und gesucht wird, sondern menschliches Versagen. Der schwere Unfall in Eschede dagegen konnte, wie monatelange Untersuchungen ergaben, auf verschiedene Mängel zurückgeführt werden: Die Einführung ungeeigneter, gummigefederter ICE-Räder sei schuld gewesen, ergab ein Gutachten des Fraunhofer-Institutes. Und: Zwar hatten Computer die Reparaturbedürftigkeit bei einem Rad angezeigt, aber trotzdem wurde es nicht ausgewechselt.
In der Folge investierte die Bahn nach eigenen Angaben drei Millionen Mark in Sicherheitsmaßnahmen. Ausschließen können wird sie einen Unfall trotzdem nie: 70 Prozent der durchaus zahlreichen Unfälle – 4.320 waren es laut einem Spiegel-Bericht allein 1998 – sind auf das Verschulden Dritter zurückzuführen, durch Fehlverhalten an Bahnsteigen und Schranken. Ein Fünftel der Unfälle verursachen Betriebsangehörige, zuletzt sind es technische Mängel.
Die Realität dieser Zahlenstatistik sind übersehene Haltesignale, überhöhte Geschwindigkeit, halb geschlossene Schranken, Fehler im Fahrplan, falsche Zugmeldungen. Weder die Unfälle noch die Mängel sind einzigartig für Deutschland – noch im Januar stießen in Norwegen zwei Züge zusammen und fingen Feuer, 19 Menschen starben.
Jeder Fehler, technisch oder menschlich vermeidbar, rächt sich in dem Massentransportmittel Bahn sofort. In dem Bericht des Spiegel beklagten Bahnmitarbeiter deswegen auch die massiven Stellenkürzungen in den vergangenen Jahren, die letzlich zur Überforderung einzelner Mitarbeiter führt, zu mangelhaften Kontrollen und Fehlentscheidungen. Angesichts solcher Klagen und solcher Konsequenzen dürften die Vorstellungen von Bahnchef Hartmut Mehdorn, Kosten zu sparen – auch durch Entlassungen –, um sein Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen, nach diesem neuen Unglück nicht einfach umzusetzen sein. Maike Rademaker
Siehe auch Bericht Seite 4
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