Friedlichste Kanone der Welt

■ Bremens Fallturm bekommt ein Katapult/Damit verdoppelt sich die Zeit für die wissenschaftlichen Experimente in der Schwerelosigkeit auf immerhin neun Sekunden

In Zukunft wird im Bremer Fallturm auch geschossen: Und zwar mit der „größten, friedlichsten Kanone der Welt“, freut sich Institutsleiter Hans Rath. Statt 4,5 Sekunden Schwerelosigkeit im freien Fall könnte die Wissenschaft durch hochschießen und anschließendes runterfallen bald neun kostbare Sekunden Schwerelosigkeit für ihre Experimente nutzen.

Der erste Bauabschnitt für die Kanone steht schon. Und eigentlich sollte der Presse gestern das Modell der Katapult-Anlage vorgeführt werden. Versuchsweise mit Golfbällen, weil die trotz der 170 Stundenkilometer heile bleiben sollen. Aber draußen schlägt der Sturm Böen mit Windstärke zehn. Der Fallturm schwankt also. Und zwar reichlich. Menschen macht das seekrank. Experimente fallen ganz flach. Zu ungenau wären die Messungen.

Und während der Turm schwankt, erzählt Rath vom „weltweit ersten Hightech-Katapult“, das vielleicht in einem Jahr mit 170 Stundenkilometer Fallkapseln von einer halbe Tonne nach oben schleudern wird. Bevor sie das Dach der Fallröhre aber auch nur ankratzen könnten, stürzen sie schon wieder nach untern. Und krachen wenige Sekunden und 120 Meter später ins Styropor. Zweimal tief Einatmen – neun Sekunden – und das Experiment in der „perfekten Schwerelosigkeit“ im Bremer Fallturm ist schon zu Ende.

Bislang hatten die Forscher für den freien Fall nur 4,74 Sekunden. Und das, „ist nicht so besonders lang“, räumt Mitarbeiter Hansjörg Dittus ein. Mit der doppelten Zeit vervielfältigen sich die Experimentiermöglichkeiten, die mittels Video (200 Bilder pro Sekunde) festgehalten werden und „abendfüllende Filme“ liefern, meint Dittus.

Für „normale irdische Beobachter“ können die Fallgesetze im Turm ganz schön verzwickt sein. Zwischen Hochschießen und Runterfallen gibt es in der Schwerelosigkeit keinen Unterschied. „Würde ein Mensch in der Fallkapsel sitzen, merkt er nicht, ob es hoch oder runter geht“, erklärt Rath.

Fall-Turm-Astronauten wird es trotzdem nicht geben. Tiere in Fallkapseln auch nicht. „Der Aufprall wäre sicherlich tödlich“, meint Rath. „Das ist wie ein Kleinwagen, der mit 170 gegen die Wand fährt“, erklärt auch Dittus.

Nur Einzeller haben bislang den freien Fall überstanden. Das Pantoffeltierchen zum Beispiel ist schon häufiger durch den Bremer Fallturm gesegelt. Biologen wollten testen, ob auch Einzeller Schwerelosigkeit erkennen können. Das können nicht alle Einzeller. Der Versuch hat aber gezeigt, dass sich Pantoffeltierchen am Licht und an der Schwerkraft orientieren. Als sie nämlich nach 4,7 Sekunden unten ankamen, waren die Amöben „völlig orientierungslos“ und hätten die Schwerkraft „deutlich vermisst“, erzählt Dittus. Daraus können Biologen vielleicht erklären, wann Schwerelosigkeit in der Evolutionsgeschichte in das Orientierungssystem der Einzeller eingebaut wurde. Geforscht wird zum Beispiel auch an der Selbstzündung von Brennstoff. Das könnte später mal Sprit und Umweltgifte sparen.

Rund 350 „Abwürfe“ gibt es pro Jahr. Geplant war die Verdopplung der Flugzeit eigentlich schon von Anfang an. Bis vor zwei Jahren hatte man noch eine Hightech-Zwille favorisiert. Dann kam die Idee mit der Kanone, die immerhin sechs Millionen Mark teuer ist. Anfang 2001 soll „der erste Schuss“ getan werden. Aber noch sind längst nicht alle Schussprobleme gelöst: Der Kolben zum Beispiel: 47 Meter pro Sekunde muss der schaffen. Sowas gibt es bislang nirgends. „Aber wir arbeiten daran.“

pipe