„Schöne Politiker hatten wir hier“

Wahlkampf im Speckgürtel: Die SPD in Glinde hat Pech mit der Prominenz, die CDU hat Stoiber und Koch an Land gezogen, und bei den Grünen ist irgendwie der alte Elan nicht mehr da  ■ Von Peter Ahrens

An der Wand hängen die Alpen in Öl. Drunter sitzen Nowatzki senior und Nowatzki junior auf dem Sofa und machen Wahlkampf. Nowatzki junior hat gerade das Leuchten in den Augen. Das mit dem Wahlkampf-Auftritt von Stoiber und Rühe steht jetzt fest. Und den Saal für den Abend im Classic Hotel hat der Junior auch klargemacht. Zufriedenes Murmeln von Nowatzki senior: „Stoiber bei uns in Glinde - endlich mal ein rechter Politiker hier oben. Sonst gibt es hier doch nur noch Linke.“ Rund um Hamburg tobt die Wahlschlacht, und all die Nowatzkis, die kleinen Kreisvorsitzenden und Ortsvereinschefs, toben mit. Vielleicht wird die Wahl in der Provinz entschieden. Vielleicht wird sie in Glinde entschieden.

Glinde – Kreis Stormarn, 16.000 Einwohner, 15 Kilometer östlich von Hamburg. Hier ist man stolz auf den Wochenmarkt, „zu dem sogar weiter entfernt wohnende Kaufwillige anreisen“, wie die Homepage der Stadt freudig mitteilt. Hier geht man zum Volkstanzkreis oder wird Mitglied bei den jungen Briefmarkenfreunden Stormarn, Gruppe Glinde. Als nächstes größeres Ereignis im Gemeindeleben wird das Osterfeuer angekündigt. Im August folgen die Heimatwochen.

Doch bevor sich die Glinder am Osterfeuer wärmen dürfen, müssen sie wählen. Und Werner Kirsch tut alles dafür, dass sie das auch tun. Kirsch steht in der Küche, kocht Kaffee und sagt: „Meine größte Sorge ist eine niedrige Wahlbeteiligung.“ An ihm soll es nicht liegen. Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende hat Bleistifte und Luftballons besorgt, damit es sich auch lohnt, am Wochenende beim sozialdemokratischen Infostand in der Fußgängerzone stehenzubleiben. Er hat sich um die Plakatierung gekümmert, damit der Kandidat Klaus-Peter Puls auch ein Gesicht fürs Wahlvolk bekommt. Als Vorruheständler hat Kirsch Zeit, sich darum zu kümmern.

In Glinde wurde immer SPD gewählt. Puls ist schon zweimal als Direktkandidat nach Kiel gegangen, nur einmal hat die CDU die Mehrheit im Stadtrat gehabt. Aber das ist schon so lange her, dass Paul Nowatzki erst seine Frau fragen muss, wann das noch gleich war. 44 Jahre lebt Nowatzki jetzt schon in Glinde. Als die Stadt begann, ihm Hochhäuser vor seinen Wohnzimmerblick zu bauen, ging er in die CDU. Gut 20 Jahre saß er im Stadtrat, die Wahlkampfarbeit überlässt er heute Sohn Stefan.

Nicht nur Stoiber haben die Nowatzkis nach Glinde gelotst, auch den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, und das freut die Nowatzkis jetzt besonders. Schon im Herbst haben sie ihn eingeladen. Wenn die Spendenaffäre nicht gekommen wäre, hätten sich vielleicht bloß ein paar Dutzend Besucher auf der Wahlkampfveranstaltung verloren. Aber jetzt ist Koch einer, auf den die Leute besonders neugierig sind. Und Nowatzki erinnert sich: Dregger haben sie schon in der Stadt gehabt, Blüm, Barschel, ja, den auch. „Schöne Politiker, gute Politiker hatten wir schon hier.“

Werner Kirsch kann da richtig neidisch werden. Otto Schily hat abgesagt, und den Termin mit Bundeskanzler Schröder und Ministerpräsidentin Heide Simonis, den sich die Glinder Sozialdemokraten schon gesichert hatten, hat man den heimischen Genossen wieder weggenommen. Schröder tritt jetzt in Pinneberg und Kiel auf, und für die Glinder SPD bleibt nur Landesinnenminister Ekkehard Wienholtz, der heute Abend über Jugendkriminalität diskutiert. Kirsch rührt in seinem Kaffee und sagt: „Mit der Prominenz hatten wir in diesem Jahr ein bisschen Pech.“

