: Die geschätzte Unscheinbare
Carola Freundl ist seit mehr als vier Jahren PDS-Fraktionsvorsitzende. Während die 37-Jährige in der Öffentlichkeit noch immer weitgehend unbekannt ist, hat sie sich mit Sachkenntnis und ihrem sprödem Charme in der Fraktion ein gutes Standing erarbeitet. Ein Porträt ■ Von Annette Rollmann
Es gibt Politiker, die kommen in Spitzenämter – und jeder fragt sich, warum. Carola Freundl gehört dazu. Die zierliche und zurückhaltende PDS-Fraktionsvorsitzende amtiert bereits in der zweiten Legislaturperiode gemeinsam mit ihrem Kollegen Harald Wolf. Doch in der Öffentlichkeit kennt sie kaum jemand. Tritt sie vor Publikum auf, wirkt sie schnell spröde. „Eine Charismatikerin ist sie nicht“, räumt selbst der PDS-Fraktionssprecher Günter Kolodziej ein. Das gelte aber auch für Wolf. Doch anders als die Ostfrau ist der Ex-Grüne aus dem Westen in der Stadt präsent. In der Fraktion dagegen hat die 37-Jährige ein gutes Standing. Bei der Wahl im November wurde sie mit acht Gegenstimmen erneut zur Vorsitzenden gewählt, ihr Ergebnis war besser als das von Wolf.
„Leute aus dem Osten haben nicht gelernt, ihre Person zu verkaufen, sondern machen Politik über den Gegenstand“, sagt die bündnisgrüne Politikerin Sybill Klotz, die selbst im Osten aufgewachsen ist und ihre PDS-Kollegin seit langem kennt. „Das gilt auch für Carola Freundl.“ Deren Stunde schlägt, wenn die Kameras abgebaut und das Publikum gegangen ist. Wenn die „Kärrnerarbeit“ beginnt, dann sammelt Freundl Punkte. Sie sei kompetent und solide, integrativ und nett, heißt es in der PDS. „Sie ist das Gegenteil von einem Parteisekretär alter Prägung“, sagt auch Klotz.
Carola Freundl bewohnt eine Dachgeschosswohnung nahe dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Dort, in den lichten Räumen hoch über der Stadt, lebt die 37-Jährige zusammen mit ihren beiden Kindern, 11 und 14 Jahre alt. Der Blick auf den Balkon erinnert sie an den Sommer. Die beiden Kinder haben jede Nacht dort draußen auf der Liege geschlafen. „Das war wie Urlaub“, sagt Freundl sehnsüchtig. Dann streckt sie den Rücken durch. „Ich will nicht jammern. Mir geht es gut. Auch wenn es finanziell als Alleinerziehende immer wieder knapp ist, trotz der Diäten.“ Ihr Ex-Gatte, der Vater der Kinder, kann ihr kaum helfen. Wie viele ihrer Bekannten erlebt er ein typisches Post-DDR-Schicksal: Der Akademiker schlägt sich mit Jobs durch.
Freundl ist geprägt von der DDR – auf zwiespältige Weise: Sie war Mitglied der SED und ging zu den großen Friedensdemonstrationen. Zu Wendezeiten arbeitete sie als wissenschaftliche Assistentin am Institut für sozialistische Wirtschaftsforschung der Leichtindustrie. Sie machte soziologische Erhebungen über die Arbeitszufriedenheit in der DDR. Natürlich habe man sich schon in den Achtzigerjahren Gedanken zum System gemacht. Doch den Staat in Frage gestellt hat sie nicht. „Mit der Mauer hatte ich kein Problem. Ich hatte nie dieses Fernweh“, erinnert sich die PDS-Politikerin. Dass an der Mauer nicht nur Urlaubsträume, sondern auch Menschen starben, erwähnt sie nicht. „Die Mauer zu verurteilen, das ist die Sicht von heute.“
In die Politik ist Freundl zu Wendezeiten eher zufällig gerutscht. Im entscheidenden Moment hat sie sich auf einem Kreisparteitag im Februar 1990, als „die alten Männer schon wieder alles untereinander aufgeteilt hatten“, laut und spontan zu Wort gemeldet. Im Mai wurde sie in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, im Dezember für das Abgeordnetenhaus nominiert. „Ich konnte dass, weil ich nicht in dem typischen DDR-Obrigkeitsdenken groß geworden bin“, sagt sie. Ihre Mutter, eine Juraprofessorin, die sich vor allem mit der Soziologie der Kriminalistik beschäftigt hat, diskutierte zu Hause über Gesellschaftspolitik. „Wir hatten dauernd Gäste. Es war ein offenes Haus“, sagt Freundl. Dort hat sie gelernt, sich durchzusetzen. In Diskussionen ist Freundl beharrlich. In wichtigen Punkten nachgeben ist nicht ihre Sache.
