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„Durchgeknallter Potentat“ Scherf

■ Die Umweltsenatorin schweigt zu Scherfs Eiswett-Rede, BUND und Grüne reagieren um so schärfer: Ausfälle gegen EU-Naturschutzrecht und gegen die Expo

„Da gibt es nichts zu dementieren“, sagt Senatssprecher Klaus Schloesser. Die Eiswett-Gästerede von Bürgermeister Henning Scherf (SPD), die der Weser Report am Sonntag in Auszügen abdruckte, ist auf Video aufgezeichnet. „Weddewarden muss sich darauf einrichten, dass wir den Containerterminal 4 bauen“, hatte Scherf da erklärt. „Denn hier gehen Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum vor Froschkulturen - oder wie heißen die Schlammpeitzger? Das ist die neueste Erfindung unserer Öko-Leute. Die erfinden ständig neue schützenswerte Tiere. Das Beste gegen den Schlammpeitzger sind übrigens Hechte. Die sind, glaube ich, auch geschützt. Die fressen die nämlich auf.“

„Stehende Ovationen nach seiner Gästerede“ habe der Regierungschef erhalten, berichtete der Weser Kurier Mitte Januar. Aber was Scherf vor der geschlossenen Eiswett-Gesellschaft am 16.1. gesagt hatte, das stand da nicht.

Umweltsenatorin Tine Wischer (SPD) schweigt über Scherfs Rede. „Vor Weddewarden werden keine Schlammpeitzger von Hechten gefressen“, stellt Sprecher Olaf Joachim aus rein fachlicher Sicht fest. Es gibt im Brackwasser vor Weddewarden keine Schlammpeitzger. „Reden vor so einer Männergesellschaft“ seien in der Umweltbehörde ansonsten kein Thema.

Auch aus Kreisen der SPD, über deren umweltpolitische Positionen sich Scherf vor der Eiswett-Herrengesellschaft lustig machte, gab es nur sprachloses Schweigen.

Dass Hechte auch Schlammpeitzger fressen, sei genauso normal wie die Tatsache, dass Flora und Fauna bei Weddewarden wie im Hollerland eindeutig die Kriterien der „Flora-Fauna-Richtlinie“ der EU erfüllen, also nach geltendem Recht als schützenswerte Gebiete gemeldet werden müssen, sagt der BUND-Vertreter Martin Rode. Da seien offenbar „Schlammwerfer im Rathaus“ am Werk, kommentiert er die Rede von Scherf. Es mute „hysterisch“ an, „mit welcher Entschlossenheit fachlich vollständig abgesicherte Erkenntnisse über Vorkommen und Bedeutung von Tieren und Pflanzen“ in Abrede gestellt würden: „Es geht um die Erfüllung europäischer Rechtsnormen.“

Für den Bürgerschaftsabgeordneten Matthias Güldner (Grüne) hat Scherf mit seiner Rede „die Restbestände von politischer Rücksichtnahme auf die eigene Partei und die eigenen Senatoren“ über Bord geworfen. „Scherfs Charakter(schwäche)“ sei in der Stimmung der Eiswettgesellschaft deutlich wie selten geworden: „Hochmut, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung“, eben ein „durchgeknallter Potentat“. Als „Scherfismus“ sei schon früher die skrupellose Machtpolitik Scherfs bezeichnet worden. „Als es für die linke, ökologische Rolle der SPD nützlich war, Kaffee in Nicaragua zu pflücken und von nachhaltiger Entwicklung zu reden“, habe Scherf es gemacht. Jetzt, wo andere Kreise ihn stützen, appelliere er an die „niedersten Instinkte höherer Herren. Seine Freundlichkeit stellte ihre Kälte schon immer durch ihre Beliebigkeit unter Beweis.“

Für Güldner geht es um mehr als um den Naturschutz und den Schlammpeitzger. Scherf habe sich genauso über Nachbar-Bundesländer lustig gemacht wie über den Naturschutz. Am Bremer Flughafen, so Scherf in seiner Rede, „da ist nicht eine Betonkiste neben die andere geknallt worden wie bei der Expo.“ Und als ob das nicht deutlich genug gewesen wäre in der bierseligen Stimmung, sattelte Scherf drauf: „Haben Sie schon mal das Expo-Gelände gesehen? Da laufen Sie weg. Da ist eine Kiste neben der anderen.“ Güldner dazu: „Bremen kann vieles brauchen, aber keinen durchgeknallten Bürgermeister, der Kriegserklärungen an benachbarte Bundesländer schickt.“ Es gehe dabei auch um die „guten Sitten“ in Bremen. K.W.

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