: Bodenlose vorsichtige Grooves
U2, Björk etc.: Howie B ist einer der weltweit bekanntesten Produzenten. Er selbst macht inzwischen allerdings extrem anstrengende Musik. Heute spielt der Mann im Pfefferberg
Howie B heißt eigentlich Howard Bernstein. Aber das ist lange her. Früher nannte ihn mancher, vor allem aber die Presse den „Godfather of TripHop“. Auch das stimmt heute nicht mehr so ganz.
Nun aber hat Howie B auf „Snatch“, seinem letzten Werk, den Tanzboden nahezu vollständig aus der Tanzbodenmusik gestrichen. Mit krankesten Samples, denkbar verkorksten Beats, einer kompletten Absage an Eingängigkeit, Zeitgeschmack und überhaupt den guten Ton schafft ein jüdischer Schotte Musik, die die gleichen Schwierigkeiten mit ihrem Dasein als Musik hat wie ein Suizidgefährdeter mit seinem Leben: Musik, die mit der eigenen Abschaffung droht. Man könnte es auch kurz und böse sagen: Howie B nervt extrem.
Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Für „The Face“ war er der Mann, der U2 zum Tanzen gebracht hat. Das will doch was heißen. Außerdem hat er Björk produziert, Soul II Soul, Pavarotti, Brian Eno, Everything But The Girl, Tricky, sogar Sly & Robbie. Robbie Robertson hat ihm was aufs Band gesprochen, für Wim Wenders' „Das Ende der Gewalt“ hat er zusammen mit Ry Cooder den Soundtrack gemacht. Alles war möglich, und auf seinem eigenen Label Pussyfoot tummelte sich ein guter Teil der britischen Electro-Avantgarde. Zusammen mit Jeremy Shaw von Naked Funk legt er als The London Daddylonglegs regelmäßig auf, so auch an diesem Abend im Pfefferberg zusätzlich zu seinem Soloauftritt.
Eins kann man Howie B also auf keinen Fall vorwerfen: Faul ist der Mann nicht. Eher schon hyperaktiv. „Es gibt keine Geheimnisse, was das Produzieren angeht“, hat er mal erzählt, „manche versuchen ihre Sounds geheim zu halten, aber so schwierig ist das alles nicht. Meine Drum-Sounds kann jeder erfahren, ich versuche lieber ein paar neue zu entwickeln.“
So einer stößt natürlich unweigerlich an Grenzen. Und schneller, als ihm lieb ist. Auf seinen eigenen Platten erforschte er schon mal das rhythmuslose Reich Ambient, nur um im Nachfolger gleich wieder die Beats krachen zu lassen. Und das alles mit in diesem Genre schon fast steinzeitlichem Equipment. „Das Zeug ist in fünf Minuten zusammengepackt“, sagt er zu den Vorteilen der alten Technik, „und in ungefähr fünf Minuten wieder aufgebaut. Hängt davon ab, wie stoned ich bin.“
Natürlich macht so einer keine doofe Musik. Ob man sie hören mag, ist aber wieder eine ganz andere Frage. Die muss jeder für sich selbst beantworten. Aber immer wieder finden sich faszinierende oder zumindest humorige Momente unter dem monotonen, extrem tiefen Sequenzergeflimmer oder zwischen den scheinbar per Zufallsgenerator eingefügten Soundsprengseln. Es ist eine Herausforderung, das zweifellos, selbst wenn es dann doch mal vorsichtig groovt. Nur zum Tanzen, dazu taugt es eben überhaupt nicht. Thomas Winkler
Mit Filia Brazillia, heute, 21 Uhr, im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176
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