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Rechtsextreme sichtbar gemacht

Seit in Elmshorn eine große Allianz antifaschistische Plakate klebt, müssen die BürgerInnen der Kleinstadt Rückgrat beweisen. Trotz rechter Bedrohung wird das linke Bündnis immer breiter  ■ Von Nadia Berr

Und dann endet das Ganze auch noch mit „Hochachtungsvoll“. Oft schon hat Brigitte Fronzek den Bescheid gelesen, mit dem die Kreisverwaltung Pinneberg den Neonazis die Demo-Route bestätigte. Sie kennt jede Formulierung, jedes noch so kleine Detail. Trotzdem sitzt sie davor, als könne sie immer noch nicht glauben, dass Neonazis am 5. Februar durch Elmshorn marschieren durften, genehmigt, von der Polizei vor AntifaschistInnen geschützt. Vergeblich war die Intervention der SPD-Bürgermeisterin beim zuständigen Landrat. Auch dass sie die Anmeldung des Rechtsextremisten Clemens Otto, der diese versehentlich ins Elmshorner Rathaus und damit an die falsche Adresse geschickt hatte, nicht behördenintern weitergeleitet, sondern einfach zurückgesandt hatte, brachte keinen Erfolg. Sie erntete Kritik. Eine Bürgermeisterin, sagt etwa die örtliche CDU, habe neutral zu sein. „Stimmt“, sagt Fronzek und klappt die Akte zu. „Aber ich bin nicht neutral gegenüber Verbrechern.“

Seit Anfang November ist das nachzulesen. Überall in der Stadt steht es geschrieben, in gelben Buchstaben auf poppig-buntem Hintergrund: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Und: „Keine Toleranz für Neonazis in Elmshorn und anderswo“. Es sind nicht – wie zumeist üblich – nur unabhängige Antifa-Gruppen, die auf dem Plakat vor einem neuen Faschismus warnen. Auch Betriebe, Verbände, Gewerkschaften, Schulen und Geschäfte aus Elmshorn haben ihren Namen darunter gesetzt. Initiiert wurde die Kampagne von einem Bündnis „gegen Neonazis. Wir nennen uns bewusst nicht Bündnis gegen Rechts, damit sich die CDU nicht angesprochen fühlt“, sagt Fronzek. 200 Schilder mit Plakaten stellten die InitiatorInnen im Dezember über die Stadt verteilt auf, 500 weitere Ende Januar, als die anderen bereits alle abgerissen oder mit Hakenkreuzen beschmiert wurden.

Ursprünglich sollte das Verkleben des Plakates die Kampagne sein. Das öffentliche Bild sollte nicht von Rechtsextremen, sondern von AntifaschistInnen geprägt werden. Zwei Monate später stellt es sich als Anfang dar, der zahlreiche Folgeaktionen nach sich zieht. Das Signal, dass Neonazis nicht toleriert werden sollen, kam auch bei diesen an. Sie haben reagiert. Seither tauchen Schriftzüge „Juden raus“ in der Stadt auf. Die Gewerkschaft IG Metall hat mittlerweile Plexiglas vor den Fenstern, nachdem die Scheiben mit NPD-Plakaten und Spuckis der Skinheadgruppe „Hamburger Sturm" beklebt worden waren. Das Mahnmal für die Selbstbefreiung Elmshorns vom Hitler-Faschismus 1945 wurde zerstört. Vorige Woche bekamen Mitglieder des „Bündnis gegen Neonazis“ Drohbriefe – an ihre Privatadresse: „Wir kriegen euch alle – Nationaler Widerstand Elmshorn“. Manche BewohnerInnen werfen dem Bündnis vor, mit den Plakaten die Neonazis erst nach Elmshorn gelockt zu haben.

Die Punker stehen neben der Nikolai-Kirche, wo bis vor wenigen Tagen noch die Gedenktafel für die Befreiung vom Faschismus stand. Einer thront auf einer Stufe, die Dose Holsten geöffnet in der linken Hand. Beim Aufmarsch der Nazis Anfang Februar waren auch die Punks unter den GegendemonstrantInnen. Üble Verletzungen haben einige abbekommen. Während das Bündnis, angemeldet vom DGB, in einem anderen Teil der Stadt eine Kundgebung abhielt, hatten andere AntifaschistInnen versucht, sich den Rechten in den Weg zu stellen. Als die Nazis vorbeigezogen waren und endlich die DGB-Demo kam, war diese mit wütendem „Ihr kommt zu spät“ begrüßt worden. Trotzdem findet er das Bündnis „echt okay“, sagt der Wortführer auf der Treppe und nickt anerkennend. „Unseren Kopf hinhalten müssen wir sowieso immer. Und besser die anderen demonstrieren friedlich als gar nicht.“ Er verschränkt die Arme vor der Brust. Ein Schluck Holsten schwappt aufs Pflaster. „Jeder mit seinen Mitteln“. Das findet sein Kumpel auch. Dass sich nun auch „Normalbürger“ gegen die Faschis-ten bekennen, hat ihn beeindruckt. „Jung und alt, alles dabei“, lobt er die große Allianz, die in der Bundesrepublik bislang einmalig ist.

