: Zigaretten gegen das Hungergefühl
Annett Wittig (30) stemmt Gewichte, hält Diät und verzichtet auf ein Privatleben. Das alles tut sie für ein Ziel: Weltmeisterin im Bodybuilding zu werden. Ist das vollbracht, will sie nach Amerika auswandern ■ Von Kirsten Küppers
In der Berliner Gewichtheberszene ist sie bekannt als das beste Pferd im Stall: Annett Wittig, drittbeste Bodybuilderin der Welt. Selbst bei rauhbeinigen Fitnessclubbetreibern schleicht sich Ehrfurcht in die Stimme. Der Respekt ist spürbar nicht nur durch Leistung erworben. Trotz kräftiger Statur verfügt Annett Wittig über die Weiblichkeit, die Bauarbeiterpfeifen verursacht.
In Deutschland finden sich kaum mehr Frauen, die in neonbeleuchteten Trainingshallen ihre Körper an Gewichte-Apparaten zu reinen Muskelmaschinen aufbauen wollen. Eine unbeliebte Sportart, der Boom der 80er-Jahre ist vorbei. Zwar ist Bodybuilding seit diesem Jahr olympische Disziplin, doch häufig müssen Wettkämpfe mangels Teilnehmerinnen abgesagt werden. Mehr als noch vor 20 Jahren ist Bodybuilding eine Männerdomäne.
Im Fitpoint Studio in Weißensee hält Annett Wittig die Fahne der Bodybuilderinnen hoch. Fünfmal die Woche drei Stunden lang am Abend, vor Wettkämpfen noch öfter. Die blonde 30-Jährige schiebt in der Halle 360 Kilo mit den Beinen nach oben – stark geschminkt und mit Kaugummi im Mund. Das passt beides nicht zum Zähnefletschen und Schwitzen. Trotz der breiten Schultern und der körperlichen Schwerstarbeit wirkt Annett Wittig beim Trainig eher wie ein zum Sportunterricht verdonnerter Teenie als wie eine ehrgeizige Leistungssportlerin. Augenverdrehend zwingt sie sich hinter die Hantel, macht deftige Scherze mit ihrem Trainingspartner. Im Hintergrund spült seifige Musik aus einem Hitradiosender. Annett Wittig wischt sich mit lackierten Fingernägeln die verlaufene Wimperntusche aus dem Augenwinkel, bekreuzigt sich, packt zu. In gemessenem Abstand gucken zwei pubertierende Jungs zu, rempeln sich giggelnd an. Eine elende Schinderei – obendrein teuer, zeitaufwendig, einsam und von wenig öffentlicher Anerkennung. Als die Angestellte einer Maklerfirma vor sechs Jahren anfing, zollten die Freunde ihr noch Lob. Den Körper nach den eigenen Vorstellungen zu modellieren, klappte gut. „Du bekommst einen knackigen Hintern und ein Bauchbrett und alle finden das toll“, erinnert sich Annett Wittig. Inzwischen sind die Reaktionen auf ihre Figur überwiegend negativ. Wenn sie im Sommer einen Minirock trägt, gucken die Leute auf der Straße, „Du siehst aus wie’n Kerl“, ist der häufigste Kommentar, den sie zu hören kriegt. „Eine Frau mit Muskeln wird nicht so geachtet wie ein kräftiger Mann“, hat Wittig erfahren müssen. Inzwischen verbringt sie ihre ganze Freizeit im Fitness-Studio, rekrutiert Freunde und Liebesleben dort. Ein Nicht-Bodybuilder hat es schon deshalb schwer, weil Wittig streng nach Trainingsplan lebt. Kein Alkohol, für Diskos ist sie zu müde, auswärts essen ist wegen ihres Ernährungsplanes nicht drin. „Wenn ich vorm Wettkampf sechs Liter am Tag trinken muss, ist das für einen Außenstehenden schwer nachzuvollziehen“, sagt sie.