Die Grünen haben es erst gar nicht mit Veranstaltungen versucht. „Um die Leute zu locken, müsste es schon Joschka Fischer sein, Andrea Fischer reicht schon nicht“, sagt Susanne Böhnert-Tank, die zusammen mit ihrem Mann die grüne Fraktion im Glinder Stadtrat bildet. So stellt man sich am Sonnabend lediglich neben die anderen Parteien in die Fußgängerzone und verteilt das Parteiblatt „Der Grünschnabel“ in die Briefkästen. 1996 hatten die Grünen mit zehn Prozent ein Top-Ergebnis bei der Landtagswahl, aber damit wird es wohl nichts mehr, ist sich Böhnert-Tank ziemlich sicher. Vor vier Jahren hat sie „mit großem Elan“ die Koalitionsverhandlungen in Kiel mitgeführt, der Elan ist weg. „Der Frust ist beträchtlich“, sagt sie, das eigene Engagement „hat schon gelitten“.

Auch viele andere Grüne, die sie kennt, haben sich weit mehr von der Regierungsbeteiligung der Partei versprochen. Bei den MinisterInnen und Abgeordneten in Kiel stellt sie zudem „Realitätsverlust“ fest: „Die haben eine ganz andere Wahrnehmung über ihre eigene Arbeit.“ Böhnert-Tank ist enttäuscht, da macht sie keinen Hehl draus. Als das Aus für den Transrapid kam, hat sie ein Fax an die grüne Parteizentrale geschickt und keine Antwort bekommen. „Dabei waren wir die erste Bürgerinitiative, die damals Widerstand gegen die Transrapid-Pläne geleistet hat.“ Das sei in Kiel offenbar vergessen.

Ach ja, die Kieler. Auf die sind auch SPD und CDU nicht so gut zu sprechen. „Wir schauen ja mehr nach Hamburg“, sagt Paul Nowatzki, und Kirsch stellt schon fest, dass man im Süden des Landes ein bisschen abgehängt wird. Die Politiker gucken auf die Küste, und in Glinde hat man doch andere Sorgen, etwa, dass die Ausfallstraße nach Hamburg jeden Morgen und jeden Nachmittag so verstopft ist. Und ob die Fischer gegen die Erweiterung des Nationalparks Wattenmeer sind oder nicht, geht die Glinder bei weitem nicht so an wie die Frage, was aus der alten Villa in ihrem Park wird – Renovieren oder Abreißen. Die SPD will ein Jugendzentrum hereinsetzen. „Wir brauchen das“, sagt Kirsch. In der Stadt soll es nämlich „schon zu vereinzelten Drogenfällen gekommen sein.“

So etwas regelt man im Stadtrat unter sich. „Wir Parteien arbeiten vor Ort meistens zusammen. Da gibt es keinen großen Streit“, sagt Kirsch. Da weiß man, was man hat, da können einem die Großen, „die in Berlin“ nicht alles kaputtmachen – so wie das jetzt bei der CDU passiert. „Man strampelt sich hier unten ab und dann bekommt man von oben so einen auf den Deckel“, murrt Nowatzki senior. Er findet es zwar merkwürdig, „dass die Medien das mit den Spenden so kurz vor der Wahl herausbringen – nach der Wahl spricht da wahrscheinlich kein Mensch mehr drüber“, aber „unbegreiflich“ sei das Verhalten von Kanther und Konsorten schon und der sicher geglaubte Sieg von Volker Rühe meilenweit entfernt. Die SPD im Kreis Stormarn hat sich ans Thema dran gehängt und wirft jetzt auch der örtlichen CDU „dubiose Spendenpraxis“ vor. Die Kreis-CDU hatte bei Ärzten der Region um Spenden gebeten und dabei vor allem auf die rot-grüne Gesundheitspolitik abgehoben. „Öffentlich will die CDU den Wählern weismachen, es ginge ihr bei der Landtagswahl nur um Landespolitik, aber wenn es um Spenden geht, ist ihr offensichtlich auch jedes bundespolitische Thema recht“, schäumt SPD-Kreisvorsitzender Heiko Winckel-Rienhoff. Kirsch sieht das gelassener und sagt nur: „Die Stimmung hat sich gedreht, gut für uns.“

Nowatzki setzt seine Hoffnungen noch darauf, dass die Grünen aus dem Parlament fliegen: „Das ist eine Wohlstandspartei von studierten Leuten, die wissen gar nicht, wie es dem kleinen Arbeiter geht, die müssen weg.“ Das müsse man den WählerInnen einfach klar machen. Nächsten Sonnabend wieder in der Glinder Fußgängerzone.