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Halbe Nachtgestalten

Rasante Berg-und-Tal-Fahrt: Achim Freyer inszeniert „Hamlet“ am Berliner Ensemble

Was für ein Hamlet! Kein ungestümer Rächer. Kein jugendlicher Held. Auch nicht ein gebrochener, zögernder, zweifelnder oder trauriger Held. Fast möchte man sagen, Ottfried Stern ist gar kein Hamlet, besser gesagt: Er ist kein Held. Die großen Monologe, ängstlich und sehnsüchtig um den Tod kreisend, nur so dahingesagt, nahezu unbeteiligt gesprochen.

Dieser Hamlet will erstmal nichts sein, bricht schon in seiner äußerlichen Erscheinung mit der Rollenerwartung, und dann gelingt es ihm doch, uns zu rühren mit seiner versponnenen Traurigkeit, ein großes, dickes Kind, trotz seiner Körperfülle leichtfüßig und wendig, sein Schicksal durchlebend wie einen bösen Traum: „Träumen, ja das ist’s.“ Was für eine Berg-und-Tal-Fahrt, diese Inszenierung, welch ein Auf und Ab von Faszination zu Langeweile, beginnend und endend im Dunkeln der Bühne, die hier nichts mehr ist als die rohe, bloße Haut des realen Gebäudes, graue Mauerschatten werfend auf die Protagonisten, Träumer, Nachtgestalten allesamt.

Achim Freyer interessiert sich nicht für das weit gesponnene Netz aus Handlung und Überlegung, das Shakespeare auswarf und das so vielen Deutungen Raum gibt. Er will den Hamlet pur, bis auf die Knochen reduziert, und da bleibt immer noch genug Stoff für einen Abend: Gattenmord, Vatermord, verbotenes inzestuöses Begehren, der mit Geilheit verbundene Trieb zum Machterhalt, die Vergeltung suchende Selbstgerechtigkeit, Wahnsinn, Tod. Freyers inszenatorischer Blick richtet sich nicht auf die Individuen, sondern auf die Kräfte, die in ihnen wirken. Also setzt er Hamlet mit seinem Feind, dem Vatermörder Claudius, in einen Körper, packt praktischerweise auch die Königinmutter mit der geliebten Ophelia zusammen (Ursula Höpfner). Wie Puppen werden die Schauspieler über die Bühne geführt, gekennzeichnet und voneinander abgehoben durch exakte Körperchoreoraphie und die monströsen Kostüme von Maria-Elena Amos.

Da sind diese puderweißen, strahlenkranzförmigen Haare des alten Polonius, diese brennend roten Kleider, in denen König und Königin schwanken vor Lust, da ist diese schwarzgoldene Krone, wie eine große, obszöne Nachtblüte, die ihren Träger zum König macht, aber was hat er davon? Und gerade wenn dieser Bilderbogen eine archaische Kraft entfaltet und in der Überzeichnung auch eine leichte, wohl tuende Heiterkeit, dann plötzlich dreht der Regisseur seiner eigenen Inszenierung die Luft ab. Mit einem Mal muss die Tragödie Wort für Wort zu Ende gespielt werden, muss Ophelia noch in quälendem Wahnsinn enden, muss Hamlet noch auf dem Friedhof über Totenschädeln räsonieren. Wie soll das funktionieren? Warum fällt Achim Freyer hinter seine eigene Setzung zurück? Warum will er plötzlich seine eigenen Träumer als im Lichte der Vernunft wandelnde Tagesgestalten sehen, die an der blöden Welt irre werden?

Beim freundlichen Schlussapplaus trägt Ottfried Stern noch immer diese Traurigkeit im Gesicht, aber diesmal gehört es nicht zu seiner Rolle. Was für ein Hamlet. Wie schade. Regine Bruckmann

Nächste Vorstellungen: 6. 3., 7. 3. und 27. 3., jeweils ab 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte

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