: Protest von Punk bis Polizist
Seit die NPD-Bundesgeschäftsstelle in Köpenick residiert, ist der Bezirk in Alarmstimmung.Das Bezirksamt hat ein „Bündnis für Toleranz“ ins Leben gerufen ■ Von Andreas Spannbauer
Eine Träne rollt aus dem Augenwinkel. Dann sagt der alte Mann mit leiser, aber fester Stimme: „Ich will das nicht zum zweiten Mal erleben.“ Er spricht vom Terror der Nationalsozialisten, von den drei Jahren Haft, die er im Zuchthaus Cottbus verbracht hat, von seinem Genossen und Freund, dem Arbeitersportler Werner Seelenbinder, den der Volksgerichtshof 1944 zum Tode verurteilte.
Horst, wie sich der 83-Jährige vorstellt, war wie Seelenbinder Ringer und Kommunist. Mit dem Boxen hatte der gelernte Grafiker und Schüler des Künstlers Max Liebermann Anfang der Dreißigerjahre Schluss gemacht, „weil’s gesünder war“. Kurze Zeit später verhafteten ihn die Nationalsozialisten wegen Mitarbeit in einer illegalen Zelle des Kommunistischen Jugendverbandes.
Jetzt kämpft Horst im Bezirk Köpenick ein letztes Mal um das Andenken seines ehemaligen Kampfgefährten Seelenbinder. Denn in der Straße, die in Köpenick nach der Arbeitersportlegende benannt ist, hat sich in den letzten Wochen eine „nationale Weltanschauungspartei“ niedergelassen: die rechtsradikale NPD. „Werner Seelenbinder wird nachträglich geschändet“, sagt Horst bitter. Abfinden will sich der Rentner, der an Prostatakrebs leidet, mit der Anwesenheit der NPD nicht: „Ich kämpfe gegen die Rechten, bis ich vom Pferd falle.“
Der Umzug der NPD-Bundesgeschäftsstelle hat den Bezirk Köpenick in Alarmstimmung versetzt. Im Kampf um die kulturelle Hegemonie haben die Rechten hier längst Punkte gemacht: Kurzgeschorene junge Männer mit dunkelgrünen Bomberjacken und Doc-Martens-Stiefeln sind im Straßenbild keine Seltenheit. Im Imbiss „Rathaus-Blick“ tragen selbst Frauen im fortgeschrittenen Alter noch Tarnfleckkleidung. Jetzt fürchten viele, dass die NPD die bisher unorganisierte gewaltbereite Szene rekrutieren wird. „Übergriffe von Rechten gibt es hier nicht erst, seitdem die NPD da ist“, sagt eine 17-Jährige.
Erste Auswirkungen des Umzuges sind bereits zu verzeichnen. Dirk Retzlaff, Mitarbeiter des Museums „Köpenicker Blutwoche“, registriert eine Zunahme von Schmierereien im Umfeld der Gedenkstätte. „Wir fürchten, dass Aktionen gegen uns zunehmen.“ Das Museum erinnert an die Blutwoche vom Juni 1933. Damals hatte die SA mehrere hundert Menschen aus ihren Wohnungen verschleppt. Ihre Leichen, teilweise in Säcke genäht, wurden noch Wochen später an das Dahme-Ufer gespült. Jetzt leuchten abends gleich um die Ecke die Fahnen der NPD in den Fenstern.
Bei den Anwohnern sorgt die Geschäftsstelle in dem mit Stahltor und Stacheldraht gesicherten Anwesen in der Seelenbinderstraße 42 für gemischte Gefühle. Mancher hat mehr Angst vor antifaschistischen Protesten als vor der NPD. „Wenn Molotowcocktails zwischen links und rechts fliegen, sind unsere Autos und Wohnungen in Gefahr“, sorgt sich ein Bewohner des Nachbarhauses.
Unruhe herrscht auch im Jugendclub „ABC“ am anderen Ende der Straße. Hier beraten an diesem Abend fast 40 Jugendliche und Sozialarbeiter aus dem Bezirk bei heruntergelassenen Jalousien und Neonlicht über Proteste gegen die NPD. Am 18. März will man mit einer „Aktionsdemonstration“ die Köpenicker Bürger gegen die NPD aufbringen.
Ein Ziel, das auch die Köpenicker PDS verfolgt. Fraktionschef Marco Tesch hofft auf einen „breiten Widerstand vom Punk bis zum Polizisten“. Die Bezirksverordnetenversammlung ist gegen die NPD bereits zusammengerückt. Alle Parteien haben in einer Erklärung zur Gründung eines Bündnisses „für Demokratie und Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ unter Schirmherrschaft von Bürgermeister Klaus Ulbricht (SPD) aufgerufen. „Um Ordnung in den Köpfen zu schaffen“, wie SPD-Fraktionschef Klaus Wittig stramm formuliert. Selbst die CDU ist mit von der Partie. CDU-Fraktionschef Ulrich Stahr hält die NPD allerdings für „eine Wahlpartei wie jede andere auch“. Die Forderung nach einer Schließung der Geschäftsstelle hält der CDU-Mann für falsch: „Solange die NPD nicht verboten ist, muss sie auch eine Geschäftsstelle haben können.“
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