: Können Limbachs Listen lügen?
Rente, LER, Weihnachtsgeld – das Bundesverfassungsgericht hat eine Liste aktuell bedeutsamer Verfahren angelegt, die es erst nächstes Jahr entscheidet ■ Von Christian Rath
Karlsruhe (taz) – Das Wort „Lügenliste“ hört Jutta Limbach gar nicht gern. Doch in Karlsruhe weiß jeder, was damit gemeint ist. Anfang des Jahres kündigt die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts an, welche Verfahren Deutschlands höchstes Gericht im laufenden Jahr abschließen will. Meist ist man schon froh, wenn die Hälfte der „angestrebten“ Urteile tatsächlich zustande kommt.
In diesem Jahr galt das Interesse mehr noch als sonst der Frage, welche der angekündigten Großverfahren wohl etwas verfrüht auf Limbachs Liste gerieten. So ist schon länger bekannt, dass über die Zulässigkeit das Faches LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religion) im Land Brandenburg wohl nicht mehr in diesem Jahr entschieden wird. „Die Belastung des ersten Senats ist einfach zu hoch“, erklärte Vizepräsident Hans-Jürgen Papier. LER wird in Brandenburg statt Religion erteilt.
Für Erstaunen sorgte aber, dass auch die Frage der Rentenbesteuerung wohl erst nächstes Jahr entschieden wird. Vergangenen Herbst hieß es, das Urteil sei bereits so gut wie fertig. „Das war alles frei erfunden“, sagte Präsidentin Limbach gestern auf Nachfrage. Die Bundespolitik muss sich nun auf einen neuen Zeitplan einstellen. Bislang waren die Rentenexperten in Berlin von einer baldigen Entscheidung ausgegangen – um sie der geplanten Rentenreform zugrunde zu legen.
Das Bundesarbeitsministerium will dagegen nicht auf Karlsruhe warten. Minister Walter Riester will „in der zweiten Jahreshälfte“ einen Gesetzentwurf zur Einbeziehung von Weihnachts- und Urlaubsgeld in die Leistungen der Sozialversicherung vorlegen. Bisher müssen Arbeitnehmer für solche „Einmalzahlungen“ zwar Beiträge entrichten, für die Berechnung von Arbeitslosen- und Krankengeld spielen sie dann aber keine Rolle. Karlsruhe wird nun prüfen, ob die zahlreichen Richtervorlagen mit dieser neuen Entwicklung nicht an Dringlichkeit verloren haben. Im letzten Jahr hatte Bild eindrucksvoll an Karlsruhe appelliert: „Liebe Richter, bitte gebt uns unser Geld zurück.“
Mehrere wichtige Verfahren sollen tatsächlich in diesem Jahr entschieden werden. Das wichtigste dürfte die Frage der Entschädigung für enteignete Grundbesitzer in Ostdeutschland sein. Hier ist für den April eine mündliche Verhandlung anberaumt. Außerdem will Karlsruhe nun endlich entscheiden, ob die EU-Bananenmarktordnung Grundrechte deutscher Importeure verletzt. An diesem Verfahren dürfte sich ablesen lassen, ob sich nach dem Ausscheiden von Paul Kirchhof die europaskeptische Haltung des Gerichts wandeln wird.
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