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Der cleverste Tag der Weltgeschichte

Schalten und Walten mit dem 29. Februar

Haben Sie heute schon den PC eingeschaltet? Bankauszüge geholt? Mikrowelle benutzt? Vielleicht tun Sie das mal. – Und? Alles okay? Dann wischen Sie sich bitte den Schweiß von der Stirn.

Vielleicht lassen Sie heute auch einfach die Arbeit ruhen, um Schlimmeres zu vermeiden. So empfiehlt es ein Freiburger Software-Haus seinen Kunden für diesen Tag, der nur alle 400 Jahre im Kalender steht. Die Programmierer des Unternehmens hatten nämlich herausgefunden, dass jede Benutzung der Datenbank am 29. 2. 2000 diese für immer vernichten würde.

Das Problem: 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden dauert es in schöner Regelmäßigkeit, bis die Erde einmal ganz um die Sonne gelaufen ist.

Die Lösung: Ein Jahr hat 365 Tage. Ist die Jahreszahl aber durch 4 teilbar, also alle 4 Jahre, anno 88 etwa oder auch 04, sind’s 366 Tage (Ausnahme 1). Wenn die Jahreszahl aber auch durch 100 teilbar ist, z. B. 1700, 1800 oder 1900, fällt der zusätzliche Schalttag weg (Ausnahme 2). Und wenn sich die Jahreszahl glatt durch 400 teilen lässt, also in den Jahren 1600, 2000, 2400 usw., gibt es doch einen Schalttag (Ausnahme 3). Erst nach 3.280 Jahren ist der verbleibende „Überschuss“ von 26 Sekunden im Jahr wieder auf einen Tag angewachsen – und ein zusätzlicher Schalttag fällt aus.

Viele Computer lesen aber bei Jahreszahlen nur die beiden letzten Ziffern. Bei 2000 „denken“ sie fälschlicherweise an 1900 und verzichten gemäß Ausnahme 2 auf den fälligen Schalttag.

Solche Probleme konnte Papst Gregor allerdings nicht vorhersehen, als er vor mehr als 400 Jahren der Christenheit seine dringend benötigte Kalenderreform verkündete. Zusammen mit der Einführung der neuen Schaltregel mussten im Oktober 1582 volle zehn Tage ausfallen, um die Jahresfeste wieder an die Jahreszeiten anzuschließen, woraufhin misstrauische Schäfchen ihrem Papst unterstellten, er hätte ihnen die Tage absichtlich geklaut. Und die evangelischen und orthodoxen Länder ließen sich Jahrhunderte lang Zeit, den neuen Kalender einzuführen.

Der kreative Umgang mit dem Kalender begann aber schon viel früher in Rom, als 154 v. Chr. aus politischen Gründen kurzfristig eine Kalenderreform beschlossen wurde. Die Regierungszeit der demokratisch gewählten Konsuln stimmte nicht mit einem für dringend notwendig erachteten Kriegszug überein. So wurde das Jahr, das bis dahin am 1. März begann, vorzeitig für beendet erklärt. Die neuen Konsuln konnten losziehen, ihre Schlachten gewinnen – und Rom feierte Rom seither im Gedenken an diese frühe „Kalenderreform“ den Jahreswechsel am 1. Januar. In der Folge wurden nach Belieben verkürzte oder verlängerte Jahre gegen größere Summen bestellbar. Erst Julius Cäsar beendete 46 v. Chr. diese hoch entwickelte Spendenpraxis mit der nach ihm benannten julianischen Reform, die einen Schalttag alle 4 Jahre einführte und das Jahr streng an den Sonnenlauf binden sollte.

Trotz vieler Fehler bei der Anwendung der Schaltregel verbreitet sich der julianische Kalender im Westen. Die Jahre wurde allerdings anfangs noch von der Gründung Roms an und später nach der Regierungszeit des Christenverfolgers Diaokletian gezählt.

Die Zählung der Jahreszahlen von Christi Geburt an geht schließlich auf geschichtsbewusste Mönche im sechsten und siebten Jahrhundert zurück, die allerdings zu keinem korrekten Ergebnis kommen konnten, da sowohl die jüdische als auch die römische Verwaltung versäumt hatte, das Ereignis im fernen Palästina festzuhalten. Erst ab dem Jahr 1000 setzt sich allmählich die Datierung „nach bzw. vor Christi Geburt“ im Abendland durch (und interessanterweise auch der von der Kirche als heidnisch bekämpfte Jahreswechsel zum 1. Januar). Dazwischen liegen die sog. dunklen Jahrhunderte des Mittelalters, die nach einer heftig umstrittenen Theorie des Privatgelehrten Heribert Illig auf dem größten Kalenderschwindel der Geschichte beruhen („Das erfundene Mittelalter“ und „Wer hat an der Uhr gedreht?“, erschienen bei Econ).

Wenn Illig Recht hat, und dafür scheint einiges zu sprechen, wurde zuerst in Byzanz die Uhr um fast 300 Jahre vorgedreht, um die Schande zu vertuschen, dass das Kreuz Christi in Jerusalem von Ungläubigen entwendet worden war. Wenig später fand Kaiser Otto III. Gefallen daran, als Endzeitkaiser die Jahrtausendwende mit der Christianisierung Europas abgeschlossen zu haben. Dazu musste er aber die Uhr ebenfalls um 297 Jahre vorstellen. Laut Illig ist demnach auch Karl der Große eine fromme Erfindung des fantasievollen, byzantinisch erzogenen jungen Kaisers – und Papst Gregor hätte 1582 eigentlich 13 Tage ausfallen lassen müssen, wenn das dunkle Mittelalter tatsächlich stattgefunden hat ...

Wir leben also im Jahr 1703, es ist der 1. März, und wenn wir schon nicht alle Kalender einstampfen wollen, sollten wir vielleicht doch der Anregung des Freiburger Unternehmens folgen und in Zukunft den Schalttag alle vier Jahre zum zusätzlichen arbeitsfreien „Kalendertag“ erklären, um in Muse über die Rätsel von Zeit und Ewigkeit nachsinnen zu können. Bernhard Baldas

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