: Ein Mann am Ende
■ Es hagelte Buh-Rufe am Bremer Theater bei der spannenden Premiere von Mozarts „Don Giovanni“
Einer der großen Regisseure dieses Jahrhunderts, Günther Rennert, glaubte „nicht an die Möglichkeit, für diese Partitur auch nur eine annähernd szenische Entsprechung finden zu können“. Angesichts der Größe der Partitur von Mozarts 1787 entstandenem „Don Giovanni“ ist dies ganz sicher kein Freibrief für RegisseurInnen, sich mit eigenen Ideen wer weiß wo und wie zu tummeln, es ist eine Verpflichtung, auf den eigentlichen Inszenator, die Musik, genau zu hören. Dies ist der Fall in der neuen Inszenierung der vielschichtigen „Oper der Opern“ (E.T.A. Hoffmann) im Theater am Goetheplatz.
Es hagelte Buhs: die junge Regisseurin Sabine Hartmannshenn hatte es gewagt, die Klischees des Mozartschen Don Giovanni eben nicht zu bieten. Das wäre vor allem ein Don Giovanni, der für die verführerische Männlichkeit schlechthin steht, und das ist die wirkungsvolle Komturszene, in der Giovanni dem steinernen Gast die Hand reicht und verbrennt. Bei Hartmannshenn ist Giovanni von Beginn an kein strahlender Verführer, sondern am Ende: Am Ende seiner Wirkung, seines Lateins, seines Lebens. Das ist auch bei Mozart so, keine Frau erobert er mehr; nur wird das selten oder zumindest nicht so deutlich gezeigt. Was man angesichts dieser Verfassung allein noch zeigen kann, sind die Mechanismen seines Verhaltens. Höhepunkt dieses Ansatzes ist, wie kann es anders sein, die Champagner-Arie: Da zieht er sich das Oberhemd aus. Und ehe auch die Hose rutscht, zieht Leporello ihn weg.
Und die Komturszene: kein Komtur in Stein, der auch uns erschauern läßt, sondern hitchcockartig gleißendes Licht, das tödlich blendet. Dann kracht die ganze Bühne herunter und über die schnell aufgebaute Schräge – auch dies ein inhaltlich sinnvolles Bild – finden sich die fünf Männer, die den Übeltäter verfolgten. Todesschläge kommen aber auch schon vorher aus dem Orchester: die treffen ins Herz und sind eines der Beispiele dafür, wie ungemein stringent die Regisseurin mit der Musik umgeht, wie genau sie auf ihre Gestik und ihren Stellenwert hört. So zum Beispiel, wenn sie die zweite große Arie der Elvira aus der Szene ebenso auslagert wie den Dialog zwischen Donna Anna und Don Ottavio. Da wird deutlich, dass es sich hier um einen Wechsel des Außengeschehens auf die Innenreflexion handelt. Auch sonst sind szenische Bewegungsmechanismen wunderbar an der Musik orientiert.
Irgendwie spielt das Ganze in den fünfziger Jahren, aber irgendwie auch nicht. Denn Don Giovannis Kleider sehen eher aus wie aus dem 19. Jahrhundert, ebenso wie die Halsrüsche und Schoßkrause der Donna Anna. Wir als Zuschauer sind nicht Voyeure einer vergangenen Epoche, sondern die Menschen dort erscheinen uns wie aus unseren Reihen. Einer der grandiosesten Einfälle Mozarts muss dieser Konzeption allerdings weichen: die Aufeinanderschichtung der drei Tänze der drei Stände auf Don Giovannis Maskenfest am Ende des ersten Aktes. Drei Orchester gehören auf die Bühne, das Ende aller Kommunikation ist angesagt. Bei Hartmannshenn bleibt das ganze im Orchester, und, da es soziale Schichten auf der Bühne nicht gibt, bleibt die großartige Idee der Konstruktion der Destruktion nahezu wirkungslos. Etwas schade.
Es gibt wenig begleitende, deutende kleine Actions, dafür eine, die umso wichtiger ist. Don Giovanni schreibt – als er die Kanzonette in den Kleidern von Leporello singt – ein Brief und schickt ihn mit einem leuchtenden Ballon in den Zuschauerraum, in die Welt. Von Elvira wird der Ballon später zurückgeholt und von Ottavio wird er kaputtgemacht. Ein äußerst zartes Zeichen der Regisseurin, dem Psychopathen seine Würde wenigstens in der Form von Sehnsucht zurückzugeben, eine Sehnsucht, für die eine adäquate Partnerin im Grunde nur Elvira wäre.
Kristen Strejc, leuchtend rot und Don Giovanni geistes- und seelenverwandt, könnte noch ein wenig mehr zugreifendes Selbstbewusstsein auflegen, sie singt sehr schön. Ihr Dazwischengreifen ist nicht selten auch komisch, sie ist einfach immer da. Donna Anna, sonst eine Hochdramatische, deren „Vendetta“-Arie häufig die Wände wackeln lässt, ist hier mit Sabine Hogrefe eine zurückhaltende Frau, die ihre Stimme eher verhalten in das musikalische Geschehen einklinkt. Das verweist auf einen weiteren überzeugenden Ansatz dieser Inszenierung: sie nimmt nicht nur die Musik ernst, sie lässt sie mitspielen, Musikalisches wird szenisch und Szenisches musikalisch.
Alan Cemore in der Titelrolle, setzt die Brüchigkeit seiner Situation glänzend um und singt tadellos, Iris Kupke ist eine mitreißende Zerlina, Andreas Reblin ein konturenreicher Masetto, Shivko Shelev ein Ottavio, der im Grunde genommen der Drahtzieher des ganzen Komplotts ist. Und Andreas Haller muss als Komtur ja nur seine bekannte Stimmgewalt wirken lassen. Rainer Mühlbach dirigierte das Philharmonische Staatsorchester mit schönen Tempi, viel Transparenz, in beispielhafter Aufmerksamkeit für die SängerInnen gerade in den Rezitativen. Hier muss auch Anette Reifig am Hammerklavier genannt werden. Das Bühnenbild von Dieter Richter und die Kostüme von Silvia Hasenclever verhielten sich maßgeschneidert zum Regiekonzept. Ute Schalz-Laurenze
Die nächsten Aufführungen: 14., 18. und 27. Februar jeweils um 19.30 Uhr. Karten und Infos unter 365 33 33
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