: Die FDP wird Graswurzelpartei
■ Die Basis soll es richten: Nachdem Wolfgang Gerhardt die hessischen Liberalen nicht zur Räson bringen konnte, soll jetzt ein Sonderparteitag Ministerpräsident Roland Koch stürzen
Schon der Zeitpunkt ist ein Schachzug. Bis Montag um zwölf Uhr Mittag wartet FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle, ehe er der Presse den spektakulären Beschluss des Präsidiums vom Vorabend erläutert. Im Medienkrieg zwischen der Bundespartei und dem hessischen Landesverband möchte der PR-General auch am Dienstag wieder die Schlagzeilen bestimmen: Koch muss weg, lautet seine Botschaft seit bald einer Woche, und diesmal haben wir wirklich das geeignete Mittel dafür gefunden.
Am Sonntagabend hat das oberste FDP-Gremium die Basis in Hessen zur Rebellion aufgefordert. Mit Hilfe eines Sonderparteitags sollen die FDP-Mitglieder in Hessen ihren Landesvorstand jetzt doch noch zur Umkehr zwingen. Dieser hatte sich am Samstag mit 15:7 Stimmen hinter Ministerpräsident Roland Koch gestellt – obwohl der Christdemokrat Ende letzten Jahres wissentlich einen gefälschten Rechenschaftsbericht abgab.
Für Westerwelles Chef, den Bundesvorsitzenden Wolfgang Gerhardt, bedeutete das Ergebnis von 15:7 das Ende seines zweiten Anlaufs, Koch aus dem Amt zu jagen. Bereits letzte Woche hatte das FDP-Präsidium vergeblich den Sturz des CDU-Aufsteigers gefordert. Wie um die Schmach vergessen zu machen, spricht darum am Montag Westerwelle von Zustimmung zu Gerhardts Kurs im Verhältnis „89 zu 11“. 89 Prozent der Einzelmeinungen, welche die Parteizentrale in den letzten Tagen erreichten, lagen auf Anti-Koch-Kurs. Auch wenn es sich dabei nicht immer um Parteimitglieder handelte, ist in der Tat schon die Zahl von 76.000 Reaktionen beeindruckend.
Die Bundesspitze setzt damit ihre Website www.fdp.de als Instrument im parteiinternen Machtkampf ein. Während die CDU sich darauf beschränkt, Zorn, Kritik und Zweifel in ihrem Internet-Forum einfach abzudrucken, versicherte die FDP sich über eine Online-Abstimmung zum Thema Koch der Unterstützung ihrer Basis.
Im Berliner Thomas-Dehler-Haus glaubt man fest daran, mit Hilfe eben dieser Basis eine kleine Runde halsstarriger Funktionäre in Wiesbaden zum Einlenken zu bewegen. Die Mehrheit der 26 Kreisvorsitzenden befürworte den Bruch mit Koch, lässt der Generalsekretär wissen, nur seien sie leider bei der Sitzung des Landesvorstandes nicht abstimmungsberechtigt gewesen. Zu schaffen macht den FDP-Oberen offenbar der Vorwurf der hessischen Parteiführung, die Berliner wollten das Image der Partei im Bund auf Kosten der Regierungsbeteiligung in Hessen sanieren. „Wir schielen nicht auf irgendwelche Umfragen, sondern wir stehen zu unseren Überzeugungen“, verkündete Westerwelle in Berlin.
Im Übrigen hat sich das FDP-Präsidium in einem wesentlichen Punkt selbst korrigiert: Vergangene Woche stieß auch der Ausstieg aus der Koalition mit der CDU auf eine große Mehrheit. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Der Präsidiumsbeschluss vom Sonntag erwähnt das Thema nicht, und Westerwelle stellte klar: „Es geht nicht um die Frage der Koalition in Hessen.“
Ob es freilich auf dem Sonderparteitag nur um den CDU-Mann Koch und seine Freunde bei der FDP geht, bezweifeln selbst in der Partei viele. Wolfgang Gerhardt wünscht sich den Parteitag als ein Forum gegen Roland Koch. Der Sonderparteitag ist aber zugleich ein Tribunal über die Zukunft von Wolfgang Gerhardt. Es ist nicht nur sein dritter Anlauf, den Ministerpräsidenten von Hessen zu stürzen, es dürfte auch sein letzter sein. Wenn Gerhardt nicht Koch stürzt, stürzt Gerhardt über Koch.Patrik Schwarz, Berlin
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