Nur in einzelnen Geschäften in der Einkaufsstraße hängen Plakate an der Wand. Mitglieder des Bündnis hatten im Dezember eine Runde bei den Geschäftsleuten gedreht und sie aufgefordert, sich an der Kampagne zu beteiligen. „Viele haben das Plakat genommen und nie aufgehängt“, weiß eine Gewerkschafterin. In einem Eisladen hätte der Besitzer das Poster sofort in die Tür geklebt. Einen Tag später hing es außen an einer Wand – zwei Meter entfernt.

„Wir hatten es im Fenster, aber schon nach einem Tag hat ein Kind es abgerissen, das ist hier immer so“, sagt die Verkäuferin bei „Steffis Kindermoden“ und krault den Bauch ihres Babys, das vor ihr auf dem Verkaufstresen liegt. In der Boutique nebenan findet eine Angestellte es „nicht so ratsam, die Schaufensterscheiben zu verhängen, dann können die Kunden die Ware nicht mehr sehen“. Der örtliche Kunstverein allerdings macht hübsche Plakate, die hängt sie manchmal auf.

Angst, das Augenmerk von RechtsextremistInnen auf sich zu ziehen, ist in der Stadt aber auch zu vernehmen. Der Besitzer des „Casablanca“ hat das antifaschistische Bekenntnis zwar aufgehängt. In der Kneipe. Draußen aber nicht. Er steht „als Unterzeichner drauf und auch inhaltlich dahinter“, sagt er. Aber dass Nazis ihm die Scheibe einwerfen, will er lieber nicht riskieren, „man muss es ja nicht auf die Spitze treiben“. Die Mitbesitzerin der kleinen Eisdiele in der Einkaufsstraße hält das Poster zum ersten Mal in der Hand. Sie liest es durch. „Oho“, entfährt es ihr: „Das ist ein bisschen gefährlich.“ Ihre Reaktion ist ihr peinlich, schließlich ist auch sie gegen Rechtsextremismus. Sie errötet. „Sie können es trotzdem hier aufhängen“, bietet sie dann an.

Bürgermeisterin Brigitte Fronzek sagt entschlossen, man dürfe sich jetzt nicht einschüchtern lassen. Vielen Menschen sei vorher nicht klar gewesen, wie gewaltbereit Neonazis sind, ihr selber auch nicht. Ob sie die Kampagne mitgestartet hätte, wären die Folgen absehbar gewesen, weiß sie nicht genau, aber die Frage stellt sich ihr heute ohnehin nicht mehr: „Jetzt ist es um so wichtiger weiterzumachen.“ Auch denjenigen zum Trotz, die unken, das Bündnis habe die Nazis erst in die Kleinstadt gelockt. „Die Leute denken, die Gefahr gibt es nicht, weil sie sie nicht sehen“, sagt die Bürgermeisterin. „Wir haben die Neonazis sichtbar gemacht. Dafür waren die Plakate wichtig und richtig.“

Abgesprungen vom Bündnis ist noch niemand. Im Gegenteil: Der Trägerkreis hat sich ausgeweitet. Nachdem die Nazis die ersten Stellschilder zerstört hatten, stellten rund 200 Elmshorner BürgerInnen gemeinsam 500 neue auf, Ende Januar, im strömenden Regen. Der Leiter der Schule Bismarckstraße ermöglichte eine SchülerInnenversammlung zur Unterrichtszeit, in der Bündnis-Mitglieder über neonazistische Strukturen aufklären und zur Gegendemonstration aufrufen konnten. In der Kooperativen Gesamtschule (KGSE) wurden vorigen Montag SchülerInnen von der letzten Stunde freigestellt, um eine Veranstaltung über rechte Musik zu besuchen.

Die junge Punkerin vor der Nikolai-Kirche teilt die Ansicht der Bürgermeisterin, Rechte seien durch die Kampagne lediglich sichtbar gemacht worden: „Natürlich gibt es hier Nazis“, sagt sie. Sie blickt die Einkaufsstraße hinunter. „Wenn ich mir die Ergebnisse der letzten Kommunalwahlen ansehe, weiß ich, dass ich in einem rechten Stadtteil wohne.“

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