Peking drängt Taiwan zur Wiedervereinigung

Chinas Regierung mischt sich mit neuen Drohungen in Taiwans Wahlkampf ein

Peking (taz) – Es ist Wahlkampf in China. Erst zum zweiten Mal in der langen chinesischen Geschichte finden am 18. März demokratische Präsidentschaftswahlen statt. Und obwohl sich die Wahlen nur auf der Insel Taiwan ereignen, die weniger als zwei Prozent aller Chinesen beheimatet, nimmt ganz China an den Wahlen Anteil. Das aber sorgt niemand mehr als Chinas Kommunistische Partei. Die steht in Taiwan gar nicht zur Wahl, erkennt die dortige Regierungen aber nicht an.

Klarstes Indiz für die Unruhe der Kommunisten ist das Taiwan-Weißbuch, das die Pekinger Führung am Montag vom Staatsrat veröffentlichen ließ. Für den Fall, dass es irgendjemand vergessen hätte, ruft Peking noch einmal seine Bereitschaft zur militärischen Intervention auf der Insel in Erinnerung. Dabei stellt es kein Ultimatum für Verhandlungen mit Taiwan, wie es einige Hongkonger Zeitungen zunächst ankündigten. Aber es fügt den bisherigen Drohungen eine weitere hinzu: „Wenn die taiwanischen Behörden sich grundsätzlich weigern, über die friedliche Wiedervereinigung an der Taiwanstraße zu verhandeln, dann wird die chinesische Regierung zu allen denkbaren drastischen Maßnahmen gezwungen sein, eingeschlossen der Anwendung von Gewalt.“ An anderer Stelle heißt es ebenfalls in einem warnenden Ton: „Die Lösung der Taiwanfrage kann nicht bis auf einen unbestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben werden.“

Diese Drohungen sollen durchaus martialisch klingen, jedoch nicht so sehr in Richtung Taiwan wie in Richtung der Festlandbevölkerung, die in den nächsten Wochen erstmals miterleben wird, wie Demokratie in China in der Lage ist, ein neues Regierungsoberhaupt zu krönen. Im März 1996, bei den ersten taiwanischen Präsidentschaftswahlen, war das noch anders, weil der amtierende Präsident bestätigt und das Ergebnis der Wahlen deshalb nach außen kaum sichtbar wurde. Diesmal aber wird auf Taiwan ein neuer Mann gewählt, möglicherweise sogar ein gut aussehender Oppositionspolitiker. Deshalb unternimmt Peking alles, um von dem verführenden Charakter der Wahlen abzulenken.

Nebenbei erwähnt das Weißbuch auch das Beispiel der deutschen Teilung – um es zu widerlegen. China sei durch einen Bürgerkrieg geteilt worden, nicht durch ein internationales Abkommen wie das ehemalige Deutsche Reich. Deshalb sei die Taiwanfrage innenpolitisch zu lösen. Damit wird der „Zwei-Staaten-These“ des noch amtierenden taiwanischen Präsidenten Lee Tenghui widersprochen.

In Wirklichkeit lässt sich das neue Weißbuch leicht entschärfen. Denn alle drei aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten in Taiwan haben im Falle ihres Sieges bereits Verhandlungen mit Peking angekündigt. Und jeder von ihnen ist daran interessiert, ein Statut über die Beziehungen zum Festland zu formulieren, das den formellen Bürgerkriegszustand beendet, der seit 1949 zwischen beiden Landesteilen herrscht.

Die Aussichten darauf haben sich in den letzten Jahren keinesfalls verschlechtert. Denn gemessen an der Reaktion im ersten Präsidentschaftswahlkampf vor vier Jahren, als Peking Raketen ohne Sprengköpfe in die See um Taiwan abfeuerte, stellt sich der Einflussversuch durch das Weißbuch vergleichsweise harmlos dar.

Entsprechend undramatisch fielen gestern die Stellungnahmen in Taiwan aus. „Die Menschen in Taiwan haben keine Angst vor Verhandlungen mit der Volksrepublik China. Aber sie lassen sich nicht durch Einschüchterung zu Verhandlungen zwingen“, sagte der unabhängige Präsidentschaftskandidat James Soong, ein ehemaliges Mitglied der Regierungspartei Kuomintang, der derzeit in Wahlumfragen vorn liegt. Zwar gab der Börsenkurs in Taipeh gestern um 3,2 Prozentpunkte nach. Doch schwanken die Kurse wegen des Booms asiatischer Internetfirmen ohnehin stark. Georg Blume