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Geht der Fan von der Fahne?

„Scheißmillionäre“, „Söldnertruppe“: Zunehmend gehen in der Bundesliga, besonders in Dortmund, die Fans ins Stadion, um zu schimpfen und das eigene Team zu beleidigen ■ Von Bernd Müllender

Morgen findet im gefürchteten Westfalenstadion die Bundesligapartie Borussia Dortmund gegen 1860 München statt. Gefürchtet allerdings längst nicht mehr bei den Gastmannschaften, sondern bei den so genannten Platzherren, deren Zeiten als Platzhirsche definitiv vorüber sind – wenigstens, bis es ihnen gelingt, ein paar Heimpartien in Folge zu gewinnen. „Die Spieler haben mittlerweile Angst, ins Stadion zu fahren“, weiß Borussia Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc. Recht fassungslos war auch der neue Trainer Bernd Krauss bei seinem Debüt in der eigenen Arena vor zwei Wochen gegen den SSV Ulm. Jubel erwartend, hatte er „Schwachsinn und Parolen“ erlebt. Vielleicht hätte er vorher einfach mal mit Ex-Trainer Michael Skibbe telefonieren sollen.

Dessen Opferung hatte die Gemüter nur kurz beruhigen können. Als ihr Team auch gegen die Ulmer nur auf ein mageres 1:1 zusteuerte, lief die Südtribüne, stets mit fast 15.000 Menschen gefüllt und gemeinhin als sangesfreudigste Fußballoperette der Liga gefeiert, komplett zum Gegner über: Man feuerte gemeinschaftlich die Schwaben an und beschimpfte die eigenen Lieblinge in Chorälen als „Söldnertruppe“ und „Scheißmillionäre“. Und: Es soll sogar, die schlimmste anzunehmende Beleidigung eines Dortmunders, ironisch nach dem verhassten Nachbarn gerufen worden sein: „Wir woll’n die Schalker sehn.“

Die Fußballwelt, auch jenseits des Westfalenstadions, zeigt sich erschrocken. Man redet von Selbstverstümmelung und tiefer Beziehungskrise. Was ist los in deutschen Fußballlanden? Geht der Fan von der Fahne?

Unmutsäußerungen, auch massenhaft, gibt es, seit Bälle rollen können. Meist aber gilt die Wut dem scheinbar verantwortlichen Übungsleiter („Trainer raus!“) oder einzelnen Sündenböcken in einer Mannschaft: Der Duisburger Stefan Emmerling, Schalkes Nico van Kerckhoven oder zeitweilig Andrej Juskowiak in Wolfsburg werden das gern bestätigen. Die ganze Mannschaft zu verhöhnen ist in dieser Schärfe neu. Auch wenn gerade die Dortmund-Anhänger akzeptieren müssen: Sie sind Opfer ihrer eigenen Anspruchshaltung. Zwei Jahre lang (1995 – 1997) hat die Mannschaft bis hin zur Champions League alles gewonnen und zig Millionen verdient. Für teils absurde Millionensummen gab es neues Personal: manchmal Topleute und Stars, aber auch überteuerten Durchschnitt. Die Erwartungen wuchsen ins Unermessliche. Und die Millionäre wurden zu „Scheißmillionären“. Dortmund ist weiter unter den Top Ten: Ob den Fans dilettierende Halbmillionäre wie in Duisburg oder Bielefeld lieber wären?

Dennoch, das Problem liegt tiefer: Fans werden meist nur als Masse wahrgenommen, als Atmosphärenproduzenten, als Stimmungsgaranten und notwendige, aber amorphe Beigabe zum Gesamterlebnis Fußball. Der allgemein übliche Ausdruck Kulisse ist dafür bester Beleg: Der Fan gehört zwar zum Balltritt wie Luft ins Leder, ist aber im Doppelsinn eine Randerscheinung. Er wird erst ernst genommen, wenn er ernsthaft stört. Sonst vielleicht sogar als Mob, als Hooligans oder Gewalttäter abgetan, Proll halt und Pack.

Das Problem ist keines, für das die Fans verantwortlich wären. Denn sie wollen ja nur Leistung, Siege, Unterhaltung für ihr oft schwer verdientes Geld. Solange Fans feiern, werden sie, man lese nur den Montagssportteil aller Zeitungen, in bizarrer Universalität an jedem Liga-Standort als „die besten der Welt“ gefeiert und als unverzichtbar hingestellt. Streng genommen müssten sie dafür Geld verlangen, statt welches zahlen zu müssen.

Überhaupt: der Fan. „Den Fan“ gibt es gar nicht. Wer genau hinguckt, entdeckt so viele verschiedene Fantypen wie Spielertypen. Menschen, die wirklich leiden, wenn sie alle Strapazen auf sich nehmen (etwa einen ganzen Tag zu einem Auswärtsspiel fahren), und dann pennt der schlecht vorbereitete Stopper und versaubeutelt den Sieg. Oder die Intellektuellen, die das Spiel, teils ernst, teils ironisch sezieren bis hin zu taktischen Habilschriften, um dann, nächtelang darüber philosophierend, alles erkenntnistheoretisch wieder zu verwerfen. Nicht zufällig sind die Feuilletons vieler Zeitungen seit einem Vierteljahrhundert voll mit klugen, süffisant-deuterischen Betrachtungen über das Gesamtkunstwerk Fußball als solches. Sie alle lieben das Spiel, das Drumherum, den Prickel. Mehr als die verhassten Modefans, die Sponsorenkarteninhaber, die, gern auch in Dortmund, zu den Spielen hingehen, weil man hingeht.

Die Liga sucht derweil nervös nach Erklärungen und Lösungen. Uli Hoeneß etwa, der Bayern-Manager, sagt, derzeit sei im Fußball „der Hollywood-Effekt weg“, soll heißen: das Anhimmeln der Kicker als Popstars. „Die Konzentration gilt wieder dem Sportlichen, das ist unser Problem.“ Der Sport als Problem des Sports – wer so redet, ist ein viel größeres Problem des Fußballsports als mürrische Stadiongänger. Andere, wie der bigotte DFB-Chef Egidius (Spitzname: „Pater“) Braun, predigen im aktuellen Streit heile Welt und versuchen mit billigen Parolen, die Jüngsten anzufixen und bei der Stange zu halten: „Wir müssen alles dafür tun, dass die Kinder weiter in der Bettwäsche des FC Bayern schlafen.“ Na denn, gute Nacht.

Ach so, und Dortmund? Die stehen vor dem nächsten schweren Auswärtsspiel daheim und suchen einen Sündenbock. Manager Michael Meier sah sogar im Bundespräsidenten Johannes Rau einen Mitschuldigen an der Stimmungsmisere: Dass der, wie zuletzt geschehen, „die Amateure als die echten Wahrer der Moral im Fußball dargestellt hat, nenne ich populistisch.“ Und Dortmunds Spieler Lars Ricken, einst der lockere Teeniestar schlechthin, gab eine Art Erlass in elegantestem Verwaltungsdeutsch zu Protokoll: „Das Problem mit den Fans muss man in erster Linie über die Leistung regeln.“ Fehlte nur noch die Rechtsmittelbelehrung: Auch bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Zuwiderhandlung seitens sog. Scheiß- und Schißmillionäre sind keine weitergehenden Ansprüche ableitbar; gez. Ricken, Amtsassessor im gehob. fantechn. Dienst.

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