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Aufregung made in Limerick

In seinem Bestseller „Die Asche meiner Mutter“ erzählt Frank McCourt von seiner Kindheit im westirischen Limerick. Nun ist der Roman von Alan Parker verfilmt worden. Durch all den Trubel um Buch und Film ist Limerick gespalten in McCourt-Fans und erboste Gegner seines Buches Von Ralf Sotscheck

Mick O’Donnell zieht sich die Tweedmütze tiefer ins Gesicht, fischt eine Zigarette aus der Tasche seines Anoraks, zündet sie an und bläst den Rauch senkrecht nach oben. „Mein Vater hat weder geraucht noch hat er Alkohol getrunken“, sagt er. „Das war der einzige Unterschied zwischen ihm und Frank McCourts Vater. Wir mussten deshalb keinen Hunger leiden.“

Mick O’Donnell ist Ende fünfzig, etwas jünger als Frank McCourt. McCourt, der pensionierte Lehrer, ist inzwischen ein reicher Mann. Für Mick O’Donnell fallen von dem Bucherfolg auch ein paar Pfund ab. Er führt die „McCourties“, die Fans des Schriftstellers, auf dessen Spuren durch Limerick. Sie kommen von weit her, vor allem aus den USA, wohin McCourt im Alter von neunzehn Jahren ausgewandert ist, aber auch aus Japan, wo sie eine McCourt-Website mit Stadtplan von Limerick eingerichtet haben.

Mick O’Donnell hat sich für die Führung fein gemacht, unter dem Anorak trägt er ein weißes Hemd mit Krawatte, an seinem Arm hängt ein eleganter Schirm, denn es regnet oft in Limerick. Das liege am Shannon, dem längsten Fluss der Britischen Inseln, der Verderben bringe, glaubte Frank McCourts Vater Malachy. Nachdem seine Zwillinge an der Schwindsucht gestorben waren, flehte er Gott an: „Du hast dem Fluss befohlen, er soll töten, und der Shannon hat getötet. Könntest Du allmählich mal Gnade walten lassen?“

Der Fluss bringt längst nicht mehr den Tod, heute sind es die kriminellen Banden, die der Stadt den Beinamen „Stab City“, Stadt der Messerstecher, eingebracht hat. Das irische Wirtschaftswunder hat Limerick zu Wohlstand verholfen, der Industriepark am Shannon ist eine Art irisches Silicon Valley. Aber Mick O’Donnell erinnert sich noch genau an das alte Limerick, Frank McCourts Buch kann er aus dem Kopf zitieren.

„Franks Vater Malachy war ein Nichtsnutz“, beginnt er seine Führung, „aber im Buch wird auch deutlich, warum die Kinder ihn liebten. Er hatte Angela geschwängert, eigentlich wollte er ja während der Prohibition nach Kalifornien ziehen, aber vor seiner Abreise ging er in eine Flüsterkneipe und versoff sein ganzes Geld. Er heiratete Angela, und als McCourt später die Heiratsurkunde fand, wähnte er sich als Wunderkind, weil er nur fünf Monate nach der Hochzeit geboren wurde. Angela hielt die Familie zusammen, man sollte sie heilig sprechen.“

Ihre Asche kommt im Buch nicht vor, höchstens die Zigarettenasche der Kettenraucherin. McCourt wollte sein Buch damit enden lassen, wie Angelas Asche auf dem Friedhof von Limerick verstreut wird, aber der Verlag riet ihm, nach seiner Ankunft in Amerika den Schlusspunkt zu setzen. „Den Titel habe ich aber behalten“, sagt McCourt.

In der Windmill Street stand das erste Wohnhaus der McCourts. „Es war mit Flöhen bevölkert“, erzählt O’Donnell, „mitten in der Nacht schleppte Frank mit seinem Vater die Matratze aus dem Haus. Malachy klopfte die Flöhe mit seinem Schuh aus der Matratze, Frank musste sie ertränken, wenn sie herausfielen.“ Das Haus ist längst verschwunden, an seiner Stelle gibt es eine Holzhandlung, Ryan’s Distributors. Rechts stehen noch die zweistöckigen Originalhäuser mit moosbewachsenen Dächern. Der Bayerische Rundfunk habe hier einen Dokumentarfilm gedreht, sagt Mick O’Donnell. „Da haben sie kurzerhand eins der Häuser auf der rechten Seite zum McCourt-Heim erklärt.“

Um die Ecke, ein Stück die Henry Street hoch, liegt die Redemptoristenkirche, ein riesiger Bau aus grauem Naturstein, der von Videokameras überwacht wird. In seinem „Irischen Tagebuch“ schrieb Heinrich Böll über Limerick, es sei die frommste Stadt der Welt. Der katholische Redemptoristenorden hatte dazu entscheidend beigetragen, denn er gründete im 19. Jahrhundert eine Bruderschaft, die das Leben in Limerick noch bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts beherrschte. „Im alten Limerick“, so McCourt, „konntest du keinen Stein werfen, ohne einen Priester zu treffen.“

Im Sommer veranstalteten die Redemptoristen Missionen, erzählt Mick O’Donnell. „Eine Woche waren die Frauen dran, eine Woche die Männer und dann die Jungen. Wir schlichen uns bei den Männern rein. Der Pfarrer hatte eine riesige Kerze angezündet, um den Teufel zu vertreiben. Er hielt sie hoch und fragte die Gemeinde drei Mal: ,Entsagt ihr dem Teufel?‘ Die Männer riefen jedesmal ,Jawohl‘, und beim dritten Mal fügte einer hinzu: ‚Der Wichser!‘ Ich musste lauthals loslachen, und schon bekam ich einen Tritt und landete vor der Tür.“

McCourt schreibt, dass seine Mutter manchmal vor der Tür des Pfarrhauses nach den Resten vom Mittagessen der Priester bettelte, doch Mick O’Donnell meint, es seien niemals Reste verteilt worden, sondern gutes Essen, Eintopf, machmal sogar ein Steak.

Nach dem Tod des zweiten Zwillings zogen die McCourts in die Roden Lane, ganz in die Nähe der Redemptoristenkirche. Die Gasse ist verschwunden, die Hintergärten der angrenzenden Häuser haben sie geschluckt. Aber Lenistons Kneipe am Fuß des Barrack Hill gibt es noch, sie heißt jetzt Charlie Malone’s. Die Gasse am Ende heißt Vizes Court. „Hier hat Parker gedreht“, sagt Mick O’Donnell, der ein paar Drehorte für den Regisseur ausfindig gemacht hat. „Er ließ Matten mit Kopfsteinpflaster auslegen, und so wurde die Gasse zur Rossbrien Street, wo Laman Griffin wohnte, Angelas Cousin, zu dem die Familie ziehen musste, nachdem der Vater nach England getürmt war und die McCourts aus der Roden Lane wegen Mietrückstands hinausflogen.“ Im Dachboden in der Rossbrien Street machten Angela und Laman Griffin „die Aufregung“, wie McCourt es nennt: „Ich weiß Bescheid über die Aufregung, und ich weiß, dass sie eine Sünde ist.“

Diese Beschreibung hat McCourts Gegner besonders geärgert. Ein gewisser Gerard Hannan hat sich die Mühe gemacht, McCourt auf fast vierhundert Seiten zu erwidern. „Er beschreibt seine Mutter als Hure“, so Hannan, „bloß damit sich das Buch besser verkauft.“ Hannan leugnet, dass McCourt eine unglückliche Kindheit hatte, in einer Talkshow sprang er im Publikum auf und beschimpfte ihn als Lügner und Nekrophilen. Hannan ist vierzig, er kennt die Vergangenheit nicht, die er verteidigt. In New York plant ein Kneipier aus Limerick, einen Stapel des McCourt-Buches öffentlich zu verbrennen, weil er mit der Darstellung Limericks nicht einverstanden ist. McCourt entgegnet: „Viele Menschen haben nicht verstanden, dass es kein Buch über Limerick ist, sondern über Armut.“

Es gibt andere, die das Buch am liebsten ungeschrieben machen würden. „Bei der Redemptoristenkirche und bei St. Joseph, wo McCourt seine erste Beichte ablegte, hatten wir keinen Zutritt“, sagte Alan Parker bei der Dubliner Premiere seines Films. „Die Priester gaben uns nicht die Erlaubnis, darin zu filmen – wir durften nicht mal draußen drehen. Die Kirchenführer waren wohl nicht sehr begeistert davon, wie ihre Vorgänger vor fünfzig Jahren in dem Buch dargestellt werden.“ Parker, der für die Rolle des jungen Frank 15.000 Bewerber anhörte und schließlich den Bauernsohn Joe Breen aus Wexford auswählte, musste nach Dublin und Cork ausweichen.

Bei dem Besuch des US-Präsidenten Bill Clinton 1998 in Limerick, so erinnert sich Parker, reagierte die Menschenmenge sehr kühl, als der irische Premierminister Bertie Ahern „Die Asche meiner Mutter“ erwähnte, und so fügte er geschwind hinzu: „Frank, du hast eine Menge Geld mit dem alten Limerick gemacht, aber mir gefällt das neue Limerick besser.“ Aber viele sind froh über den McCourt-Boom. Clinton ging auch zu W. J. South, der Kneipe, in der Frank McCourt sein erstes Guinness trank. Heute hängt über der Theke neben einem Bilderrahmen mit McCourt-Fotos der Zeitungsausschnitt über Clintons Kneipenvisite.

„Die Leute, die man in Limerick trifft“, sagt Mick O’Donnell, „lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Die einen behaupten, dieser neureiche irische Yankee habe die Not seiner Kindheit übertrieben. Die andere Hälfte lebte Tür an Tür mit den McCourts. Ich erzähle bei meinen Führungen lieber die lustigen Geschichten aus dem Buch, wie es auch Alan Parker in seinem Film trotz aller Tragik immer wieder gelingt. Denn sonst gäbe es bei seinem und bei meinem Publikum lange Gesichter.“

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