: Eine Torquote fast wie Gerd Müller
Mit der Berufung des angeblichen Ungarn Zoltan Sebescen in die deutsche Nationalelf macht der mutige Erich Ribbeck einen großen Satz in die Zukunft ■ Von Bernd Müllender
Berlin (taz) – Erich Ribbeck, Teamchef, weiß: „Die Zeiten haben sich geändert.“ Er hat knallhart in seinem 62-jährigen Gedächtnis recherchiert und ist dabei „die Stürmer aus den Vereinen durchgegangen“. Resultat: „Mir fallen nur Ausländer ein.“ Und fragt sich und uns streng: „Was sollen wir machen? Den Spielbetrieb einstellen?“
Will man das? Ist es so schlimm geworden? Erich Ribbeck hat eine bessere Idee: „Wir müssen mit einigen Tabus brechen.“ Gesagt, gewagt, getan: Ribbeck hat Zoltan Sebescen in die Nationalmannschaft berufen für das Spiel nächsten Mittwoch gegen Holland.
Was weiß man über Zoltan Sebescen? Gar nicht so wenig: Er ist, erstens, tatsächlich Fußballspieler. Seit Juli in Wolfsburg, was in Niedersachsen, also Deutschland liegt. Vorher war er bei den Stuttgarter Kickers (Schwaben). Sebescen hat immerhin zwei ganze Bundesligaspiele absolviert und fünf teilweise; Saisongesamtleistung: 412 Minuten. Einmal hat der rechte Mittelfeldler, dessen Name in Wolfsburg nach einem halben Jahr schon viele richtig auszusprechen wissen, eine erfolgreiche Torflanke gegeben. Und zweimal das Tor getroffen; eine Quote, die an Gerd Müller denken lässt. Und sonst: Abi 2,2, BWL-Fernstudent, 24 Jahre, Spitzname „Zolli“, vorbildlicherweise Hunde- und Gottesfreund („So oft es geht, gehe ich in die Kirche“), Lieblingsfilm: „Dumm und dümmer“, 188 Zentimeter hoch, hat als Torwart angefangen. Nichts, was gegen ihn spräche.
Und Wolfsburg? Ist glücklich: Die Heimatblätter waren gestern voll begeisterter Kommentare und Glücksbekundungen. „Super“, „sensationell“, „toll“, „riesige Sache“, frohlocken alle im Verein. Zoltan selbst war „erst mal baff“.
Ribbeck, der Mutige, hätte auch Frank Greiner küren können, der in Wolfsburg häufiger als Sebescen auf Sebescens Position spielt. Aber vielleicht kennt er den nicht. Das ist nicht böse zu verstehen: Auch bei Sebescen gab es mannigfaltige Hindernisse. Ribbeck hat ihn nämlich erst „eineinhalbmal gesehen“. Wir wissen nicht, wie einhalbmal sehen geht, ob ein ganzes Spiel mit einem Auge oder ein halbes beidäugig, aber wir können sagen: Eine gute Quote, über 20 Prozent. Und wir hören: „Sebescen hat mir so gut gefallen, dass ich mich gleich nach ihm erkundigt habe.“
Was auch nicht leicht war: Ribbecks Informant, der A2-Trainerkollege Horst Hrubesch, hat noch im November Meldung gemacht, Sebescen sei Ungar. Das wurde korrigiert (Sebescen ist seit 15 Jahren Deutscher). Doch dann war Ribbeck auch noch „fast erschrocken, als ich gelesen habe, dass er erst sieben Bundesligaeinsätze hat“. Ist das wenig? Nein: Andere haben weniger. Oder haben verletzt noch kein einziges Spiel in diesem Jahr bestritten, wie Carsten Jancker. Auch er steht im Aufgebot. Anders als Tarnat und Beinlich. Ribbeck: „Vielleicht habe ich das Pech gehabt, von denen die falschen Spiele gesehen zu haben.“ Womöglich sogar anderthalbmal.
Ribbeck hat durchgegriffen und „faule Äpfel“ aussortiert. Obwohl es so eine geringe Personalauswahl gibt, wie er sagt. Und: „Wir warten mal ab, vielleicht spielt Sebescen sogar.“ Er meint „gegen Holland“, denn auch Hrubesch hält den vermeintlichen Ungarn nicht für einen Holländer. „Ich hoffe“, sagt Ribbeck, „nach der Partie sind wir schlauer.“
Wir sind es jetzt schon. Denn Erich Ribbeck hat auch dem Berliner Andreas Schmidt Hoffnung gemacht, zum nächsten Sebescen zu werden. Seine Begründung: „Er spielt sehr unauffällig.“ Auffälligerweise ergänzte der launige Teamchef: „Obwohl der so einen unauffälligen Namen hat.“
Vor allem hat Schmidt einen deutschen Namen. Den hält man nicht ungar für einen Ungarn oder Ungermanen. In diesem Sinne dürfen als Nächste auf eine Nominierung in die deutsche Nationalelf hoffen: Franz Wohlfahrt fürs Tor, Andreas Herzog, auch angebliche Schweden wie Peter Wibran und Ebbe Sand, wegen des natürlichen Vornamens Otto Addo und Anton Yeboah und auch der Freiburger Su Bayer Bayer. Und wann kommt die Einberufung für den Brasilianer Mozart, auch wenn der Österreicher ist? Sonst wird Ribbeck bald durch Brasiliens Kollegen Luxemburgo ersetzt. Aber Luxemburg ist ja nur 3. Liga.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen