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Schwerhörige nicht unter sich

■ Eltern kämpfen dagegen, dass Schulen für Schwerhörige und Gehörlose zusammengelegt werden. Schulbehörde: „Nur Vorüberlegungen“

Die Schulbehörde hat einen alten Glaubenskrieg neu entfacht. An der einen Front kämpfen die, die glauben, dass hörgeschädigte Kinder hören und sprechen lernen sollen, unter Einsatz aller technischen Möglichkeiten und mit intensivem Training. Sie schicken ihre Kinder auf die Schwerhörigenschule in Hamm. Die andere Front kämpft für Gebärdensprache und schickt ihre Kinder auf die Samuel-Heini-cke-Schule für Gehörlose in der City. Vielleicht kämpfen sie bald unter einem Dach. Denn weil der Schulleiter der Schwerhörigenschule im Sommer in Pension geht, gibt es Überlegungen, diese Stelle nicht neu zu besetzen und beide Schulen zu einer „Hörgeschädigtenschule“ zusammenzuschließen.

Auf den ersten Blick wirkt das plausibel. Die Gehörlosenschule hat etwa 80 Schüler, mit sinkender Tendenz, denn Hörreste können immer besser ausgenutzt werden, es gibt weniger Gehörlose. Die Schwerhörigenschule besuchen zur Zeit rund 155 Kinder, Tendenz stabil. Ihre Lehrer und Eltern wehren sich heftig gegen die geplante Zusammenlegung. „Mein Sohn ist durch die hörgerichtete Frühförderung gegangen und besucht jetzt die vierte Klasse einer Regelschule“, sagt Vater Thomas Wüppesahl.

Hella Mallet, Leiterin der Frühförderung der Schwerhörigenschule, findet: „Unsere Kinder sollen hören lernen, damit sie in einer hörenden Gesellschaft leben können.“ Kinder, die gebärden, könnten mit ihrer Umwelt nur über einen Dolmetscher kommunizieren. Mallets Angst: „Wenn gebärdende Kinder in unsere Klasse kommen, würden auch die anderen gebärden, statt sprechen zu üben.“

Auch die LehrerInnen müssten dann gebärden, „und das würde den Unterricht verlangsamen und völlig verändern“, fürchtet Mallet. Gebärden mögen für viele gut sein, so die Pädagogin, aber zusammen mit lautsprachlicher Erziehung? Auf keinen Fall. „Es besteht die Gefahr, dass die Kinder ihre Hör- und Sprechfähigkeit wieder verlieren“, glaubt Wüppesahl.

Die Gehörlosenschule wollte dazu gestern noch nichts sagen, und die Schulbehörde beschwichtigt: „Da ist noch nichts entschieden, es gibt lediglich Vorüberlegungen, beide Schulen unter einem organisatorischen Dach zusammenzufassen“, so Sprecherin Uta Köhne.

Mallet hat Zweifel. Es gebe nicht genügend Gehörlose, um sie in eigenen Klassen zu unterrichten. Die Schulkonferenz der Schwerhörigenschule hat sich vorsorglich einstimmig dafür ausgesprochen, als eigenständige Schule mit eigenständiger Schulleitung erhalten zu bleiben.

Und auch das Bundesjugendministerium hat Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD) geschrieben: Es fürchtet um die „bundesweit vorbildliche (Früh-)Förderung von Kindern in der Schwerhörigenschule“ und bittet die „Frau Senatorin“ um eine „kritische Prüfung des geplanten Vorhabens“.

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