: Gilt Mecklenburger Landrecht in Hamburg?
Knifflige Rechtsfragen sind in einem Prozess gegen Antifaschisten zu lösen, die beim Bergedorfer Neonazi-Aufmarsch im Juli von auswärtigen Polizisten „zerstreut“ wurden ■ Von Kai von Appen
Schon vor zwei Wochen setzte die Bergedorfer Amtsrichterin Claudia Wetjen den Prozess gegen André H. wegen Widerstand aufgrund einer Grundsatzfrage aus, da diese nicht ad hoc zu klären war. Und auch gestern im Prozess gegen Tobias H. (23) zeigte sie sich nicht abgeneigt, das Verfahren vorerst abzubrechen. Die knifflige Rechtsfrage lautet: Dürfen auswärtige Polizisten eigenmächtig auf Hamburger Territorium eine Demonstration auflösen, obwohl sie eigentlich die Demo nur begleiten sollten?
Der Student Tobias H. war am 10. Juli 1999 mit mehreren Kommilitonen aus Göttingen nach Bergedorf gekommen, um gegen den dortigen Aufmarsch der „Freien Nationalisten“ zu protestieren. Doch ihnen bot sich ein „erschre-ckendes“ Szenario. Während die Neonazis für „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ marschieren durften, waren Gegenproteste von der Innebehörde verboten worden (taz berichtete).
Frustriert machten sich die Göttinger Studis nachmittags wieder auf den Heimweg. Als sich auf der Bergedorfer Straße eine spontane Demo zum Bahnhof formierte, schlossen sie sich dem Marsch an. Plötzlich seien Schweriner Polizisten aufgetaucht und hätten die 60 Teilnehmer mit Gummiknüppeln auf den Fußweg abgedrängt. „Ich habe nicht wahrgenommen, dass sich jemand der Maßnahme widersetzt hat“, berichtete Tobias H. gestern vor Gericht. Dennoch seien die Polizisten „blitzartig“ in die Menge gegangen: „Ein Mann wurde niedergestoßen“, so H. weiter – es war André H. „Ich habe gerufen: ,Was soll das?'.“ Wenig später wurde er selbst festgenommen. Angeblich habe er versucht, den am Boden Liegenden zu befreien, indem er den Schweriner Beamten Andreas B. gegen das Knie getreten und an dessen Jacke gezerrt habe. Tobias H. bestreitet das: „Ich habe mich in keiner Weise zur Wehr gesetzt.“
Dass die Demo nicht ordnungsgemäß durch Aufforderungen aufgelöst wurde – „als Festnahmezug haben wir keine Megaphone“ – musste B. gestern eingestehen. „Wir hatten den Befehl, die Gruppe zu begleiten.“ Da der Verkehrsfluss jedoch gestört worden sei, habe sein Zugführer den Befehl zum Abdrängen gegeben. Da André H. dem nicht Folge geleistet habe, habe er Polizeirecht angewendet: „Ich habe ihn mit körperlicher Gewalt nach Paragraf 106 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern in Bodenlage verbracht“, so B.
Anwalt Jochen Lau belehrte ihn daraufhin, dass er sich in Hamburg befunden habe und machte ihn überdies auf Widersprüche aufmerksam: Während mehrere Zeugen bestätigten, dass Tobias H. ohne Grund von Kollegen zu Boden gerissen worden sei, hat der Beamte bislang zwei Versionen präsentiert. Im Bericht will er getreten worden sein, bevor er André H. „zu Boden gebracht“ habe; gestern sagte er aus, der Tritt habe sich danach zugetragen.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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