piwik no script img

Sich töten – nur wozu?

■ Im Haus im Park inszenierte Friederike Füllgrabe eine freie Theaterproduktion über die Gedichte der österreichischen Lyrikerin Hertha Kräftner, deren Lebensthema der Freitod war

Szenische Inszenierungen von Gedichten bedeuten oftmals eine Gratwanderung. Einerseits sollte die Lyrik erhalten bleiben und nicht zu einem Dramentext umgestaltet werden. Andererseits aber gilt es, die Langeweile zu verhindern, die durch die monologisierende Umsetzung des lyrischen Ichs droht.

In der Theaterproduktion „Der Flügelschlag des Schmetterlings“ über die vergessene Lyrikerin Hertha Kräftner, die nun im Haus im Park ihre Premiere feierte, gelingt Regisseurin Friederike Füllgrabe diese Gratwanderung durch einen einfachen Trick: Sie teilt das lyrische Ich in zwei Figuren, das innere und das äußere Wesen der Person. Das „Außen“ wird von Hauptdarstellerin Judica Albrecht, mal sitzend, mal umhergehend in der Bühnenmitte verkörpert; eine, in der Mode der 50er Jahre (enges, graues Kleid, rote Handtasche) gekleidete junge Frau. Das „Innen“ sitzt den gesamten ersten Teil der Aufführung, personifiziert als singende Akkordeonspielerin (Mechthild Hettich), an der rechten Bühnenseite. So sorgen nicht allein die musikalischen Darbietungen für atmosphärischen Ausdruck. Es sind durch diese Zweiteilung auch Dialoge möglich, die lange Monologe auflockern. Darüber hinaus aber bietet dieser Kunstgriff ein weites Interpretationsfeld: Auf diese Weise wird eine Darstellung von Differenzen zwischen Innerem und Äußerem im Umgang mit der Thematik Kräftners, dem Selbstmord möglich. Eine Interpretation, bei der zwangsläufig auch Hertha Kräftners eigener Selbstmord in das Blickfeld gerät.

Die österreichische Lyrikerin nahm sich 1951 im Alter von 23 Jahren das Leben. Die Motive ihres Selbstmordes hat sie weder in ihren Gedichten, noch in ihren Briefen benannt. Umso mehr thematisierte sie den Umgang mit dem Tod; ein abstrakter Liebhaber, den sie sehnsüchtig erwartete. So begleitet der Gedanke an den Freitod auch die lyrischen Vorträge in Füllgrabes Inszenierung von Anfang an; sei es in Zusammenhang mit Familienerinnerungen oder in Verbindung mit den bisher eingegangenen Liebesbeziehungen. Das personifizierte lyrische Ich sieht den Tod als einzigen Partner, dem es ewige Treue zu schwören vermag. Er ist der Liebhaber auf den es warten will: „Sich töten ... wozu? Das führt doch zu nichts! Das ist es – es führt zu nichts: da will ich hin!“.

Kräftner enthüllt die Ambivalenz herkömmlicher Redewendungen und die Fragwürdigkeit von Allgemeinplätzen: „Ich konnte nicht alles haben ... so will ich auch kein etwas“. Die Kenntnis ihrer Biografie verhilft der Inszenierung zu ihrer Glaubwürdigkeit. Man wartet allerdings auf eine substanzielle Botschaft, welcher Art auch immer; sei es die Benennung konkreter Motive, die dem Individuum keinen anderen Ausweg als den Tod lassen, sei es eine Begründung, worin der „Vorteil“ des Todes liegen mag oder ein Bericht über die Ergebnisse einer solchen seelischen Auseinandersetzung: Allein: man wartet vergeblich.

Worin die Ausweglosigkeit besteht, konnte allenfalls geahnt werden; eine Mischung aus dem Gefühl der Fremdbestimmung, der aufgezwungenen Passivität und immer wieder in die Schranken verwiesener Lebenslust. Ohne jegliche konkrete Vorstellung aber kann keine Identifizierung des Publikums mit der Figur entstehen, nicht einmal wenn die hervorragende Darstellerin Judica Albrecht alles an Pathos in die Waagschale wirft. Immerhin gelingt es ihr, mit ihrer Leistung, wenn schon die Begründung fehlt, zumindest die Glaubwürdigkeit der Todessehnsucht zu vermitteln – Glaubwürdigkeit trotz fehlenden Motivs; eigentlich eine Schizophrenie. Die Verhinderung der Motivbenennung liegt allerdings auch in der Natur der Gattung begründet. Das lyrische Ich darf sich in einem viel abstrakteren Raum bewegen, als die Figuren eines Bühnenwerkes: ein weiteres Problem des Lyriktransfers auf die Bühne. So muss die Produktion als ein Experiment angesehen werden, dessen Möglichkeiten von vorneherein beschränkt waren, ein Projekt, das in seiner Wirkung einem halb unterhaltenden, halb ernsthaften Liederabend gleicht. Johannes Bruggaier

Weitere Aufführungen: 11. und 12. Februar, sowie von 11. bis 13. Mai um 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen