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Der Fall Babitzki: Folter, Lügen und Videos

Die russische Regierung zeigt im Umgang mit dem Fall des verschwundenen Tschetschenien-Korrespondenten Andrej Babitzki ihr wahres Gesicht und fällt in sowjetische Zeiten zurück ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Wir klagen an! Dies ist der Sinn hinter all den Plakaten und Losungen, die Journalisten am Freitag auf den Moskauer Puschkin-Platz trugen. Sie protestierten damit gegen die Auslieferung ihres Kollegen Andrej Babitzki durch anonyme Sicherheitsorgane an bewaffnete, maskierte Banditen.

Der 36-jährige Journalist begann vor zehn Jahren beim US-amerikanischen Radio Liberty/Radio Free Europe. Babitzki berichtete im Tschetschenienkrieg von 1994 bis 1996 von beiden Seiten der Front. Er dokumentierte die Grausamkeiten der föderalen Armee, nannte aber auch Namen von tschetschenischen Kommandeuren, die Verbrechen begangen hatten. Da die Berichterstattung aus dem gegenwärtigen Krieg in den russischen Medien weitgehend unterbunden wird, waren die russischsprachigen Sendungen von Radio Liberty bisher eine der wenigen Möglichkeiten für die Bürger, sich objektiv über die Vorgänge zu informieren. Babitzki war der letzte Korrespondent, der im bombardierten Grosny ausharrte und über die dortigen Greuel der föderalen Truppen berichtete. Dafür musste er büßen.

Anfang Februar erklärte Regierungssprecher Sergej Jastrzembski, Babitzki habe „die Verhaltensregeln für Journalisten innerhalb der Zone einer antiterroristischen Operation verletzt“. Zugleich versicherte der amtierende Präsident Wladimir Putin, er habe den Fall „unter Kontrolle“.

Was geschah wirklich mit Babitzki? Nach Zeugenaussagen wurde er am 16. Januar von den auf russischer Seite kämpfenden tschetschenischen Milizen Beslan Gantemirows verhaftet und misshandelt. Sie übergaben ihn den Föderalen, die ihn in einem so genannten Filtrationspunkt im Dorf Tschernokosowo festhielten, wo er wieder gefoltert wurde. Mithäftlinge berichteten später, man habe Babitzki gezwungen, Lieder zu singen, „so laut, dass der ganze Block sie hören konnte“. Damals erklärte Putin, er wisse nichts über Babitzkis Verbleib.

Vom 31. Januar datiert eine handschriftliche Erklärung, die der Öffentlichkeit nur als Fax vorliegt. Babitzki erklärt sich darin „aus humanitären Gründen“ bereit, sich im Austausch gegen russische Soldaten als Geisel an tschetschenische Feldkommandeure ausliefern zu lassen. Alle, die Babitzki kennen, sind sich sicher, dass er dies nur unter Zwang unterzeichnet haben kann. Anfang Februar erklärt Sprecher Jastrzembski, Babitzki habe auf Seiten der Rebellen gekämpft. Kollegen des Reporters wissen dagegen, dass er prinzipiell keine Waffe in die Hand nahm.

Am 4. Februar zeigte Jastrzembski der Öffentlichkeit ein angeblich am Vortag aufgenommenes Video, auf dem Babitzki an zwei maskierte, bewaffnete Männer ausgeliefert wird. Gleichzeitig erklärt Jastrzembski, die russische Regierung trage keine Verantwortung mehr für das Leben des Journalisten. Am 7. Februar will letztmals ein Zeuge Babitzki gesehen haben – bei einem Transport innerhalb Tschetscheniens. Er sei blau im Gesicht gewesen, seine Kleidung blutig. Angeblich vom gleichen Tage stammt eine Videoaufnahme, die am 8. Februar Radio Liberty zugespielt wurde. Ein verquollener Babitzki erklärt darin, er spreche am 7. Februar, habe aber „ein Problem mit der Zeit“.

Experten bezweifeln die angegebenen Daten der Videos. Auch ist unwahrscheinlich, dass die beiden Männer, die Babitzki in Empfang nahmen, tschetschenische Rebellen sind. Die tragen nämlich nie Masken. Später dementiert Tschetscheniens Präsident Maskhadow, dass sich Babitzki in der Gewalt seiner Truppen befindet, während Maskhadows Repräsentant in Moskau dies bestätigt.

