: Hymne an die Freundschaft
Sprachliche Feinheiten, lebendige Charaktere und intelligente Handlungskonstruktionen: George P. Pelecanos’ Washington-Kriminaltrilogie zielt auf Komplexität, nicht Zynismus
Irgendwann Mitte der 90er-Jahre sah es so aus, als sei das Genre des harten amerikanischen Kriminalromans endgültig tot. James Ellroy hatte alles geschrieben, was er zu schreiben hatte. Elmore Leonard schrieb immer nur dasselbe. Wirklich brillante Autoren wie Jerry Oster konnten sich nicht durchsetzen, andere wie James Crumley arbeiteten eher im Untergrund. Erzählerische und stilistische Innovationen wurden nicht mehr erwartet. Dann kam George P. Pelecanos. Der 1957 geborene griechischstämmige Amerikaner aus Washington überraschte mit einigen Romanen um den griechischstämmigen Gelegenheitsdetektiv Nick Stefanos. Endlich war da wieder ein Autor am Werk, der ein Gefühl für sprachliche Feinheiten, lebendige Charaktere und intelligente Handlungskonstruktionen hatte. Vor allem aber sind die Romane von Pelecanos in einem farbig geschilderten Milieu angesiedelt, mit dem die Landschaft des US-Krimis um einen neuen Handlungsort bereichert wurde: Das Washington der südeuropäischen Einwanderer, die eingezwängt zwischen der Erfolgswelt der Wasps und den Gettos der Schwarzen versuchen, sich zu behaupten.
Inzwischen hat Pelecanos sieben Romane veröffentlicht und im letzten Jahr den „Marlowe“ der Raymond-Chandler-Gesellschaft für „The Sweet Forever“, den letzten Roman seiner vier Jahrzehnte umspannenden Washington-Trilogie, bekommen. Zwei Bände dieser Trilogie sind inzwischen auch auf Deutsch erschienen: „The Big Gundown“ („Das große Umlegen“) und soeben „King Suckerman“.
„The Big Gundown“ spielt in den 40er- und 50er-Jahren und erzählt vom Schicksal griechischer Einwanderer in Washington, die sich in der schwierigen Nachkriegszeit als kleine Gewerbetreibende oder proletarische Bohemiens mit der organisierten Kriminalität herumschlagen müssen. Im ersten Teil der Trilogie geht Pelecanos noch etwas zaghaft vor, benutzt Standards der klassischen Gangstergeschichte und bemüht sich um einen knappen, kargen und präzisen Erzählstil à la Dashiell Hammett. Man merkt, dass sich hier ein Talent langsam an sein Thema herantastet.
Mit dem zweiten Teil geht der Autor aufs Ganze. „King Suckerman“ spielt im Jahr 1977 und ist alles andere als ein Mainstream-Thriller, sondern ein Roman über verschiedene Aspekte der Spät-Hippie-Kultur der 70er-Jahre, angefangen bei der Popmusik bis hin zu den legendären Blaxploitation-Filmen. Die Handlung beginnt in einem Drive-in-Kino in North Carolina und setzt sich dann in Washington D. C. fort.
Es dauerte eine Weile, bis man herausfindet, wer die Hauptfiguren sind, denn Pelecanos liebt die Details und schweift gern ab. Aber so nach und nach wird klar, um wen es geht: den schwarzen Inhaber eines Schallplattenladens namens Marcus Clay und seinen griechischen Kumpel Dimitri Karras, zwei gemütliche Typen, die gern mal einen durchziehen. Die beiden geraten in Konflikt mit der Washingtoner Drogenmafia, weil sie nach einer gewonnenen Schlägerei mit einem Dealer unvorsichtigerweise 20.000 Dollar mitgehen lassen.
Für „King Suckerman“ hat Pelecanos' einen eigenwilligen Erzählstil entwickelt, den man als eine Kombination aus Elmore Leonards genialer Alltagsprosa und Chester Himes' Sinn für kriminalistische Absurditäten beschreiben könnte . Er bedient sich des typischen Slangs der 70er-Jahre, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Ist „Das große Umlegen“ noch geprägt vom Optimismus und Überlebenswillen einer Einwanderergeneration, wandelt sich das Weltbild der Protagonisten im zweiten, dem 70er-Jahre-Roman entscheidend: Melancholische Hippies klammern sich an ihre Ideale, während draußen vor der Tür der Kampf zwischen den antagonistischen Subkulturen immer heftiger wird.
Im dritten Teil der Trilogie kann dann das traurige Ende dieser Entwicklung besichtigt werden: Die Hauptstadt der Vereinigten Staaten ist zum Schlachtfeld unkontrollierbarer Drogenbanden geworden. „The Sweet Forever“ ist der melancholische Höhepunkt von Pelecanos' Stadtporträt. Die Handlung spielt an nur drei Tagen im Jahr 1986 und beschreibt dennoch ein ganzes Jahrzehnt.
Ohne konstruiert zu wirken, gelingt Pelecanos eine groß angelegte kühne Romancollage aus vielen gleichzeitig ablaufenden Geschehnissen. Dabei geht's zunächst eigentlich bloß darum, dass ein Möchtegern-Yuppie namens Eddie Golden beobachtet, wie ein Auto explodiert und Geldscheine herumfliegen. Im letzten Moment rettet er einen Sack voll Drogengeld vor dem Verbrennen und haut ab. Und schon beginnt eine hektische Suche nach den schönen Scheinen, an der nicht nur halbdebile Ganglords, bis an die Zähne bewaffnete Kids und korrupte Bullen beteiligt sind, sondern auch zwei alte Bekannte: Marcus Clay und Dimitri Karras.
Bleibt zu hoffen, dass „The Sweet Forever“ auch bald auf Deutsch erscheint, denn mit dem dritten Teil seiner Washington-Trilogie ist George P. Pelecanos ein grandioser Wurf gelungen. Er setzt dem Klischee, harte Krimis müssten immer zynisch sein, ein Ende. Seine Antwort auf den Zusammenbruch der zivilisatorischen Werte ist einfach und sentimental: Er schreibt Hymnen an die Freundschaft. In Zeiten, wo alle institutionalisierten sozialen Zusammenhänge zerfallen, bleibt seinen Helden immerhin die Hoffnung, dass sie sich aufeinander verlassen können. Robert Brack
George P. Pelecanos: „Das große Umlegen“. Aus dem Amerikanischen von Bernd W. Holzrichter, Dumont noir, 453 Seiten, 16,90 DM. „King Suckerman“, aus dem Amerikanischen von Bernd W. Holzrichter, Dumont noir, 327 Seiten, 19,90 DM. „The Sweet Forever“ erschien 1998 im Original bei Little, Brown in New York
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