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Das Gespenst von Seattle

Auf der 10. Unctad-Konferenz in Thailand geht es wieder um den Welthandel. Ernst nimmt sie keiner. Trotzdem befürchtet die Regierung Krawalle ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch

Ohne die Krawalle in Seattle letzten November hätte sich wohl kaum jemand für die Veranstaltung interessiert, die heute in Bangkok beginnt: Unctad X, die zehnte „Konferenz über Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen“.

Auch die thailändische Regierung hat die Auseinandersetzungen während der WTO-Konferenz nicht vergessen. Vorsorglich hat sie Kundgebungen in der Nähe des Königin-Sirikit-Kongresszentrums verboten, eingeflogene FBI-Agenten sollen Bangkoks Polizisten zeigen, wie man Unruhestifter in Schach hält. An den wichtigen Straßenkreuzungen hängen Überwachungskameras. Polizisten kontrollieren die Touristenmeile an der Khao-Sarn-Road auf der Suche nach ausländischen Störern. Bauern, die mit hunderten von Lastwagen voller Zuckerrohr auf die Metropole zurollten und drohten, den Zucker auf die Straßen zu kippen, wurden Mitte der Woche besänftigt und nach Hause geschickt – indem die Regierung ihnen versprach, höhere Preise für ihre Ernten zu zahlen.

Dabei ist gar nicht klar, ob die Proteste eine ähnliche Form annehmen wie in Seattle. Während die WTO ein klares Feindbild abgibt, gilt Unctad als möglicher Verbündeter der Dritten Welt und der Bürgergruppen. Zu der Konferenz reisen UNO-Generalsekretär Kofi Annan Japans Ministerpräsident Obuchi sowie die Regierungschefs südostasiatischer Staaten, unter anderem Malaysias Mahathir Mohamad und Indonesiens Abdurrahman Wahid, an. Auffällig ist das geringe Interesse des Rests der Welt: Fast alle Staaten schicken nur Minister oder untergeordnete Beamte.

Damit zeigen sie, was sie von der Unctad halten: Viele Spötter sehen die 1964 gegründete Organisation als Quatschbude, in der sich vor allem Vertreter der Entwicklungsländer nach Herzenslust – und völlig ohne Wirkung – über die Ungerechtigkeit in der Weltwirtschaft beklagen können. Denn die Entscheidungen fallen woanders: in der Welthandelsorganisation (WTO) zum Beispiel, in den Büros der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und im Club der sieben mächtigsten Industrieländer (G 7).

Kein Wunder, dass Kritiker aus regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), die sich im Vorfeld zu einer eigenen Konferenz mit dem Titel „Auf den Geist von Seattle aufbauen – Forum über Alternativen zum Neoliberalismus“ trafen, die „Abschaffung dieser steinzeitlichen Gebilde“ forderten. In Thailand, das sich nach dem Beginn der Finanzkrise 1997 fast widerspruchslos den Vorschriften der IWF-Banker gefügt hatte, herrscht bis heute Zorn über den hohen Preis, den das umstrittene Programm gekostet hat: bankrotte Betriebe, Arbeitslose und verarmte Familien.

Für den Generalsekretär der Unctad, Rubens Ricupero, kommen die Forderungen der Bürgergruppen gerade recht: Er bezeichnete das bis zum 19. Februar dauernde Unctad-Treffen gestern als „einzigartige“ Gelegenheit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Zu den wichtigsten Herausforderungen gehöre es, sagte er, die „Unberechenbarkeit des internationalen Finanzsystems zu zähmen“. Thailands Vizepremier und künftiger WTO-Chef Supachai Panitchpakdi warnte jedoch vor der Illusion, die Globalisierung aufzuhalten. Forschung und Technik sowie der Hunger der Menschen nach Informationen über die Grenzen hinaus seien nicht mehr zurückzudrehen. In den nächsten Jahren gehe es deshalb darum, die „Richtung der Globalisierung zu bestimmen“.

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