piwik no script img

Traum von der Erfüllung

Liebe ist möglich, wenn auch nur für einen Augenblick: „Across a Gold Prairie“ (Forum)

Alle großen Liebesfilme enden tödlich, und der Traum von der Erfüllung wird vom wirklichen Leben verraten. Das wirkliche Leben scheint nur ein Ersatz zu sein für das Glück der erlösenden Liebe, von der man manchmal träumt, und dann lächelt man sanft im Schlaf wie der Held des japanischen Films „Across a Gold Prairie“, der nicht weiß, ob er träumt oder wacht.

Die größte Liebe scheint die erste zu sein, von der man als Teenager vielleicht träumt, ohne sie je zu erlangen. Und dann kriegt man Ohrfeigen, und es wird einem gesagt, hör auf zu träumen, werd endlich erwachsen und stell dich gefälligst der Wirklichkeit. Dass die Liebe in der Wirklichkeit Schaden nimmt, ist die Bedingung ihrer Möglichkeit. Darüber hat Marcel Proust am genauesten geschrieben; darüber hat Isshin Inudo den vielleicht schönsten Film gemacht: „Across a Gold Prairie“. Es ist nicht einfach, über diesen Film zu schreiben, wenn man selber die letzte halbe Stunde im Kino ohnehin nur noch geheult hat. Und es ist ganz seltsam, dass als Vorlage dieses Films ein Comic diente.

Wegen einer schweren Herzkrankheit konnte der 80-jährige Nippori Ayumi (Yusuke Iseya) während der letzten 60 Jahre sein Haus nicht verlassen. Eines Morgens wacht er auf und hat seine Erinnerungen verloren. Er glaubt, wieder 20 zu sein. Seine Umgebung erscheint ihm völlig fremd. So entschließt er sich, zu glauben, dass er nur träume, und sein Traum ist schön. In seinem Traum ist die 18-jährige Kodai Narisu (Chizuru Ikewaki), die ihn Tag für Tag betreut, in Wirklichkeit seine große Jugendliebe. Narisu weiß nicht so recht, ob sie das komisch oder anrührend finden soll, und hat auch genug mit ihren eigenen Liebesunsicherheiten zu kämpfen. Manchmal liest sie in seinen Tagebüchern, die er geführt hat, damit die Menschen wissen, wer er einmal war, wenn er dann tot ist.

Der Film spielt vor allem in Nipporis altem Haus. Nippori wird von einem jungen Mann gespielt, dem die Darstellung der Unschuld und Hinfälligkeit des Alten ganz großartig gelingt. Man sieht Narisu die Hausarbeit machen und Nippori, wie er sie so liebevoll zerbrechlich anschaut und sich in seinem altmodisch flotten hellen Anzug so sehr wünscht, mit ihr zusammen spazierenzugehen. Einmal erzählt sie ihm von ihrem gebrochenen Herzen, und er möchte alte Freunde anrufen, um sie wieder aufzuheitern, doch alle sind schon längst tot. In einer wunderschönen Szene schauen beide aus einem Dachbodenfenster in den Himmel, und er erzählt ihr, wie er sich immer vorgestellt hatte, fliegen zu können, und zeigt ihr, wie schön es ist, mit geschlossenen Augen in die Sonne zu gucken.

Einmal irrt er desorientiert im Schlafanzug durch die Straßen und möchte sie besuchen, aber weiß ihre Adresse nicht. Einmal begegnet ihm ein junger Mann, der meint, 13 zu sein, und der auch gegen die Wirklichkeit ist. Irgendwann möchte Narisu Nippori heiraten – aus Mitleid, aus Liebe –, und am Ende steht er auf dem Dach und will springen, um herauszufinden, ob er nun träumt oder wacht. Glück ist möglich, Liebe ist möglich, wenn auch vielleicht nur für den herzzerreißenden Augenblick zwischen Sprung und Aufschlagen. Im Delphi weinten alle Japaner und filmten das danach mit ihren kleinen Kameras ab. Es wäre gut, wenn „Across a Gold Prairie“ mit allen Preisen des Festivals ausgezeichnet wird.

Detlef Kuhlbrodt „Kinpatsu No Sogen“. Regie: Isshin Inudo, Japan, 96 Min. Heute, 19.30 Uhr, Arsenal.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen