: „Eine Neuorientierung wäre nötig“
■ Die große Koalition muss ihre bisherige Sanierungspolitik überdenken, meint der Präses der Handelskammer Bernd Hockemeyer. Der Kulturetat sollte erhöht, Mittel aus dem Wirtschaftsressort könnten dafür umgeleitet werden
Vor einigen Monaten bildeten die Kulturinitiative „Anstoß“ und die Bremer Handelskammer den Arbeitskreis „Kultur und Wirtschaft“. Diese ungewöhnliche Allianz sorgte für Aufsehen. Denn die unter Einspar-Druck geratene Bremer Kulturszene konnte so einen gewichtigen Bündnispartner aus jenen Kreisen gewinnen, die man zuvor auf Seiten der kompromisslosen Sanierer im Sinne der momentanen Linie des Senats vermutet hatte. Seither hat Bernd Hockemeyer, Präses der Handelskammer, wiederholt unter dem Stichwort „investiver Kulturbegriff“ für eine Neubewertung der Ausgaben im Kulturbereich geworben. Im taz-Interview erläutert Hockemeyer seine Position vor dem Hintergrund der momentanen Krise in der Kulturförderung.
taz: Was verstehen Sie unter einem investiven Kulturbegriff?
Bernd Hockemeyer: Bei der Beantwortung dieser Frage muss ich etwas ausholen und beginnen bei den Jahren, in denen Bremen bundesweit im Abseits stand. Das haben wir auch als Wirtschaft zu spüren bekommen. Dann kam das Sanierungsprogramm, alimentiert durch Ergänzungszuweisungen des Bundes, es kam die große Koalition und in der Folge ist unverkennbar Aufbruchstimmung entstanden. Wenn wir uns aber jetzt fragen: Soll sich das Sanierungsprogramm für Bremen hauptsächlich nur um Infrastrukturmaßnahmen kümmern – Stichwort Straßenbau, Verschönerung der Innenstadt – oder ist das auch etwas, was wir nicht unmittelbar in Form von Steinen, Beton und Gebäuden sehen müssen? Dann, so meine ich, muss die Antwort lauten: Sanierung geht viel weiter. Sanierung betrifft alle Bereiche, die die Vitalität eines Standortes wie Bremen dokumentieren. Der Kulturbereich ist ein zentrales Feld dieser Vitalität. Das ist jedoch in den vergangenen Jahren von Teilen der Politik nicht so aufgenommen worden. Wir haben Kunst und Kultur konsumiert. Aber wir haben uns keine Gedanken gemacht, inwieweit dieser Bereich standortbildend ist, sowohl für die hier ansässigen Menschen als natürlich auch für Menschen und Betriebe, die wir in Bremen ansiedeln wollen.
Man hat nicht den Eindruck, dass diese Erkenntnis maßgebend ist für die Politik des Senats. Den Kultureinrichtungen wird das Vertrauen entzogen, der Kulturetat weist eine Deckungslücke auf, die vor allem durch Schließungen gestopft werden soll.
Ich sehe das besonders durch die Brille eines Unternehmers, der meint, recht sensibel weltweit Standorte beurteilen und auch ihre Attraktivität einschätzen zu können. Und da spielt neben anderen Faktoren eben auch das Kulturangebot einer Stadt eine wesentliche Rolle. Deshalb hat die Handelskammer deutlich gemacht, dass Kultur mit Blick auf Gegenwart und Zukunft eines Standortes eine wichtige investive Wirkung hat. Der Senat hat Kultur jedoch bisher im wesentlichen nur als konsumtiv angesehen, also als Politikfeld, das Geld kostet und nicht so viel einbringt. Das halte ich für falsch.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die momentane kulturpolitische Diskussion?
Ich finde sie unglücklich, weil sie von Eckwerten für den Kulturetat ausgeht, die im vergangenen Jahr nach der Wahl von der großen Koalition festgelegt wurden. Bei dieser Fixierung wurde nicht berücksichtigt, ob diese Mittel für die Aufgabe, die Kunst und Kultur für Bremen erfüllt, richtig bemessen sind. Die Handelskammer befürwortet den Sanierungskurs, der auf den Prinzipien „Sparen und Inves-tieren“ beruht. Aber Sparen muss mit Augenmaß erfolgen. Und deshalb sollte man nicht dort über Gebühr sparen, wo die investiven Kräfte, die wir in Bremen ja entwickeln und fördern wollen, in ihrer Wirkung konterkariert werden, indem wir den Kulturbereich – nun ich will nicht sagen strangulieren, aber doch so sehr einengen, dass die Zukunftsfähigkeit Bremens dadurch gemindert und nicht gefördert wird.
Sie sind also für eine Erhöhung des Eckwerts?
Wenn das Defizit in der Kultur für das Jahr 2000 bei zehn Millionen Mark liegt, ist nur eine Erhöhung des Eckwerts und nicht eine flächendeckende Schließung von Einrichtungen in der Lage, dieses Defizit für die nächsten ein bis zwei Jahre auszugleichen. Eine solche Erhöhung wäre mit der Verpflichtung zu verbinden, zu prüfen, ob es im Kulturbereich nicht auch Optimierungspotenzial gibt. Denkbar wäre da auch eine Straffung der Regiekosten, ohne dass darunter das kulturelle Angebot leidet.
Die Größenordnung des mittelfristigen Defizits im Kulturbereich ist aber nach dem Szenario der Kulturmanagement-Gesellschaft (kmb) so, dass man nicht ernsthaft davon ausgehen kann, eine Straffung der Verwaltung könne das Problem lösen. Es bleibt die Frage, ob der Kulturbereich nicht eher chronisch unterfinanziert ist und ob dieses Problem durch eine Erhöhung der Zuweisungen oder die Verminderung der Anzahl der Kultureinrichtungen behoben werden soll?
Wenn ich die Vergleichszahlen zu anderen Ballungszentren heranziehe, ist der Kulturetat in Bremen unterfinanziert. Das ist aber schon traditionell so, ist also nicht neu. Insofern halte ich es für falsch, dass auf diesem eh schon niedrigen Niveau nun weiter gekürzt werden soll. Zumal, wenn wir uns etwa das Theater ansehen, wo in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Einsparungen vorgenommen wurden.
Bezieht sich dieses Plädoyer nur auf die sogenannte Hochkultur mit starker Außenwirkung oder schließt es auch die Soziokultur und die freie Szene ein?
Die Bremer Spitzenkultur wie beispielsweise das Theater, die Kunsthalle oder das Staatsorches-ter sind Elemente des Kulturlebens, die für diese Stadt unverzichtbar sind. Aber auch Breitenkultur, die im übrigen durch die momentane Kulturförderung wenig Unterstützung erfährt, ist für eine Stadt ebenso unverzichtbar. Der neu gegründete Arbeitskreis der Handelskammer „Kultur und Wirtschaft“ wird sein Wirken auch daran messen lassen müssen, ob es gelingt, auch diejenigen Kulturschaffenden in Bremen, die bisher nicht oder kaum in der öffentlichen Förderung stehen, zukünftig verstärkt in seinen Fokus einzubeziehen. Dazu gehört auch, dass wir uns zusätzlich zur elementaren Aufgabe des Staates, Kultur zu fördern, um Patenschaften und Sponsoring im Bereich unserer Handelskammermitglieder bemühen werden. Auch kleine und mittlere Unternehmen können sehr wohl in der Lage sein, Kultur zu fördern und damit gleichzeitig ihr Sozialprestige in der Öffentlichkeit zu steigern. Wir möchten sie bestärken, in diesem Bereich eigene Beiträge zu leisten. Sie sollen also nicht etwa das Musikfest mitfinanzieren, sondern es geht wesentlich darum, die Breitenkultur zu stärken, an der sich die Vitalität einer Stadt besonders gut ablesen lässt. Die Bremer Kulturszene sollte aus der Sicht der Handelskammer insgesamt bewahrt und nicht, wie im Augenblick, in Frage gestellt werden.
Wenn Sie den Sanierungskurs des Senats für richtig halten, aber gleichzeitig eine Unterfinanzierung des Kulturbereichs beklagen, müssen Sie auch sagen können, woher das zusätzliche Geld für die Kultur kommen soll.
Das Investitionssonderprogramm (ISP) wurde aufgelegt, um den Sanierungskurs des Senats zu flankieren mit dem Ziel, die finanzielle Eigenständigkeit Bremens langfristig zu sichern und einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen für das Jahr 2005, wenn die Sanierungsleistungen des Bundes entfallen. Aus diesem Programm werden mit dem Ziel einer Standortstärkung zum Beispiel Infrastrukturmaßnahmen für den Space Park ebenso finanziert wie die erfolgreiche Verbesserung der Innenstadtsituation oder das gefeierte Musical „Jekyll & Hyde“. Und da kann sich die Frage anschließen, ob im Interesse der Attraktivität Bremens und der davon abgeleiteten Stärkung der Wirtschaftskraft nicht auch aus der Sicht des Wirtschaftsressorts Mittel für den „investiven Kulturbereich“ bereit gestellt werden können. Diese Debatte muss jedoch der Senat führen.
Das Wirtschaftsressort wird Ihnen aber entgegen halten, dass die ISP-Mittel verplant sind, also kein Geld übrig ist, was der Kultur gegeben werden könnte. Mit anderen Worten: Andere Projekte müssten fallen gelassen werden ...
Sie haben völlig Recht – das wird am Ende dabei herauskommen. Es ist eine Frage der Prioritäten, die man setzt. Es ist eine Frage der Neubewertung dessen, was wir in Bremen bereits haben und was wir tatsächlich brauchen im Sinne des Sanierungsziels. Wenn wir den Kulturbereich als wesentlichen Teil der Infrastruktur dieser Stadt sehen, dann müsste man eben auch bereit sein, dafür Mittel zur Verfügung zu stellen, die eventuell schon für die eine oder andere Straßenbaumaßnahme vorgesehen sind und die nicht mit oberster standortfördernder Priorität ausgestattet ist. Das ist ein Prozess der Umsteuerung und Neuorientierung, der da nötig wäre. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ist die Fortführung der Linie 4 tatsächlich die große Investition, die Bremens Attraktivität verbessert? Ich mache da ein Fragezeichen. Obwohl die Koalitionsvereinbarung steht, glaube ich, dass der Senat im Zuge einer Grundsatzdebatte diese und ähnliche Fragen neu diskutieren muss. Man kann ja mit der Zeit auch noch klüger werden ...
Würden Sie das Fragezeichen auch hinter andere Projekte setzen, zum Beispiel die Rennbahn oder das Rhodarium?
Zur Rennbahn möchte ich mich nicht äußern. Den Wert des Rhodariums für Bremen vermag ich nicht so richtig einzuschätzen. In jedem Fall müsste hier mindestens sichergestellt sein, dass die verkehrliche Anbindung schlüssig ist. Dort besteht noch Handlungsbedarf. Insofern könnte ich mir beim Rhodarium sehr wohl den ein oder anderen Denkprozess vorstellen. Aber das ist Sache des Senats, nicht der Handelskammer. Wir können nur Anregungen geben.
Was bezweckt der Arbeitskreis „Wirtschaft und Kultur“?
Wir wollen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv in die Sicherung und die konstruktive Weiterentwicklung des Kulturschaffens in Bremen einbringen. Entsprechend haben wir uns drei Ziele gesteckt: 1. Mitglieder der Handelskammer dazu zu motivieren, Patenschaften zu übernehmen und verstärkt Sponsoring zu betreiben; 2. ständiger Dialogpartner für die Politik zu sein, wenn es darum geht, Standortfaktoren für Bremen richtig einzuschätzen; 3. Außerdem könnte den Kulturschaffenden das in der Kammer gebündelte unternehmerische Know How von Fall zu Fall vermittelt werden im Sinne von Optimierung bzw. Aufwandsminimierung. Ein Künstler muss ja nicht gleichzeitig ein guter Unternehmer sein ...
Ich dachte, zu diesem Zweck ist die kmb gegründet worden ...
Ich will das mal vorsichtig ausdrücken: Wenn es um erfolgreiches Wirtschaften geht, haben die Mitglieder der Kammer in dem einen oder anderen Bereich sicherlich einiges zu bieten ...
Glauben Sie, dass die Ressorts Wirtschaft und Finanzen empfänglich sind für Überlegungen, die der Kultur einen anderen Stellenwert einräumen wollen?
Das ist weniger eine Frage der Ressorts von Herrn Hattig oder Herrn Perschau, sondern eine, die die Arbeit dieser Regierung insgesamt betrifft. Sparen und Investieren mit dem Ziel, Bremens Selbständigkeit langfristig zu sichern – das ist der Regierungsauftrag. Und wenn wir diesen Auftrag sehen, muss der Senat insgesamt die Prioritäten in diesem Sinne setzen. Herr Senator Hattig hat natürlich wegen der ISP-Mittel einen großen Etat zu pflegen und zu vergeben. Aber das ist nicht die Angelegenheit des Wirtschaftssenators allein. Der Senat muss sich generell fragen, welchen Anteil die Kultur als standortprägender Faktor dieser Stadt hat und das dann entsprechend fördern. Und deshalb plädiere ich für eine Neuverhandlung des Eckwertbeschlusses vom vergangenen Jahr.
Fragen: Franco Zotta
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