Früher, als Teenager in der DDR, sei ihr vor allem die Normierung auf die Nerven gegangen. „Jeder machte den gleichen Kartoffelsalat mit Würstchen. In jeder Wohnung stand die Schrankwand an derselben vorgesehenen Stelle.“ Schrankwände gibt es in ihrer Wohnung nicht. Auch Dogmen sind ihr heute zuwider. „Durch das Ende der DDR sei sie „sehr mit sich selbst konfrontiert worden“, sagt sie. „Keiner, der jetzt noch in der Politik tätig ist, hat es sich leicht gemacht.“
Nach dem Abitur hat Freundl eine Ausbildung als Gärtnerin für Obstproduktion im Havelland gemacht. „Ich habe drei Jahre lang körperlich total geschuftet. Manchmal habe ich geheult. Aber ich habe durchgehalten.“ Disziplin ist ein wichtiges Moment, das untergründig stets mitschwingt, wenn Freundl von sich erzählt. „Sie ist jemand, der wahnsinnig gradlinig ist. Sie macht Politik an der Sache entlang“, sagt ihre beste Freundin. „Dennoch hat sie sich nicht von der Politik aufsaugen lassen.“ Die harte, bisweilen verschlossene Art der Politikprofis, die schon lange auf diesem Parkett ihre Runden drehen, hat die PDS-Fraktionsvorsitzende nicht angenommen. Selbst Sätze wie: „Es geht nicht darum, zu taktieren. Wenn ich das muss, höre ich sofort auf“, wirken ehrlich. Aber sie klingen auch naiv. Das System der professionellen Politik, zu dem Taktik und Bluff gehören, hat sie nur bedingt akzeptiert.
Bei Teilen der PDS ist Freundl wegen ihrer pragmatischen und reformorientierten Politik umstritten. „Sie musste schmerzliche Niederlagen einstecken“, sagt Parteisprecher Axel Hildebrandt. Auf dem letzten Parteitag wurde ihr Vorschlag, im öffentlichen Dienst höhere Einkommen zu beschneiden, um so Neueinstellungen zu finanzieren, abgelehnt. Ihre Idee war für die PDS revolutionär. Erstmals sollte nicht die Privatwirtschaft zur Kasse gebeten werden. Auf dem Parteitag hat Carola Feundl gekämpft. Arbeitsmarktpolitik ist ihr Fachgebiet. Sie unterlag mit einer Stimme. Da brach sie in Tränen aus.
Generell aber sieht Freundl eine Entideologisierung auch bei ihrer Partei. Die PDS-Fraktion habe die 49-prozentige Teilprivatisierung der Bewag mitgetragen, betont sie. Gemeinsam mit der Landesvorsitzenden Petra Pau und dem Baustadtrat in Mitte, Thomas Flierl, ihrem ehemaligen Lebensgefährten, hat Freundl einen neuen Vorschlag zum Thema Stadtschloss eingebracht: In den Palast der Republik könnte das Haus der Kulturen der Welt einziehen, dazu eine Bibliothek, Räume für Nichtregierungsorganisationen, Ausstellungen und ein Café entstehen.
In der SPD gesteht man Freundl Kompetenz zu. Die Sprecherin für Arbeit und Ausbildung, Gabriele Thieme-Duske, beschreibt sie als engagiert, kritisch und kompromissbereit. „Auf jeden Fall ist sie kompetent.“ Selbst der CDU-Politiker Siegfried Helias, der jahrelang mit ihr im parlamentarischen Ausschuss für Arbeit saß, sagt: „Man musste sich mit ihren Vorschlägen immer inhaltlich auseinandersetzen. Sie waren nie einfach nur vom Tisch zu fegen.“ Und Sybill Klotz glaubt, dass Freundl und Wolf stark dazu beigetragen haben, bei Politikern anderer Parteien mehr Akzeptanz für die PDS zu schaffen.
Doch im Abgeordnetenhaus herrscht bisweilen noch Frontstadtsatmosphäre. Freundl trifft es, wenn Spitzenpolitiker wie der Regierende Bürgermeister „es stets versuchen zu vermeiden, mir die Hand zu geben“. Obwohl an der Basis CDU und PDS längst zusammenarbeiten, glaube „die Spitze der West-CDU immer noch, sie sei etwas Besseres“. Langsam, nur sehr langsam schafften es einige Politiker der CDU, ihre Vorurteile abzulegen. Wie der neue Finanzsenator Peter Kurth, bei dem „Selbstverständlichkeiten wohltuend auffallen“. Aber eigentlich, sagt Freundl nachdenklich, sei es doch nur Normalität, die bei der neuen Garde der Christdemokraten einkehre. Und auch bei ihr selbst. Mit Kurth bespricht sie sich bisweilen über Finanzpolitik. Carola Freundl kann Grenzen überschreiten, für die Sache.
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