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Das paradoxe Erbe des Dagegen

Die FPÖ als Protestbewegung betrachtet oder: Wie Jörg Haider die Formen des ehemals linken Protests zum Erfolg führt und was die Eigenschaft der Eigenschaftslosigkeit damit zu tun hat. Einige schräge Anmerkungen zum Fuchs im Hühnerstall ■ Von Peter Fuchs

Die neue, rechte Protestbewegung hat alle Eigenschaften, die man vom linken Protest kannte

Es ist klar, dass Jörg Haiders massenmediale Erfolge die zahlreichen sedimentierten wie die weniger zahlreichen lebendigen Protestbewegungen der Gesellschaft schon deshalb düpieren müssen, weil sie sich in politischen Erfolg haben ummünzen lassen. Der Schritt vom Haider-Event zum Haider-Amt ist plötzlich sehr kurz geworden. Aber nicht nur die Protestbewegungen, die man dafür kennt, sind düpiert und protestieren. Ganze Staaten drohen (oder dröheln) und können sich dabei sicher sein, dass zumindest die progressiven, die linken, die linksintellektuellen, die künstlerischen, die alternativen Kräfte mit ihnen gemeinsame Sache machen. Schließlich gibt es im Differenzendschungel der modernen Gesellschaft auf einmal wieder einen undifferenzierten Gegner, der einen Namen hat, einen Attraktor für Hochmoral und Empörung – ein weiteres starkzähniges Monstrum aus Österreich, ein Mann, für den ein Wort noch ein Wort und die Wahrheit noch die Wahrheit ist, ein Mann also, der, wie man moderner sagen könnte, durch heute mögliche Komplexität noch nicht erreicht wurde.

Was ist aber jenseits selbstgratifikatorischer und wohlfeiler Empörung das Geheimnis dieses Erfolges, der sich mit jeder Moralisierung verstärkt? Wie spricht und was spricht, so könnte man fragen, der Geist der Zeit durch Haiders Schädelkalotte, durch seine Stimmritzen, Zähne, Lippen hindurch? Wie wird ein Windbeutel zum Stratosphärenballon?

Vielleicht lässt sich die These wagen, dass es die Form des Protests und der ihn tragenden sozialen Bewegungen selber ist, die sich plötzlich als besetzbar erweist durch Themen, die bislang nicht als sozial bewegungsfähig galten. Das wäre für die klassischen Protestbewegungen ein herber Anlass für giftgrünen Ärger. Die Form des Protests selbst erwiese sich damit als zutiefst korrumpierbar. Sollte die These tragfähig sein, geht es jedenfalls nicht mehr um Haider. Er wäre nur das Symptom, das vielleicht nur einige Österreicher lieben wie sich selbst, das aber auf stärkere Veränderungen in der Gesellschaft verweist, als es das massenmedial inszenierte Jörgele-Theater zu ahnen vermag.

Versuchsweise könnte man sich erst einmal von der Annahme verabschieden, dass die Protestbewegungen der modernen Gesellschaft gut beschrieben sind, wenn man sie von dem her charakterisiert, was sie sich auf die Fahnen geschrieben haben. Wenn man das doch tun will, stößt man jedenfalls auf ein Meer von Fahnen und Bannern, deren gemeinsamer Nenner allenfalls darin zu finden ist, dass es immer um ein Gegen geht, dass sich an einem Dafür entzündet, das sich auf eine Noch-nicht-Gesellschaft bezieht, in deren Schein die aktuelle Gesellschaft dunkel und böse wirkt. Inmitten der Gesellschaft wird eine externe Position behauptet und erzwungen, die die anderen, die dann dagegen sind, in die Lage bringt, die Gesellschaft zu sein. Genau das ist es, was man bezeichnet, wenn man von Protestbewegungen spricht, und genau das ist es auch, was Senioren- und Frauenbewegungen, die Pazifismus-, Semitismus- und Antisemitismusbewegungen, die Bewegung der Ausländerfeinde und die Bewegung der Ausländerfreunde von der Form her verbindet. Und wer gegen diese Verbindung protestiert, produziert: mehr desselben. Er nimmt wie jeder, der diese Form der Kommunikation anwählt, eine Position ein, die archimedisch getrimmt ist: als ließe sich irgendetwas in der Gesellschaft wie von außen und sogar richtig beobachten. Denn der Protest ist, woher immer er kommt und aus welchen Quellen immer er sich speist, allezeit total berechtigt und deshalb immer maßlos. Er setzt voraus, dass man weiß, wie die Dinge richtig lägen, wenn sie nicht falsch lägen. Er bestätigt sich unter anderem daran, dass die Gesellschaft nicht hört und nicht tun will, was die Protestbewegung fordert. Als Argument würde nicht zählen, dass man der Gesellschaft so wenig schreiben kann, wie man an die Politik und die Wirtschaft schreiben kann. Solche Systeme sind durch niemanden vertreten, sie sind, das macht ihre Modernität aus, uneindeutig. Man kann sie nicht niederschlagen, anschreien, mit Tassen und Tellern nach ihnen werfen. Daraus nährt sich die typische Bereitschaft von Protestbewegungen, mehr als den legalen sozialen Lärm zu machen, also auf Gewalt zuzugreifen, vom Auspfeifen über die Briefbombe bis hin zum Totmachen. Der Protest ist nur Protest, wenn er drastisch ist. Er verzichtet auf Reflexion und darauf, die Gegenseite (die Nichtprotestierenden) in ihrer Andersheit zu würdigen. Es geht weder um Vernunft noch um Verstehen.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die jeweilige Protestbewegung in der Minderheit ist oder nicht. Protestbewegungen sind entschieden nicht demokratisch. Denn sie sind (ob von links, von rechts, von oben oder unten) im Recht, und der Rest der Gesellschaft ist einfach nur: renitent. Die Macht der Protestbewegung ist die Macht der Moralen, also ihre Entschiedenheit darin, sich selbst zu achten und eben deshalb andere zu missachten, gleich, um wie viel und um welche Leute es sich immer handeln mag. Wer nicht dagegen ist, ist dafür.

