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Die Frauen vonder Küchenbrigade

Protest hat kein bestimmtes Alter, keineForm, kein Geschlecht. Sie waren um die fünfzig, manche gar schon sechzig. Sie schmierten Broteund kochten Gulasch. Nun wollen sie wieder demonstrieren: die Frauen von der Küchenbrigade.Gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens.Ein Bericht aus der Küche des WiderstandsVon Sylvia Meise

Warum gehst du denn zu dene Drecksäu? So hätten die Nachbarn gefragt, damals, vor zwanzig Jahren in Walldorf. Erzählt die 78-jährige Regine Balkmann. Und Freundin Liesel hat gesagt: Du hast doch auch Enkelchen – wir müssen doch für die Jugend draußen sein. Draußen. Das war der Startbahnwald.

Draußen. Das ist der Startbahnwald. Die Frankfurter Flughafen AG drängt auf Ausbau, es sei unabdingbar, die Anzahl der Starts von achtzig auf hundertzwanzig in der Stunde zu steigern. Das sind zwei Starts pro Minute.

Nun also wieder: draußen. Da werden sie dabei sein – die Frauen der Küchenbrigade. „Brote schmieren kann ich immer noch!“, sagt Regine Balkmann. Und Käte Raiss baut wieder Infostände.

Käte Raiss ist seit 1978 in der Bürgerinitiative gegen den Frankfurter Flughafenausbau. Die heute gut 69-Jährige koordinierte vom Wohnzimmer aus das Volksbegehren. 240.000 beglaubigte Unterschriften wurden „gewaltfrei!“ in der Landeshauptstadt Wiesbaden abgegeben: „ein ganzer Lastwagen mit Kartons und Kisten und Ordnern“. Das Einzige, was an diesem Tag in Wiesbaden wegen der „Chaoten“ passierte: „Eine Scheibe ging kaputt“ – sie lacht –, „da wollte jemand sein Fenster zunageln und hat mit dem Hammer reingeschlagen.“ Doch am Tag danach sei die Sache gekippt. Das war der Sonntag, als man die Tore zum Flughafen blockieren wollte und von den Polizisten auf die Autobahn getrieben worden sei. Es gab Schlägereien. „Da hatte unsere Bewegung den ersten Knacks“, sagt sie. „Beim ersten Bauabschnitt ging es noch, da haben die Polizisten noch Kaffee und Kuchen gekriegt, beim zweiten haben sie uns beschimpft.“ Beim dritten sei es dann richtig losgegangen. Die Brutalität besonders der Hüttendorfräumung, sagen die Frauen, könnten sie nicht vergessen.

Der Zusammenhalt mit den jungen Leuten sei das Schönste gewesen, sagt Margot Müller: „Die haben gleich du zu einem gesagt, und ich war doch damals schon 57!“ Ein neuer Demonstrantentyp sei im Wald geboren worden, meint Käte. „Die Leute kamen aus allen Schichten, Handwerker, Studenten, Hausfrauen und Doktoren. ,Die Weißhaarigen und die Langhaarigen‘ haben wir immer gesagt.“ Auf die „junge Leut“ ließen die Mütter Courage schon vor zwanzig Jahren nichts kommen, einem Minister hätte die Älteste von ihnen gesagt: „Die sind mir lieber, die sind vielleicht außen bappig, aber innen sauber. Ihr aber seid außen sauber und innen bappig.“

Als die Rodungen begannen und der Wald besetzt wurde, schlossen sich die Frauen zusammen: die Küchenbrigade. Sie kochten Tag und Nacht in drei Schichten für die Waldbesetzer. „Die mussten doch was Warmes in den Bauch kriegen.“ Während sie Kartoffelklöße formten und auf dem Gepäckträger das Gulasch schwappte, wuchs ihr Widerstand.

Die Frauen von der Küchenbrigade wurden bewacht, ihre Häuser durchsucht. Sämtliche befahrbaren Waldschneisen wurden mit sand- und steingefüllten Containern verbarrikadiert, so dass sie das Essen nur auf Schleichwegen transportieren konnten. Die Polizisten wollten Kaffeekannen und Essensbehälter durchsuchen. „Als ob wir da sonst was reingetan hätten.“ Als Elfriede Michel sich einmal weigerte, erzählt sie, bekam sie den Gummiknüppel übergezogen. Da blieb auch bei den „braven Bürgern“ der Glaube an den Staat und die Achtung vor der Polizei im Schlamm stecken. Margot sagt heute: „Jeder war so lange gewaltfrei, bis er selbst was abgekriegt hat.“

Und was sie abgekriegt haben! Elfriede: „Da war ein Polizist, der wollte erst auf uns zu, auf die Gretel und mich, und da hab ich noch geschrien – wenn ich Wut hatt’, hab ich auch gespuckt – und hab geschrien: Schlagen Sie ruhig ältere Leute und Kinder und alles. Da hat er uns stehen lassen und läuft einem Mädchen nach. Die stolpert, und – der hatte Riesenstiefel; wenn ich heute Polizisten sehe, dann sehe ich den immer vor mir – dann hat der den Stiefel dem Mädchen auf die Brust gestellt und hat draufgetreten. Von dem Moment an hatte ich keine Achtung mehr vor der Polizei. Überhaupt nicht. Und das ist so geblieben bis heute.“

