: Lügen im Namen Gottes
Die Berliner Islamische Föderation e. V. will Islamunterricht an Schulen erteilen. In ihrem Buhlen um gesellschaftliche Akzeptanz verleugnet sie ihre Abhängigkeit von Milli Görüș ■ Von Eberhard Seidel
Die Islamische Föderation als Trägerin von Islamunterricht an Berliner Schulen? Das wäre, als unterrichtete das Bildungswerk der rechtsextremen „Republikaner“ politische Bildung an öffentlichen Schulen. Mit der Islamischen Föderation würde eine neue polarisierende Tonlage an den Berliner Schulen einkehren, die nicht der Integration dient, sondern der weiteren Abschottung eines Teils der Muslime. „Wir leben in einer Gesellschaft, die unsere heiligen Werte verbrennen will.“ Das meinte kein Geringerer als der Präsident der Islamischen Föderation Nail Dural am 4. Dezember 1999 im Türkischen Fernsehen in Deutschland (TFD). Als Gegenmittel empfahl Dural, mehr islamisch befreite Zonen in der ungläubigen Barbarei zu errichten. „Diejenigen, die Moscheen bauen, gehen ins Paradies ein. In den Bezirken, in denen keine Moscheen gebaut werden, sagen ihre Eltern, dass ihre Kinder verloren sind.“ Wer über die Islamische Föderation spricht, darf von der einflussreichen islamistischen Organisation Islamische Gemeinschaft – Milli Görüs e. V. (IGMG) nicht schweigen.
Ein Netzwerk von Tarnorganisationen
Die Organisation, die nach Angaben ihres Vorsitzenden Mehmet Sabri Erbakan europaweit 160.000 Mitglieder hat, betreibt systematisch die Islamisierung des Lebens in Westeuropa – mit Hilfe eines weit verzweigten Netzes von Tarn- und Tochterorganisationen wie der Islamische Föderation. Ob es um die Befreiung von Mädchen vom Sport- oder Sexualkundeunterricht geht, um das Recht auf Tragen des Kopftuches im Unterricht, am Arbeitsplatz – die IMGM ist es, die in der Regel hinter den Musterprozessen steht.
Milli Görüș ist eine politische Organisation und ein Wirtschaftsunternehmen mit religiösem Anstrich. Bei der 1976 gegründeten Milli Görüș handelt sich um die Auslandsorganisation des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten und Islamistenführers Necmettin Erbakan, der in der Türkei die Errichtung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung anstrebt. Der Name Milli Görüș (Nationale Sicht) geht auf das gleichnamige programmatische Buch von Necmettin Erbakan zurück, das er 1973 in Istanbul veröffentlichte . Ihre Anerkennung als Religionsgemeinschaft erreichte die Islamische Föderation vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht auch deshalb, weil sie die Öffentlichkeit über ihre personelle und institutionelle Verflechtung mit Milli Görüș täuschen konnte. Tatsächlich ist sie seit ihrer Gründung im Januar 1980 aufs engste mit Milli Görüș verbandelt.
Beispielsweise Nail Dural, der Alleinvertretungsberechtigte der Islamischen Föderation: Seit 1980 bis heute ist er deren Präsident und Imam. Bereits 1979 war er Vorstandsmitglied von Milli Görüș Berlin. Im Oktober 1995 war er nach der taz vorliegenden, vereinsinternen Listen ihr stellvertretender Vorsitzender mit der Mitgliedsnummer 4.904. Nail Dural ist für alle Milli-Görüș-Abteilungen in Berlin, insbesondere für die Islamische Föderation, zuständig. Nail Dural ist kein Einzelfall. Yakup Tasci (Mitgliedsnummer 2.940), der bereits 1976 Mitglied des Gründungsvorstand von Milli Görüș Berlin war, ist zum einen der Ansprechpartner für die islamische Grundschule, deren Trägerverein, das Islamkolleg e. V., wiederum Mitglied der Islamischen Föderation ist. Gleichzeitig organisiert Tasci für Milli Görüș die Pilgerfahrten nach Mekka.
Aykut Haldun Algan mit der Mitgliedsnummer 6.580 ist eine weitere schillernde Figur im Milli-Görüș-Gestrüpp. Er war im Laufe der Jahre Vorsitzender von Milli Görüș Berlin, stellvertretender Geschäftsführer und Finanzverwalter der Islamischen Föderation und Chefredakteur des von Milli Görüș betriebenen Fernsehsenders Türkisches Fernsehen in Deutschland (TFD). Sein Bruder, Ahmet Algan, wiederum ist Gründungsmitglied der Islamischen Föderation zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Diese und weitere Mitglieder des Algan-Clans sind führende Aktivisten im Islamischen Frauenverein Cemiyet-i Nisa, der Islamischen Religionsgemeinschaft e. V., dessen Vorstand von Milli-Görüș-Mitgliedern dominiert wird, und in der Islamischen Stiftung.
Alle praktisch unter einem Dach versammelt
All diese Vereine, einschließlich der Islamischen Grundschule und dem Deutsch-Türkischen Fernsehen, betonen ebenso wie die Islamische Föderation ihre Unabhängigkeit von Milli Görüș. Alle haben sie ihren Sitz in der Boppstraße 4 in Berlin-Kreuzberg, einem Komplex mit drei Gebäuden. Nach außen fungiert die so genannte Islam Vakfi (Islamische Stiftung) als Träger des Anwesens. Gründungsmitglied der 1983 ins Leben gerufenen Islam Vakfi: unter anderem Nail Dural. Von 1984 bis 1995 ist der Vorstand der Islamischen Föderation identisch mit dem Vorstand der Islam Vakfi. Das Anwesen Boppstraße 4 wurde von Ali Yüksel, dem ehemaligen Vorsitzenden der IGMG Deutschland, im Januar 1996 im TFD als Haus der IGMG Berlin bezeichnet. Zu Recht.