Allerdings kann man heute sehen, dass die Form des Protests weitgehend inhaltsleer ist. Sie enthält keine Instruktionen darüber, wogegen man protestieren darf und wogegen nicht. Sie steht einfach sozial zur Verfügung. Die einzige Anweisung ist die, dass es gegen einen übermächtigen und bösen Gegner geht. Eben diese Inhaltsleere saugt Themen an und strudelt sie ein wie die schwarzen Löcher das Licht und die Schwerkraft. Man konnte lange glauben, dass diese Themen nicht beliebig seien, dass es gute Themen und böse Themen gebe. Verfährt man aber kühler, achtet man also auf die Funktion, zeigt sich, dass über die Themen schon lange nur noch deutlich gemacht wird, wer dazugehört und wer nicht, aber dass es auf die Themen selbst nicht ankommt, solange sich frei vagabundierende Protestpotenziale befristet binden lassen.

Das Neue daran ist, dass es nicht mehr einleuchtet, das jemand (zum Beispiel die Linke und/oder die Alternativen) exklusiv über moralisch achtungsfähiges Wissen verfügt. Die üblichen (guten) Themen (Frauen, Dritte Welt, Kriegsgefahren, Friedenswille, Gleichheiten, Behinderte etc.) sind längst ironiefähig geworden und organisieren allenfalls auf der Ebene der Kommunen noch Diskussionen über die Bezahlbarkeit von Nachttaxis für Frauen oder die Höhe der Absenkschwellen für Bürgersteige. Man darf in diesen Hinsichten das Schmunzeln nicht mehr ohne weiteres verbieten, und das scheint selbst in den USA so zu sein. Die geläufigen Themen organisieren zwar noch Gleichgesinnte, aber schlagen nicht mehr massenmedial durch – auf Grund eines deutlichen Attraktivitätsmangels. Jede Kindergartengebührerhöhung in kreisfreien Beamtenstädten aktiviert mehr Trillerpfeifen pfeifende Väter, Mütter und die jeweils zwei Kinder als ein Protestaufruf gegen die neuen multinationalen Superkartelle oder gegen das Schweigen darüber, dass Arbeitslosigkeit sozial gewollt ist. Diese Themenermüdung macht es möglich, die dann freie Besetzbarkeit der Protestform auszunutzen. Die alten Protestbewegungen haben die Form ausgearbeitet und zur Perfektion gebracht. Sie ist nun allseits und nahezu beliebig verwendbar.

Die neuen Protestthemen (sagen wir einmal: die rechten Themen) und die Protestbewegungen, die sich um sie scharen, haben alle Eigenschaften, die man von den klassischen Protestthemen her kannte. Sie arbeiten mit der Unterscheidung von Gleichheit und Ungleichheit. Indem sie Gleichheit für alle fordern, machen sie die Ungleichheit derjenigen sichtbar, die unter dem Gleichheitsansinnen leiden, zum Beispiel die Ungleichheit der einfachen Bürger. Sie setzen auf Zukunft, insofern diese Ungleichheit aufgehoben werden soll, und sie arbeiten moralisch, indem sie diejenigen missachten, die für diese Ungleichheit sind, weil sie die Gleichheit anderer (zum Beispiel der Ausländer) wollen. Und da sie zukunftsgerichtet sind, können und dürfen sie sich der Vergangenheit nicht stellen. Alle ihre Vergangenheiten sind passend zugeschnittenund hier wie immer Unterdrückungsgeschichten. Das ist bei linken wie bei rechten Protestthemen dasselbe Phänomen.

