: Keine Rücksicht auf Künast
■ In der Krise klammern sich die Grünen an ihre Prinzipien aus der Gründungszeit: Eine große Mehrheit des Berliner Landesverbandes will an der Trennung von Amt und Mandat festhalten
Die Enttäuschung ist Renate Künast ins Gesicht geschrieben. Niedergeschlagen verfolgt die grüne Fraktionschefin am Mittwochabend die Debatte der Parteibasis, die sie in eine missliche Lage bringt. Der Landesausschuss der Grünen beschließt am Mittwochabend mit seltener Einmütigkeit, dass an der Trennung von Amt und Mandat nicht gerüttelt werden darf. Im Klartext: Grüne Abgeordnete und Minister sollen auch künftig nicht in Parteigremien gewählt werden.
An diese Bedingung hatte Renate Künast Anfang Januar ihre Kandidatur für das Amt der Bundesvorstandssprecherin geknüpft. Doch der Basis sind Prinzipien wichtiger als die Interessen Einzelner. Dass das Votum als mangelnde Unterstützung für Künast gewertet werden kann, räumt der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele ein. Das lässt sich auch nicht damit zerstreuen, dass der Landesverband Künasts Kandidatur ausdrücklich unterstützt. Aber über dieses Dilemma fällt an diesem Abend kein Wort.
Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer müht sich vergeblich, der Basis den Sinn der Strukturreform nahe zu bringen. Ein Lichtenberger Delegierter verneigt sich theatralisch in Bütikofers Richtung: „Danke, dass ihr uns die Doppelspitze und die Frauenquote lassen wollt!“ Für einen Moment kommt Heiterkeit auf.
Der Einwurf zeigt, welch große Bedeutung den Prinzipien aus der Gründungszeit beigemessen wird. An diese Prinzipien klammert sich die Basis nun umso mehr, als die Klarheit über die inhaltliche Richtung der Partei verloren gegangen ist. Wenn die Andersartigkeit der Grünen nicht mehr über ihre Inhalte zu definieren ist, muss wenigstens an der Andersartigkeit der Parteistruktur festgehalten werden. Im Umkehrschluss heißt das: Es gilt die inhaltliche Krise der Grünen zu lösen. Die Inhalte und nicht Formalien müssen zum identitätsstiftenden Moment werden.
Noch im vergangenen Herbst schien die erforderliche Mehrheit für die Satzungsänderung sicher. Doch die CDU-Spendenaffäre hat für einen Stimmungsumschwung an der grünen Basis gesorgt. Ohne die Machtkonzentration bei Helmut Kohl wären die schwarzen Kassen nicht möglich gewesen, argumentieren die Befürworter der Trennung von Amt und Mandat. „Der Vergleich mit der CDU ist mir zu populistisch“, meintRenate Künast. Gegen die eindeutige Stimmungslage kommt sie mit ihrer Rede aber nicht an.
Doch es ist nicht nur die Berliner Basis, die Künasts Kandidatur erschwert. Derzeit ist mehr als ungewiss, ob auf der Bundesdelegiertenkonferenz im März eine Zweidrittelmehrheit für die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat zustande kommt. Schon gibt es Überlegungen, den Parteitag zu verschieben.
Falls es bei der Trennung von Amt und Mandat bleibt, bliebe Künast nur eines übrig: sie müsste erklären, dass sie im Falle ihrer Wahl ihr Parlamentsmandat aufgibt. Dorothee Winden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen