: Verseuchte Supermännchen in Flüssen
Bis zu 50 Prozent Missbildungen bei Fischen in hessischen Yachthäfen. Auslöser wahrscheinlich die berüchtigten zinnhaltigen Schiffsfarben. Freizeitkapitäne wenden Schutzanstrich trotz Verbots an ■ Von Maike Rademaker
Berlin (taz) – In mehreren hessischen Gewässern wurden erstmals schwere und massenhafte Missbildungen bei Fischen gefunden, die wahrscheinlich durch giftige Organozinnverbindungen hervorgerufen wurden. Das beschreibt ein behördeninterner Bericht des hessischen Landesamtes für Umwelt. Als Ursache für die erhöhten Organozinnwerte in den hessischen Gewässern gelten Abwässer aus kommunalen Kläranlagen, Fabriken, die Landwirtschaft und Schutzanstriche bei Schiffen.
An mehreren Untersuchungsstellen wurden „Flussbarsch-Supermännchen“ gefunden. Die Hoden der Supermännchen nehmen fast die gesamte Leibeshöhle ein, die Tiere sind außerdem sehr früh geschlechtsreif. Bei normalen gleichaltrigen Tieren sind die Hoden kaum wahrnehmbar. Die hormonell verursachten Veränderungen sind ein Hinweis auf das hochgiftige Tributylzinn (TBT), das in Schiffslacken, Textilimprägnierungen, Pharmazeutika und Fungiziden Anwendung findet. In einem Hafenbecken waren die Hälfte der untersuchten Tiere derart verunstaltet.
Für die erhöhten Werte in den 1998 erstmals untersuchten Yachthäfen könnten laut Bericht Altlasten verantwortlich sein, aber auch TBT-haltige Anstriche bei den Sportbooten. Zwar sind derartige Anstriche bei Schiffen unter 25 Meter Länge in Deutschland seit 1996 verboten, trotzdem scheinen Freizeitkapitäne sich weiterhin der Farbe zu bedienen. „Solange TBT zum Verkauf zugelassen ist, muss man auch damit rechnen, dass es illegal benutzt wird, da das Biozid hochwirksam ist“, sagte Peter Seel, Chemiker und Biologe beim Landesumweltamt.
Bei einer Untersuchung durch die Bremer Wasserschutzpolizei im letzten Herbst wurden bei 200 Sportbooten 30 gefunden, die TBT-Rückstände aufwiesen. Den Besitzern drohen nun Strafverfahren, so Jürgen Braun, Leiter der Ermittlungsbehörde der Wasserschutzpolizei.
Laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace gibt es zu der giftigen Schiffsfarbe Alternativen. Dazu gehört die „Seehundshaut“, bei der Fasern in den Anstrich eingearbeitet werden; sie stellen sich auf, wenn das Schiff ruhig liegt, und verhindern so ein Veralgen.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) will schädliche Organozinnverbindungen wie das TBT verbieten. Eine Auftragsstudie des Fraunhofer-Institutes für Umweltchemie ergab im November, dass ähnliche Auswirkungen auf den Hormonhaushalt beim Menschen nicht auszuschließen sind. Am 6. März will die Umweltabteilung der Internationalen Meeresorganisation IMO ein internationales Verbot von TBT für alle Schiffe beraten. „Wenn es nur hier verboten wird, weichen die Schiffe für den Anstrich in andere Länder aus“, warnte Thilo Marks von Greenpeace.
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