Eine angeblich demokratische Regierung hat also einen Bürger aus dem Gewahrsam ihrer Sicherheitsorgane an Leute ausgeliefert, die sie selbst als Terroristen bezeichnet. Gleichzeitig gab sie ihn zur Tötung frei und präsentierte ein Dokument, dem zufolge dieses Vorgehen schon am 31. Januar geplant gewesen sein muss.

Es bleibt ein Mysterium, wer Babitzki zur Geisel machte. Der Geheimdienst FSB (früher KGB) wäscht seine Hände in Unschuld. Den Austausch habe ein Mitarbeiter „rein zufällig“ gefilmt. Der einzige zu identifizierende Mann außer Babitzki ist ein Mitarbeiter der Kommission beim Präsidenten für die Befreiung von Gefangenen. Auch diese Kommission bestreitet, etwas damit zu tun zu haben.

Die hohen Funktionsträger der Russischen Föderation, die nicht für die Auslieferung Babitzkis verantwortlich sein wollen, sparen aber nicht mit Kommentaren. So sagte Verteidigungsminister Igor Sergejew: „Von solchen wie Babitzki würde ich gleich zehn Stück gegen einen einzigen unserer Soldaten eintauschen.“ Der stellvertretende Generalstabscheft Waleri Manilow: „Wo er hergekommen ist, dorthin ist er auch wieder zurückgegangen“. Diese Herren demonstrieren so ihr geringes Unrechtsbewusstsein und ihre sowjetischen Reflexe. Babitzki musste bestraft werden, weil er für seine journalistische Arbeit niemand um Erlaubnis fragte und für einen Sender des Feindes arbeitete.

Und die Justizorgane? Nachdem zu sehen war, wie Männer in Masken Babitzki fortführten, zitierte ihn die russische Generalstaatsanwaltschaft erneut zum Verhör – wegen „Mitgliedschaft in bewaffneten Formationen“.

Offenbar weiß Babitzki Dinge, die Putins Wahlsieg gefährden könnten. Mit Sicherheit weiß er über die Zustände in den russischen Filtrationslagern. Hinter deren Mauern herrscht heute wieder das Zeitalter der Inquisition. Die russischen Medien schweigen darüber, weil es keine Zeugen gibt. Mit der Freilassung Babitzkis wären solche Zeugenaussagen erschienen. Wie beliebt wäre Putin ohne den Einmarsch der Truppen Bassajews in Dagestan? Der Terrorist hatte die Kämpfe dort durch einen zweijährige Festungsbau entlang der gesamten tschetschenisch-dagestanischen Grenze vorbereitet – mit Duldung der russischen Sicherheitsorgane. Dies ist allgemein bekannt. Nicht bekannt sind dagegen bis heute die Hintermänner der Explosionen in Moskauer Wohnhäusern. Dieser Terror stimmte die Bevölkerung psychologisch auf den Krieg ein. Musste Babitzki verschwinden, weil er von den Feldkommandeuren auch darüber Informationen erhielt, die den Kreml kompromittierten?

Putin musste sich in einer öffentlichen Fragestunde am Mittwoch zu Babitzki äußern. Dabei griff er zu einem bewährten Mittel aus der Mottenkiste sowjetischer Politoffiziere: Er stellte sich dumm: „Heute habe ich von einem meiner Assistenten erfahren“, sagt er, „dass bei einer der TV-Stationen eine Videokassette aufgetaucht sei, auf der Babitzki sage, mit ihm sei alles okay.“ Babitzkis Kollegen wollen Putin nicht aus der Verantwortung entlassen. Sollte er Ende Januar wirklich nicht gewusst haben, was mit Babitzki geschah, beweise dies nicht nur seine Inkompetenz. Dann ließe sich der Sicherheitsapparat wohl von niemandem mehr lenken. Er wäre dann nicht nur für Russlands Bürger gefährlich, sondern für die ganze Welt. Sollte Putin aber das üble Spiel selbst mit geplant haben, ist er selbst gefährlich.

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