: Erst verwirrt, dann sauer
Beim 2:0 gegen Bielefeld staunt Herthas brasilianischer Millionen-Mann Alves über die komische Bundesliga ■ Von Bernd Müllender
Berlin (taz) – Komische Bundesliga: Da ist er zur großen deutschen Hauptstadt-Hertha gewechselt und sein Team wird vom abgeschlagenen Tabellenletzten aus der Bielefelder Provinz vorgeführt wie eine Laienspielerschar. In der ersten Halbzeit hatten die wirbelnden Arminen mehr Torchancen als Alex Alves Ballberührungen. Und als mit dem Halbzeitpfiff Bielefelds Weissenberger endlich traf, hatte der Seitenlinien-Assistent ein Einsehen mit der tumben Hertha und wedelte (falsches) Abseits.
Komisch: Stürmer sollte er doch spielen, der 25-jährige 15-Millionen-Mann. Aber spielt man Angreifer in Deutschland nicht an? Wie soll man da das Runde wenigstens mal kurz kontakten? Und ob Fußball in Brasilien auch so ungerecht ist? Mit der ersten Chance gingen die Berliner duselbeladen in Führung. Als sich zum Ende Konterräume boten, wurde Alex Alves ausgewechselt.
Er war erst verwirrt, dann sauer. Minutenlang stand er dampfend im Dauerregen und wusste nicht, wohin: In die Kabine? Auf die Bank? Dorthin setzte er sich schließlich, verweigerte aber beharrlich die wärmende Jacke, als sei er noch unter der Sonne von Belo Horizonte. Die 16 Minuten geraubter Spielzeit saß er auf der Bank dann nach und gab im längst leeren Olympiastadion Interviews. „Ja, ich habe ein Problem damit, dass ich schon wieder ausgewechselt worden bin. Das ist mir in Brasilien nie passiert.
Trainer Jürgen Röber wollte in der Kabine keinen Groll bei Alves bemerkt haben. Kein Spieler sei „glücklich, wenn es im Team nicht so läuft. Alex hatte halt irgendwann die Schnauze voll und hat sich die Bälle von hinten geholt. Aber sauer muss er nicht sein.“
Wie gut ist Alves? Bielefelds Gansauge beschattete ihn sicher. Als er gegen Preetz spielte, schoss der beide Tore. Abwehrspieler von Alemannia Aachen hatten nach dem Testspiel an der Algarve (1:1) über Alves geurteilt: „Von der Veranlagung her sicher ein Guter.“ Und: „Der ist schnell, will immer Haken schlagen, spielt aber manchmal ohne Kopf.“ Dieter Hoeneß, der Hertha-Manager, lobt ihn sehr: „Absolut wissbegierig, interessiert und neugierig“ sei Alves. „Aber wir müssen Geduld haben. Emerson, Keegan und Lerby haben in der Bundesliga auch ein halbes Jahr gebraucht.“ Immerhin: Alex Alves versuche „sehr engagiert, unsere Mentalität zu verstehen“.
Bei den Bielefeldern hätte er gleich Merkwürdiges lernen können: Die waren richtig aufgekratzt nach der Niederlage, die wohl dem Abstieg gleichkommt. Manager Heribert Bruchhagen scherzte mit Hermann Gerland („Na, Trainer, wieder verloren?“) und lauschte relaxt grinsend dessen Analyse: „Hertha hat uns leider nicht den Gefallen getan, ein paar Eigentore zu schießen.“ Zur Zukunft: „Jetzt müssen wir ein paar Kerzken anstecken.“
Hoeneß will bei Alves „den Vergleich mit seinem Preis“ nicht mehr hören, das sei „eben der Marktwert“ gewesen. Ein intimer Kenner der brasilianischen Fußballszene sagt indes zur taz: „Ein paar Monate früher hätte Alves nicht mal die Hälfte gekostet. Seine tolle Torquote in Brasilien rührt auch daher, dass da Spiele gegen ganz schwache Gegner mitzählen, wo man auch mal viermal in 90 Minuten trifft.“ Brasiliens Bielefelds sind wohl anders.
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