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Irans Reformer erobern Teheran

■ Nach den bisherigen Auszählungen der Parlamentswahlen liegen die Reformer weit vorne. Ex-Präsident Rafsandschani und Ex-Geheimdienstchef Fallahian sind abgeschlagen

Berlin (taz) – Irans Reformer haben bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Freitag allen Anschein nach auch die Hauptstadt Teheran erobert. Nach ersten offiziellen Ergebnissen lagen Reformpolitiker gestern mit 28 von 30 zu vergebenden Parlamentssitzen in Führung. Am Wochenende hatte sich bereits in der Provinz eine deutliche Niederlage der Konservativen abgezeichnet.

Den vorläufigen Ergebnissen aus Teheran zufolge liegt der Bruder von Präsident Mohammad Chatami, Mohammad Resa Chatami, mit 56,43 Prozent in Führung. Auf Platz zwei findet sich die prominente Reformerin Dschamileh Kadivar, auf Platz drei der ebenfalls reformorientierte Hadi Husseini Chamenei, Bruder des stockkonservativen Religiösen Führer des Landes, Ali Chamenei. Insgesamt konnten 26 Kandidaten die erforderliche Mindeststimmenzahl von 25 Prozent auf sich vereinigen. Sollte sich das Ergebnis stabilisieren, dann müssten die restlichen vier Sitze in einer Stichwahl verteilt werden. Bislang seien 15 Prozent der mehr als drei Millionen Teheraner Stimmen ausgezählt. Mit einem Endergebnis wird in den kommenden Tagen gerechnet.

Durchgefallen ist allem Anschein nach der ehemalige Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, den die Konservativen als künftigen Parlamentspräsidenten vorgesehen hatten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im sechsten Parlament der Islamischen Republik vertreten ist seine Tochter Faiseh Haschemi. Dabei gilt sie als Frontfrau der Reformer. Im zentraliranischen Isfahan fiel Ex-Geheimdienstminister Ali Fallahian durch. Dort gingen alle fünf zu vergebenen Parlamentssitze an Reformer.

Bis gestern Nachmittag waren die Stimmen für 260 der 290 Parlamentssitze ausgezählt. Danach entfielen auf die Reformer 110 Sitze. Die Konservativen erhielten lediglich 26 Sitze, die unabhängigen Kandidaten 53. Fünf Sitze sind für religiöse Minderheiten reserviert.

In 50 Wahlkreisen muss in einer Stichwahl entschieden werden. Mehr als 80 Prozent der rund 39 Millionen Wahlberechtigten hatten am Freitag ihre Stimme abgegeben.

Im Ausland wurde das bisherige Wahlergebnis begrüßt. Der Sprecher des US-Außenministeriums, James Rubin, sagte, die USA hofften, dass der eindeutige Wunsch des iranischen Volkes nach mehr Offenheit und Mitsprache von den gewählten Vertretern umgesetzt werde und dass dies in einem neuen Verhältnis des Iran gegenüber der übrigen Welt deutlich werde. Das russische Außenministerium erklärte, Russland hoffe, dass das Ergebnis den demokratischen Prozess im Iran stärken werde.

Einen ersten Erfolg zeigte das Votum der IranerInnen bereits am Sonntag. Der wegen angeblicher Schmähung des Islam zu fünf Jahren Haft verurteilte ehemalige Innenminister Abdullah Nuri erhielt Hafturlaub. Nuri ist ein enger Vertrauter Chatamis und sollte eigentlich bei den Wahlen das Reformlager anführen. Der konservative Justizapparat hatte das verhindert.

Aber es gab auch bereits einen ersten Rückschlag: Ein Gericht bestätigte laut Presseberichten von gestern das Todesurteil gegen den Studentenführer Akbar Mohammadi.

Thomas Dreger

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