: Was Gil-Robles in Tschetschenien nicht sieht
International häufen sich die Berichte über Folter und bestialische Misshandlungen
Berlin (taz) – „Das wichtigste Ziel meiner Mission ist es, die Menschenrechte der tschetschenischen Zivilbevölkerung zu schützen“, sagte der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro Gil-Robles am vergangenen Wochenende. An der guten Absicht des spanischen Diplomaten besteht kein Zweifel. Jedoch konnte sich Gil-Robles, der bei seiner gestrigen Tschetschenien-Visite vom russischen Menschenrechtsbeauftragten für die Kaukasusrepublik, Wladimir Kalamanow, begleitet wurde, allenfalls ein geschöntes Bild von der tatsächlichen Situation machen.
So wurden die Fassaden des Gefangenenlagers Tschernokosovo, 50 Kilometer nördlich von Grosny, zwar frisch gestrichen und auch neue Lampen installiert. Dennoch ließ die russische Regierung bis zur letzten Minute die Frage offen, ob sie dem Wunsch Gil-Robles, das Lager zu besuchen, nachkommen wollte.
Und das aus gutem Grund. In den vergangenen Wochen hatten sich Berichte über bestialische Folterungen und Misshandlungen von Häftlingen gehäuft. Vor kanpp zwei Wochen legte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen Bericht über die Ereignisse in Tschernokosovo vor. HRW stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Aussagen von drei Gefangenen, die im Zuge der Massenverhaftungen Mitte Januar in das Lager gebracht worden waren. Erst nachdem ihre Familien horrende Beträge für sie bezahlt hatten, wurden sie drei Wochen später wieder freigelassen.
Die Männer berichten übereinstimmend von schweren Misshandlungen mit Knüppeln und Eisenhammern durch russische Soldaten. Das sei mehrmals am Tag geschehen, die Menschen seien nackt durch Korridore gehetzt und bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt worden. Mehrmals sei in die Zellen Tränengas gesprüht worden. Dort hätten die Gefangenen nackt und mit erhobenen Händen den ganzen Tag stehend ausharren müssen.
Einer der Befragten berichtet von Vergewaltigungen. „Eine Frau schrie entsetzlich“, heißt es in dem Bericht. „Dem Lärm nach zu urteilen wurde uns klar, dass sie mit Knüppeln geschlagen wurde. Das dauerte fünfzehn Minuten. Dann wurde es still, Wir hörten alles, was passierte, konnten aber nichts sehen. Nach kurzer Zeit begriffen wir, dass sie vergewaltigt wurde. Sie bat die Soldaten, das nicht zu tun. Doch die kümmerten sich nicht darum und benutzten schmutzige Worte.“
Den Aussagen zufolge werden auch Männer vergewaltigt. „Sie befahlen einem Mann, aus der Zelle herauszukommen“, wird ein Zeuge zitiert. „Nachdem sie ihn geschlagen hatten, musste er sich ausziehen und irgendwo hinlegen. Wir hörten ihn sagen: ‚Bitte, bitte, nur das nicht‘, hörten wir ihn rufen. Als es geschehen war, sagte er: ‚Ihr habt mich getötet.‘ So etwas passierte mehrmals, auch mit derselben Person. Einem Mann gaben die Russen den Namen Alla. Von jetzt an wirst du Alla sein, eine Frau, sagten sie.“ Der Bericht von HRW deckt sich mit Aussagen, die Zeugen gegenüber Journalisten der französischen Nachrichtenagentur AFP in Inguschetien machten. Zitiert wird unter anderem ein 30-jähriger Tschetschene namens Ruslan, der ebenfalls mehrere Wochen in Tschernokosovo einsaß. Auch er wurde mehrere Male mit Knüppeln und Eisenstangen geschlagen und kann sich auch jetzt, einige Wochen nach seiner Befreiung, kaum bewegen.
„Was in diesen so genannten Filtrationslagern passiert, ist nicht mit Worten zu beschreiben“, sagt Holly Cartner, Direktor der Sektion für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Wir haben es hier mit der gleichen Art von Folter und Misshandlungen zu tun wie während des ersten Tschetschenienkrieges. Angesichts dieser Gräueltaten dürfen die Russen nicht ein zweites Mal ungestraft davonkommen.“ Das dürfte, zumindest vorerst, ein frommer Wunsch bleiben.
bo
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