: Sozialdemokraten haben Grüne jetzt doch etwas lieb
SPD heimlich enttäuscht über verpasste absolute Mehrheit. Grüne begeistert über den unverdienten Machterhalt, SSW der lachende Fünfte, FPD doch nur traurige Gewinnerin
Die Fönfrisur sitzt perfekt wie immer, der Anzug ist dem eines Staatsmannes in spe angemessen. Nur die Augen von Wolfgang Kubicki, dem FDP-Spitzenkandidaten und Sieger der schleswig-holsteinischen Landtagswahl, verraten, dass irgendetwas nicht stimmt. Sie gucken ins Leere. Denn was nützt das brillante Wahlergebnis, wenn es nur eine Option offen lässt: Opposition. „Ich wünsche der SPD viel Spaß mit diesen Grünen“, ätzt der FDP-Mann.
Denn schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale gestern Abend in Schleswig-Holstein ist klar: Die 2,1 Millionen Wähler im nördlichsten Bundesland haben das rot-grüne Regierungsbündnis bestätigt. Satte 43 Prozent plus x für die SPD und ein sicherer Wiedereinzug der Grünen ins Landesparlament, um den in den vergangenen Wochen selbst Mitglieder der Ökopartei arg bangten – dank Spendenskandal hat es für einen CDU-FDP-Wechsel nicht gereicht.
Am Wahlabend freilich beteuern Sozis wie Grüne, ihr Wahlerfolg sei vor allem auf ihre erfolgreiche Politik zurückzuführen. Und selbst wenn sie die Einzigen sind, die das glauben, was macht das schon, wenn man eine Wahl gewonnen hat? Standing Ovations gibt es für Heide Simonis, als die Ministerpräsidentin, der sie vor Monaten noch „Amtsmüdigkeit“ vorgeworfen hatten, so entspannt lächelnd wie lange nicht vor die Kameras im Kieler Landtag tritt. Die „Landesmutter“ mit der großen Klappe dürfte mit diesem Ergebnis ihre Position auch auf Bundesebene der SPD gefestigt haben.
Die Sozialdemokraten, die ihren kleinen Koalitionspartner in der Vergangenheit nie wirklich mochten, ließen sich gestern Abend sogar dazu hinreißen, bei der Verkündung der grünen Wahlergebnisse zu applaudieren. SPD-Finanz- und Energieminister Claus Möller verkündete fröhlich, er sei „sehr zufrieden“ und wolle „die erfolgreiche Regierungspolitik“ mit den Grünen fortsetzen.
Noch besser aber war die Stimmung im Erdgeschoss bei den Kieler Grünen. Umweltminister Rainder Steenblock, der wahrlich keine Frohnatur ist und dem seit der Havarie der Pallas vor der Nordseeinsel Amrum jegliche Freude an der Politik vergangen schien, strahlte, als habe er gerade einen Sechser im Lotto gezogen. Eine „Bestätigung der vernünftigen Regierungszusammenarbeit“ will er erkennen. Vergessen die Zeiten, da Simonis ihren Minister im Streit um Ostseeautobahn, Naturschutzgebiete und Ölkatastrophen vor laufenden Kameras fertig machte.
„Ich bin aus vollem Herzen zufrieden“, ruft Antje Radcke, die Bundesvorstandssprecherin, „dieses Ergebnis übertrifft alle Erwartungen.“ Erleichterung auch bei der Bundestagsabgeordneten Angelika Beer: „Wir sind wieder drin!“ Das Ergebnis sei auch „als Stärkung für die Bundesregierung“ zu verstehen. Die Grünen dürften ihren Wiedereinzug den vielen Zweitstimmen verdanken, die gestern erstmalig bei einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein abgegeben werden konnten.
Von dieser Neuerung profitierte auch der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Die Partei der dänischen Minderheit, die nicht an die Fünfprozentklausel gebunden ist, konnte ihr Wahlergebnis mit rund 4 Prozent gegenüber 1996 fast verdoppeln.
Heike Haarhoff, Kiel
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