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Der homosexuelle Mann ... ■ Von Elmar Kraushaar
... spricht ungern über sich selbst. Geradezu hartnäckig kann er seine Natur verschweigen, wenn es ihm opportun erscheint. Die große Familie der enthusiastischen Freunde des „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ beispielsweise – alle, die ihr angehören, sind verschlossen und verzaubert. Sind wir darüber verwundert? Nicht wirklich, denn welches gestandene Mannsbild heterosexueller Neigung würde sich für das Kleid interessieren – schwarze Punkte auf weißem Grund oder weiß auf schwarz? –, das Nicole 1982 bei ihrem Friedenszug in Harrogate trug oder wie die schwedische Moderatorin Lill Lindfors ihre Conférence beim Wettbewerb 1985 auf der Scandinavium-Bühne von Göteborg anlegte? Der wirklich gebildete homosexuelle Mann weiß das. Und – das ist in Anbetracht des Gegenstandes wirklich verständlich – will nicht dabei erwischt werden. Mit solchem Wissen, ganz überflüssig auf den ersten und auf den zweiten Blick, macht man schließlich gar nichts her beim Kantinenplausch am Arbeitsplatz.
Geradezu verbissen vertuschen also die organisierten GP-Fans ihre wahre Geschlechtszugehörigkeit. Und spricht die eine oder andere Zeitung das aus, was auf den allerersten Blick nun wirklich nicht zu verheimlichen ist, hagelt es empörte Protestbriefe von den Verbänden und heftige Distanzierungsversuche. Die Fanzines der GP-Clubs – die subversivsten Homo-Blätter überhaupt – würden nie auch nur die Adjektive „schwul“ oder „homosexuell“ zwischen ihre hochmusikalischen Zeilen bringen. Zwar denken sie sich nichts dabei – wie in der jüngsten Ausgabe von T.O.M, der Hauspostille des „OGAE Germany“ – nach Freiwilligen zu suchen, die beim nächsten Vereinsball Margot Hielscher oder das Mädeltrio Silver Convention „imitieren“. Aber unerkannt bleiben möchten sie schon dabei.
Bei so viel Diskretion traut sich nur die Wissenschaft, die wahren Hintergründe und Zusammenhänge zu beleuchten. Der Schweizer Medienforscher Heinz Moser hat sich in „Twelve Points – Analyse einer Fankultur“ der drängenden Fragen angenommen und sie in einer grafischen Darstellung vereint. „Schwules Interesse am Grand Prix“, so muss man die Pfeile und Kästchen interpretieren, lässt sich „zu folgenden Merkmalen in Beziehung setzen: zum damit verbundenen Musikgeschmack; zu den Elementen von Glamour und Klatsch; zur Teilnahme an den Endausscheidungen; zu den weiteren sozialen Aktivitäten der Fans (z. B. zu den parodistischen Elementen der Travestieshows); zum Aspekt des Sammelns“.
Stolpert man noch über den Begriff der „Endausscheidung“ in diesem Zusammenhang, bleibt einem die Schadenfreude. Das habt ihr nun davon, ihr nicht-homosexuell-erscheinen-wollenden Fans! Verhackstückt und eingekastelt in hilflos zusammengezimmerten Kategorien werdet ihr eures Geheimnisses beraubt und steht da als sonderliche, aber x-beliebige Männergesellschaft mit parodistischen Elementen und einem Hang zum Klatsch. Doch wissen wir jetzt mehr? Und – um noch einmal auf Nicole und Lill Lindfors zurückzukommen – wollen wir mehr wissen? Das Selbstverständliche lässt sich erst verheimlichen, wenn wir es ausgesprochen haben – in der Endausscheidung sozusagen.
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