Margot: „Ich hab’s mit dem Herzen, und meine Kinder haben gesagt: Du kommst nicht raus! Auf einmal höre ich meinen Mann im Radio: Warum schlagen Sie das Mädchen, die hat nur ihr Brot gegessen? Dann hat er ‚au‘ gekrischen, und dann war es still. Da bin ich aufs Fahrrad und nix wie raus, und da kamen mir welche entgegen und haben gesagt, eben hat dein Mann welche gekriegt, weil er so ein junges Mädchen verteidigt hat. Und das war die Hüttendorfräumung. In der Nacht waren mein Mann und ich draußen, und wir haben uns vor die jungen Leute gestellt, wenn die Polizei rauskam. Alle halbe Stunde haben die ihre Ausfälle gemacht, und dann sind sie auf die jungen Leute los, die sind dann in den Wald gerannt, und wir Älteren haben uns davor gestellt. So ist das die ganze Nacht gegangen. Und auf einmal hat’s geheißen, wir mit unserem Wagen mit dem Essen gehen auch zurück. Und mein Mann hatte sein Fahrrad angeschlossen an einen Baum, heute kann ich ja lachen darüber. Im Dunkeln hat er sein Zahlenschloss nicht aufgekriegt, und da kam ein Polizist und zieht den Knüppel hoch und wollte ihn schlagen, und da hab ich den Gummiknüppel gehalten und hab ihn angeschrien: Sie schlagen den net, sonst schlag ich zurück! Ich hielt immer noch seinen Knüppel fest. Der war so erschrocken, der ist dann weitergerannt.“

Regine: „Als die Streben geknackt wurden am ersten Bauabschnitt, das war auch abends. Hab ich zu einer Frau gesagt: Sagen Sie mal, die Männer können doch nicht die Streben da kaputtmachen, wer ist denn das? Da sagt sie, der eine ist mein Mann, der andere unser Doktor.“

Käte: „Und Gemmer-Minen haben wir gebacken, die haben wir vor das Tor auf den Boden gelegt, und dann haben wir sie gegessen [der damalige Polizeipräsident hieß Horst Gemmer; d. Red.]. Die Mauer, die haben wir auch gebacken und gegessen. So haben wir uns Luft gemacht.“

Gekicher. Wie sie da sitzen, wie Omas beim Kaffeekränzchen. Aber wehe dem, der Oma zu ihnen sagte! Dieses Kosewort erwarte sie von ihren Enkeln, nicht von Polizisten, habe Regine Balkmann damals schon dem Staatsanwalt erklärt. „Das klingt alles so lustig“, sagt Käte Raiss, „aber es war wirklich schlimm.“ Und für die so nachhaltig aus ihren traditionellen Rollen gefallenen Frauen nicht so leicht zu verarbeiten. Es habe auch Paare mit konträren Ansichten gegeben, „wo die Frau sich zu Hause nicht aussprechen konnte. Es gab Frauen, die waren innerlich wie versteinert. Es hat Monate gedauert, bis sie darüber reden konnten . . .“ An der „Wald-Uni“ gab es dann dieses Erzählseminar, daraus entstand das Buch „Bevor es unerträglich wird . . .“.

Am Anfang war das Entsetzen darüber, dass ihr Wald abgeholzt werden sollte. Ihr Wald sollte auch noch der ihrer Enkel sein. „Aber wir sind erst bös geworden durch die Behandlung.“ Es bedrückt Käte Raiss, die absolut für Gewaltfreiheit ist, dass „wir diesen Negativstempel gekriegt haben“. Und es sei auch kein Wunder gewesen, dass die Leute bösartig wurden. Sie spricht von Einkesselungen, von Reizgasangriffen, Wasserwerfern, Steinwürfen durch die Polizei und davon, dass viele „Zivis“ – Zivilbeamte – unter den Demonstranten waren. Doch Tote hätte es nicht geben dürfen aber auch nicht geben müssen. „Was hatten die Polizisten da zu suchen im Wald? Die sollten die Startbahn bewachen“, sagt Regine Balkmann. Und überhaupt sei nicht geklärt, wer die Polizisten erschossen habe. „Es war dunkel, die hatten keine Helme auf. Die hatten Lederjacken, unsere hatten Lederjacken . . .“

Derzeit sichtet die Küchenbrigade ihre Unterlagen für eine Startbahn-West-Ausstellung im Heimatmuseum von Walldorf. „Wir haben viele Freunde verloren, auch familiär; aber wir haben doppelt so viele Freunde gewonnen, und wir sind ein aktiver Kreis bis heute“, sagt Elfriede Michel. „Wir sind aufgewacht damals, vorher waren wir ja noch so obrigkeitshörig“, sagt Regine Balkmann.

Ein Kaffeekränzchen des Krieges. Diese Frauen haben ihn erlebt: Bomben von oben, Sitzen im Keller. Diese Frauen haben ihn erlebt: den Nahkampf, draußen im Wald. Und ihn wie Regine Balkmann mit Gewitztheit ausgetragen: „Für die Hunde hatt’ ich immer Pfeffer in der Tasche.“

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