Wie die alten Themen sind die neuen Themen komplexitätsabweisend gebaut. Gerade deshalb sind sie auf die Massenmedien hervorragend eingestellt. Massenmedien und die neuen wie die alten Protestbewegungen sind, wie man vielleicht sagen könnte, Kopplungsfavoriten. Der Haider-Lärm belegt diese Einschätzung aufs Neue. Protest, ich sagte es, muss drastisch sein und plakativ. Protest ist außerdem immer moralisch, und wer, wenn nicht die Massenmedien, hütet in der Moderne die Moral?

Ebenso typisch ist, dass die neuen Protestthemen und -bewegungen wie die alten antidemokratisch sind. Sie können mit Dissens nicht umgehen. Sie wollen zu Konsens nötigen, wen immer man dazu auch niederknüppeln müsste. Sie sind extrem geduldsfrei. Und: Diese Themen sind (wie die des bisher bekannten Protestmilieus) vernetzungsfähig, also hinreichend unspezifisch, sodass um Kernorganisationen wie der FPÖ herum die viel wesentlicheren Sympathisantenkreise entstehen, die auf einer Bandbreite zwischen Stoiber und Neonazis liegen, eine Bandbreite, von der man sich im Internet leicht überzeugen kann. Das Gefährliche ist, dass die FPÖ ein weites Feld repräsentiert. Sie dient schon längst als Zentrum einer überaus aktiven (mit derselben Attraktion wie die alten Protestbewegungen ausgestatteten) europaweiten Szene. Und diese Szene ist (wie die vertraute Szene der alten Protestbewegungen es einst war) hoch kreativ. Sie tritt im Blick auf die Form des Protests ein Erbe an – das paradoxe Erbe des Dagegen.

Haider muss man in dem, was er sagt, wörtlich nehmen, zum Beispiel, wenn er äußert, dass er das gackernde Europa nicht verstehe angesichts des Umstandes, dass der Fuchs ja noch gar nicht im Hühnerstall sei. Es wäre zu leicht, die Metapher als verräterisch zu brandmarken, nur weil der Fuchs ein Raubtier ist, der dem Schnatter- und Gackervolk der Hühnerställe die Hälse durchbeißt. Viel interessanter ist, dass der Fuchs traditionsgemäß so etwas wie ein zwischen Schläue und Blutdurst oszillierendes Tier ist. Er ist zum Beispiel Berater an Löwenkönigshöfen. Er muss etwas haben, was man Transitionsfähigkeit nennen könnte, die Kunst des Gleitens und Hinüberrutschens aus dem Protest in das, wogegen protestiert wird. Protestbewegungen sind ja gekennzeichnet dadurch, dass sie doppelt gefährdet sind, durch die Auslaugung ihrer Themen und durch die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung, also durch einen Seitenwechsel. Das führt dann in die Domestikation der Protestthemen, wofür unsere Grünen ein prachtvolles und viel bestauntes Beispiel sind. Mitunter aber gelingt es, Protestthemen an geeigneten Personen so zu verankern, dass sie den Seitenwechsel überstehen und mit Durchsetzungsfähigkeit auf der Basis legitimer Macht ausgestattet werden. Unsere eigene Geschichte lehrt aufs Grauenvollste, was geschieht, wenn die hervorgehobenen Leute des Protests sich mit Fräcken bekleiden. Sie werden zivil – oder mörderisch.

Solche Personen müssen jedenfalls oszillationsfähig sein. Sie sind dagegen und dafür – in einem so rasenden Wechsel, dass man meinen könnte, sie wären dafür und dagegen – zugleich. Eben darum bedarf es der Eigenschaft der Eigenschaftslosigkeit, die man auch die Fähigkeit jeder Null nennen könnte, in wechselnden Zahlenspielen hoch wirksam zu sein.

Entsprechende Ahnungen gibt es. Man ließ Haider sogar im eigenen Lande (als habe man es mit einer politisierten Veronika Feldbusch zu tun) ein Papier unterschreiben, in dem er sich darauf verpflichtet, zu wissen, was demokratische Gepflogenheiten sind, ein Akt der Belehrung, den zu signieren sehr viel Erniedrigungsbereitschaft und Machtbewusstsein verrät. Der Mann, der ihn dazu nötigte, verdient, sagt der Spiegel: Respekt. Wie die Dinge jetzt liegen, muss er mit Rache rechnen. Andere auch! Vorsicht ist angebracht, denn die Schläge, die kommen können, könnten von innen kommen, als kämen sie von außen.

Literatur: Niklas Luhmann: „Protest, Systemtheorie und soziale Bewegungen“. (Hrsg. von Kai-Uwe Hellmann), Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1996; Klaus P. Japp: „Die Form des Protests in den neuen sozialen Bewegungen“, in: Dirk Baecker (Hrsg.): „Probleme der Form“. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1993; Peter Fuchs: „Das Phantasma der Gleichheit“, in: Merkur 570/571, Jg.43, 1996, S. 959 – 964.

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