: One, two, g’suffa im Neo-Hofbräuhaus
Im Sony-Center eröffnete gestern das erste Berliner bayrische Hofbräuhaus. Statt boarischer Blasmusi und Dirndl gab’s Countryrockvom Band und Berliner Kellner. Die Gäste hätten es lieber zünftiger gehabt. Aber Hauptsache, es gab Bier ■ Von Kirsten Küppers
Denn nur a Bier, nur a Bier, nur a Bier willi hom,
sunst hau i olles zam, sunst hau i olles zam,
nur a Bier, nur a Bier, nur a Bier willi hom,
nur a Bier will i hom, sunst hau i olles zam.
August Junker, Münchner Volkssänger, 1907
Vielleicht haben die schuhplattelnden Laienschauspieler im Tokioter „Hofbräuhaus“ ihn verschreckt. Zwar begrüßte der japanische Chairman des Sony-Konzerns eine bajuwarische Gasthausbrauerei am Potsdamer Platz, aber zu zünftig sollte es dort nicht zugehen. So findet sich im gestern eröffneten Hofbräuhaus im Sony-Center kein Dirndl-Kitsch, stattdessen Glasfassade, Marmor und Halogenleuchten – und damit wohl authentischeres Bayern als in jedem Disneyland. Alpenländisches Unternehmertum im Stoiberschen Laptop-mit-Lederhosn-Sinne.
Moderne bajuwarische Gastlichkeit versöhnt mit kühler Neu-Berliner Architektur, alles fein abgestimmt zwischen Sony-Management und der Geschäftsführung des frischen Ablegers des bayrischen Hofbräuhauses Traunstein. 3,5 Millionen Mark haben die Traunsteiner hier investiert, um die „nördlichste bayerische Weißbierbrauerei“ zu eröffnen.
Dementsprechend nervös läuft Marketingleiter Michael Posch im Lodenjanker mit Handy am Ohr durch das dreistöckige Lokal und scheucht die Berliner Handwerker herum. Gleich muss er die Glastüren für das Publikum aufschließen und noch immer schnurrt der Aufzug nicht. Schon drücken sich vor dem Eingang Senioren in beigen Blousons herum. Ein Rentner aus Pankow läuft schon seit 10 Uhr auf dem zugigen Vorplatz auf und ab. Er will im Hofbräuhaus eine Schweinshaxe bestellen. Jetzt verzögert sich der Einlass auf 12 Uhr. Um potenzielle Stammgäste nicht zu verprellen, ist das Personal angewiesen, bei eventuellen Pannen am ersten Tag „Schnapserl“ an die Besucher zu verteilen. Dabei sollte doch zur Berlinale alles fertig sein, damit das blitzblanke Lokal die 12.000 Akkreditierten plus Publikum vom Cinemaxx gegenüber gleich zur Eröffnung abschöpfen kann. Dass man außerdem auf Touristen spekuliert, zeigt der international verständliche Aufdruck auf den Bierkrügen. Er fordert: „one, two, g’suffa“.
400 Gäste fasst das Gasthaus, im Sommer kommen 400 Sitzplätze auf der Terasse hinzu. Damit hat des Berliner Hofbräuhaus zwar locker oktoberfestmäßige Bierzeltkapazitäten, doch wer nach deren Wuchtigkeit sucht, wird sie an den edlen Kirschholztischen nicht finden. „Neobayrisch“ sei sein Lokal, erklärt der Chef Peter Wunderlich, was heißen soll: „Bayrisch, halt leicht großstadtverfremdet. Alles andere wäre zu heavy für Berlin.“
Der ehemalige Salzburger Steuerberater, der „immer einmal im Leben Wirt sein wollte“, setzt auf schlanke Barhocker mit Lodenüberzug statt auf krachlederne Hirschgeweihromatik. Im Souvenirshop in der Gaststube werden die obligatorischen Schneekugeln angeboten, aber der Gamsbart ist nur an einer Basecap befestigt zu haben.
Ganzer Stolz des Schankbetriebes ist die eigene Weißbierbrauanlage, die sich drei Etagen hoch türmt. Die üblicherweise verwandten Kupferkessel waren Wunderlich zu derb. Deshalb sind die Sudkessel aus Sterling-Silber. 500 Liter Weißbier werden in diesem weltweit einmaliger Luxus-Schnick-Schnack fabriziert. „Das Bier wird dadurch nicht besser“, gibt Marketingleiter Posch zu, „Trotzdem schwimmt auch hier noch dieser Mythos Hofbräuhaus mit rum.“
Auf eben diesen Mythos ist die Menschenmenge angesprungen. Sie steuert zielstrebig auf die Theke zu, als die Tür aufgeht. Die meisten Gäste sind von der schicken Athmosphäre etwas befremdet. „Reichlich cool“, findet eine Charlottenburger Rentnerin. „Eine zünftige Blaskapelle müsste schon sein“, motzt ein Mann mit Helmut-Schmidt-Mütze. Stattdessen tönt Countrygitarre aus den Decken-Lautsprechern. Der Chef verweist auf das Sommerfest im Juli, bei dem eine „urbayrische Showband“ auftreten soll, aber das tröstet nur wenig.
Ein Lichtenberger jedoch, mit Domäne-Plastiktüte, vermisst die alpenländliche Gemütlichkeit nicht. „Mir ist egal, wer hier aufmacht. Hauptsache, es gibt Bier. Ich bin ein großer Bierfan.“ Schnell füllen sich die Räume. En gros wandern Weißwurst-Terrinen aus der Küche. Ob hier genauso wie im Münchner Original amerikanische Touristengruppen aus Ohio Station machen werden, ist noch ungewiss. An diesem Tag sind vor allem Berliner da – und eine Familie aus Finsterwalde.
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