: Play it safe
Jochen Hicks entwaffnend ehrlicherAids-Thriller „No One Sleeps“ (Panorama)
Die Kommisarin ist einem sofort sympathisch. Als ihr der junge Wissenschaftler Stefan Hein (Tom Wlaschiha) beim Joggen vors Auto rennt, flucht sie ihm hinterher: „Verdammt, wo hast du laufen gelernt?“ Ansonsten trägt Louise Tolliver (Irit Levi) ihre Haare silbergrau wie Susan Sonntag, raucht viel und muss sich mit einem Mörder abplagen, der in San Francisco Männer tötet. Schwule Männer. Männer mit Aids.
Nein, Jochen Hick hat sich nicht im Genre vergriffen. Während der Hamburger Filmemacher bislang ausführliche Dokumentationen über Lederkerle und „Sex/Life in L.A.“ gefilmt hat, ist „No One Sleeps“ gleich mehreren Themen auf der Spur: Hein recherchiert dem alten Verdacht nach, dass amerikanische Militärs bei Experimenten an Strafgefangenen den Aids-Virus produziert haben sollen; Tolliver ist auf der Jagd nach dem Serienkiller; und der Rest der Stadt fiebert einer Opernaufführung von Puccinis „Turandot“ entgegen. Tatsächlich werden sich alle drei Geschichten ineinanderfügen – glücklich endet die Sache allerdings für keinen.
Es mag an der genauen Kenntniss des Milieus liegen, dass Hick mit seinem Spielfilm in Sachen Aids nicht abstürzt. Wo sich andere Regisseure stets abmühen, die Schwulenszene als sozial aufgeschlossene Wahlfamilie darzustellen, wird bei ihm ausgiebig gelästert, gezankt und gefickt. Wenn Hick in Industriehallen Techno-Partys feiern lässt, dann kommt das Setting mit all seinen Dark Rooms und Sex-Toys unglaublich beiläufig daher. Selten jedenfalls sieht man Männer dermaßen unspektakulär und zugleich aggressiv miteinander herummachen.
Für Hein wird die Suche nach Überlebenden des Bio-Experiments dagegen zur Zerreissprobe. Als schwuler Romantiker hat er seinen Trip in Ostberlin gestartet, um die größte Verschwörung des Jahrhunderts aufzudecken. Doch in San Francisco muss er sich mit seinem neuen Lover herumschlagen, der in San Quentin einsaß und nun am Virus leidet. Dabei ist Jeffrey Russo (Jim Thalman) ein holzfällerartig gebauter Macho, der nur zu gerne eine feste Beziehung hätte. Außerdem schwört er auf Puccini und hat die Brieftaschen der getöteten Männer bei sich zu Hause... – was an der Liebe von Hein schließlich doch nichts ändert. Auch da im Kitsch ist Hick entwaffnend ehrlich.
Nachdem selbst Mainstream-Filmer und Komödienschreiber Aids als Filmstoff entdeckt haben, ist „No One Sleeps“ vor allem eine Auseinandersetzung mit der dark side of sex. Die schwulen Aktivistengruppen werden Hick die teils drastischen Bilder trotzdem nicht verübeln. Immerhin gilt auch in seinem Thriller: Play it safe.
Harald Fricke
„No One Sleeps“. Regie: Jochen Hick. Mit Tom Wlaschiha, Irit Levi, Jim Thalman, u.a. Deutschland, 108 Min.; heute, 15.30 Uhr, Cinestar 3, 22.30 Uhr, Cinemaxx 7; 13. 2., 20.15 Uhr, Cinestar 3
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