Im Oktober findet die Weltmeisterschaft statt. Davor, dabei, danach – um diesen fixen Termin zirkuliert ihr Leben. „Wenn wie in der WM-Halle in Sidney letztes Jahr einige tausend Leute grölen, wenn du auf der Bühne stehst, jagt dir das eine Gänsehaut den Rücken runter“, schildert sie den Kick des Erfolgs. Für diese paar Minuten lohnt sich die Plackerei, schwört sie. Ihre Augen blitzen herausfordernd. Sie will weiter trainieren, so lange, bis sie den WM-Pokal in ihren Händen hält. Einmal war sie Dritte im Bodybuilding-Schwergewicht. Die Chancen für dieses Jahr stehen gut. Die Abstände unter den Weltbesten sind minimal.
Konkret bedeutet das täglichen Drill, bis die Figur nur noch aus Muskel besteht, bis der übliche Anteil an Körperfett von zehn auf drei Prozent gesenkt ist. Das erfordert nicht nur Arbeit an gewichtebepackten Maschinen, sondern auch strikte Diät.
Vor der WM isst Annett Wittig zwölf Wochen lang 200 Gramm Reis und anderthalb Kilogramm Putenfleisch am Tag. Sonst nichts. Nicht einmal Salz ist erlaubt, nur gelegentlich eine Zigarette, um das Hungergefühl zu dämpfen. Im zwei-Stunden-Rhythmus muss sie in dieser Zeit abwechselnd schlafen, essen, trainieren. Ergebnis: ein schwerfälliges Kraftbündel: Die Kniegelenke knirschen, Treppensteigen ist fast nicht mehr möglich, Liegen oder Sitzen schmerzt, weil die blanken Muskeln nur noch von einer dünnen Hautschicht bedeckt sind. In den Tagen vor dem Wettkampf geht auch kein Wasserlassen mehr. Mit salzloser Kost, Kaliumtabletten und hoher physischer Belastung hat Annett Wittig sämtliche Flüssigkeit aus dem Körper geschwemmt. Der Organismus versucht dann, jeden Tropfen Feuchtigkeit zu speichern. Warum macht sie diese Ochsentour? „Damit das Leben Sinn und Erfolg gehabt hat“, antwortet sie. „Das will doch jeder. Da sind alle Menschen Machos.“
Auf den Hochglanzfotos von der letzten Weltmeisterschaft in Sidney wirkt der knappe Bikini auf dem gestählten Muskelapparat fast lächerlich. Deutlich zeichnen sich die kräftigen Sehnen auf braun gebrannten Schultern, Po und Oberschenkeln ab. Annett Wittigs Gesicht sieht hart aus. Sie wirkt zehn Jahre älter als jetzt, wo sie zwanzig Pfund mehr auf den Rippen und weniger Druck im Nacken hat.
Unmittelbar nach dem Wettkampf fällt die ganze Disziplin in den Keller. „Ich habe zwölf Stunden lang gierig durchgegessen“, erzählt Wittig. „Der Körper ist das nicht gewöhnt und schwemmt sofort auf. Man sieht wirklich schlimm aus.“ Doch gleich am folgenden Tag geht das Training weiter. Immer der nächsten Weltmeisterschaft entgegen.
Ist sie erst erst einmal Weltmeisterin, will sie in die USA auswandern. „Die pflegen ihre Stars wenigstens“, sagt sie. In Florida kann man als Bodybuilderin gutes Geld verdienen, in Deutschland bekommen die Athleten nicht einmal Preisgeld. 10.000 bis 15.000 Mark kostet einen Hochleistungssportler eine dreimonatige Saison Bodybuilding. Davon müssen die Trainigszeiten in den Studios, das Putenfleisch und die Vitaminpräparate bezahlt werden.
Zum Thema Doping will Annett Wittig sich nicht äußern. Das ist Selbstschutz. Schnell verbrennt man sich bei diesem Stoff den Mund, riskiert in der Branche Wettkampfverbot.
Trotz Entbehrungen wünscht sich Annett Wittig kein Leben mehr ohne Fitness-Studio. „Ich will nie wieder wie früher aussehen. Da war ich zwar schlank und durchtrainiert, aber jetzt finde ich mich viel schöner.“
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