Tatsächlich heißt es in einem 1986 abgeschlossenen 9-Punkte-Vertrag zwischen Osman Karakoyun (Gründungsmitglied der Islam Vakfi), dem die Boppstraße 4 „anvertraut“ wurde, und Milli Görüș, dass die Verwaltung des Gebäudes ganz und gar der Berliner Milli Görüș unterliegt. Der Vertrag ist in mehrfacher Hinsicht brisant. Belegt er doch, was von Milli Görüș immer wieder geleugnet wird: ihre direkte Abhängigkeit von Necmettin Erbakan. So heißt es in Punkt 6 des Vertrages: „Die Berliner Milli Görüș ist von der Nationalen Heilspartei, MSP (Anmerk.: das war die Partei Necmettin Erbakans, die nach dem Militärputsch 1980 verboten wurde), berufen und vertritt die AMGT (Anmerk.: dies war die Vorläuferorganisation der IGMG) in Berlin. Auch wenn sich der Name der Institution oder die leitenden Personen ändern sollten, so haben sich die Nachfolger an denselben Zielen zu orientieren, gilt dieselbe Hierarchie. Das hierarchische Prinzip ist das des Emirats.“ In Punkt 8 heißt es: „Bei Streitigkeiten mit der Berliner Milli Görüș hat die AMTG die Richterfunktion, bei Streitigkeiten mit der AMTG die MSP (Anmerk.: also Necmettin Erbakan) die Richterfunktion.“
Dieses sowohl von der Islamischen Föderation als auch von Milli Görüs inszenierte personelle und organisatorische Verwirrspiel könnten wir weiterführen. Es soll an dieser Stelle genug sein für die Beweisführung: Die Islamische Föderation ist keine unabhängige Organisation, sondern ein Satellit, dessen Umlaufbahn und Kurs von Milli Görüș bestimmt wird. Was ist der Sinn dieses Versteckspiels?
Neben der Öffentlichkeit soll der Verfassungsschutz getäuscht werden. Die Islamische Föderation wurde bis 1991 vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet, Milli Görüș wird dies auch heute noch von einigen Landesämtern. Verfassungsfeindlichkeit – dieses Kainsmal würde die Anstrengungen um gesellschaftliche Anerkennung der islamistischen Organisationen empfindlich stören. Und damit die Bemühungen der Islamischen Föderation, mittels des Religionsunterrichts ihren Beitrag zur Islamisierung der bundesdeutsche Gesellschaft zu leisten.
Vor Fallen der fremden Kultur schützen
Milli-Görüș-Funktionäre sind zumindest der deutschsprachigen Öffentlichkeit gegenüber keine Radikalfundamentalisten. Ihnen gehe es darum, den türkischen Muslimen eine „islamische Identität“ zu ermöglichen. „In einem Umfeld mit anderen Religionen und anderer Kultur müssen wir die muslimischen Kinder schützen. Um sie vor den Fallen der fremden Kultur und des unmoralischen Lebenswandes zu schützen, müssen wir noch mehr Opfer bringen“, so der IGMG-Vorsitzende anlässlich eines Besuches in einer Schulungseinrichtung in Belgien. Das bedeutet natürlich vor allem Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft.
Islamische Identität, Schutz der muslimischen Kinder, Fallen der fremden Kultur – hinter dieser Rhetorik steht ein Anfang der Neunzigerjahre erfolgter Paradigmenwechsel in der Politik islamistischer Gruppen. Auf diesen hat Gilles Kepel, Professor am Institut für politische Bildung in Paris, bereits 1996 hingewiesen. Bis Ende der Achtzigerjahre betrachteten islamistische Gruppen Westeuropa nicht als Gebiet des Islam (Dar al-islam). Westeuropa gehörte, im Gesamtbereich der Gottlosen (Dar al-kufr), zu einem Gebiet vertraglichen Friedens (Dar al-ahd), wo die Muslime es nicht zu einem offenen Konflikt mit der gottlosen Umgebung kommen ließen. „Konkret bedeutete dies, dass Europa heiliges Gebiet war, ein Zufluchtsort für alle in ihren Ursprungsländern verfolgten Bewegungen. Die Gruppen vermieden daher jeden Konflikt“, so Kepel.
Der Wechsel im Selbstverständnis hat stattgefunden. Europa wird nun als Dar al-islam betrachtet. Das heißt, Muslime sind hier zu Hause und müssen nach Regeln der Scharia leben können. Da dies für die Minderheit nur bedingt möglich ist, sind zumindest islamisierte Räume zu schaffen, in denen eine vom Islam bestimmte moralische Ordnung gilt. Das kann eine Schulklasse sein, ein Straßenzug oder ein Stadtviertel. Nur so könne der soziale Frieden gewahrt und könnten Drogensucht und Kriminalität bekämpft werden.
Auch der Vorsitzende von Milli Görüș, Mehmet Sabri Erbakan, bläst in dieses Horn, wenn er meint: „Ohne Milli Görüș wäre es in Stadtteilen wie Berlin-Kreuzberg und Köln-Nippes viel unruhiger.“ Für Gilles Kepel wird mit dieser Logik ein Prozess kultureller Abspaltung zu Ende geführt und eine soziale Organisation begünstigt, in der sich geschlossene Gemeinschaften gegenüberstehen. Wie weit diese Entwicklung von Parallelgesellschaften bereits fortgeschritten ist, lässt sich im Umfeld der Boppstraße in Berlin-Kreuzberg studieren. Dort häufen sich Klagen von Anwohnern, die von extremen Muslimen ob ihrer „freizügigen“ Kleidung angemacht oder manchmal sogar bespuckt werden.
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