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Hochstapeln und tief fühlen

„Die Leute wollen Probleme sehen, mit denen sie sich identifizieren können“: Die einstige DDR-Drehbuchautorin Ingrid Föhr schreibt heute die Geschichten von „Auf alle Fälle Stefanie“. Ein Porträt ■ Von Michaela Vieser

Ingrid Föhr wohnt in einer alten Gründervilla draußen in Pankow. In ihrer Wohnung stehen Möbel aus der Biedermeierzeit; der Kaffeetisch ist gedeckt. Berliner Pfannkuchen und Kaffee. Die Zigarettenschachtel liegt offen auf dem Tisch, ich darf mich bedienen. Irgendwann holt sie ein Flasche Wein.

Frau Föhr ist 62 Jahre alt und schreibt seit zwanzig Jahren Drehbücher. Im Moment für die Serie „Für alle Fälle Stefanie“, die wöchentlich auf Sat.1 zu sehen ist: „Emotionen sind wieder gefragt. Leute wollen nicht mehr Knallerei sehen. Die Leute wollen Probleme, mit denen sie sich identifizieren können, sehen. Die sagen sich dann, das ist mein Thema, das interessiert mich.“

Frau Föhr hat auch zu DDR-Zeiten Drehbücher geschrieben. In Ost-Serien konnte sie nicht so offen über bestimmte menschliche Probleme schreiben. Es war zum Beispiel ein Tabu, über einen Genossen zu schreiben, der fremdgeht. „Obwohl das viele taten, vor allem wenn sie bei der Armee waren“, sagt Frau Föhr. Im Osten erzählte man sich lieber gute Geschichten. Geschichten mit realsozialistisch lösbaren Problemen.

Darum fing Frau Föhr an mit Kinderhörspielen. Aber selbst das konnte problematisch werden. Einmal sollte sie ein Theaterstück über einen Riesen schreiben, der von einer jungen Frau überlistet wird. Ihr Dramaturg gab ihr damals den Rat, beim Vertiefen in die Rolle des Riesen sich diesen als das Pentagon vorzustellen, und die junge listige Frau als die DDR. Da lehnte sie ab.

Frau Föhr wuchs auf als Christin in der DDR. Wenn sie erzählt, schwingt immer wieder eine Fürsorglichkeit mit, wie sie bei Großmüttern wie angeboren erscheint. So sieht sie das Böse in der Welt nicht als etwas, das einem in die Wiege gelegt wurde, sondern als ein Ausdruck in Menschen, denen es an Selbstbewusstsein fehlt. Frau Föhr beugt sich über den Tisch und schaut mich an: „Lieblosigkeit ist ein Fluch, der sich fortsetzt.“ Den Satz würde ich gerne in einer Serie hören.

Dann lehnt sie sich wieder zurück und kritisiert die Drehbuchschreiberei, gerade wegen ihrer Aufwälzung von Problemen. Manchmal erhält sie nämlich Anrufe von Fernsehzuschauern, die sich mit einem ihrer dargestellten Probleme identifizieren und dann von Frau Föhr eine weitere Auseinandersetzung erwarten. Auf der persönlichen Ebene. Sie seufzt und trinkt Wein: „Das ist eine große Verantwortung, die ich mir da aufbürde. Es grenzt ja fast an Hochstapelei, wenn ich mich erdreiste, anderen ihre Lebenssituation zu zeigen und zu erwarten, dass diese die dann auch annehmen. Hier sollte die Verantwortung der Autoren einsetzen.“ Dasselbe gilt für Talkshows. Quasi Realo-Serien, die sich Frau Föhr gerne zur Inspiration anschaut, denn „da werden alle Probleme laut ausdiskutiert“.

Gelernt hat sie das Schreiben nie, aber vielleicht half ihr ihre Zeit als Schauspielerin an den großen Bühnen im Osten, sich in Menschen und deren Schicksale zu vertiefen. Die mütterliche Frau Föhr, die da vor mir sitzt, erzählt, wie sie früher auf der Wiese mit ihrer Freundin Maria Stuart spielte. Alleine, ohne Zuschauer, nur wegen der Liebe zur Dramatik. Frau Föhr zeigt mir alte Zeitungen. „Die Schauspielerei verlangt ernsthafte Auseinandersetzung, den Beweis gestaltender Fantasie und eisernen Fleiß“, steht etwa in der Zeit im Bild von 1958 unter einem Bild mit der jungen Ingrid Föhr. Das trifft wohl auch aufs Drehbuchschreiben zu: „Meine Geschichten sind frei erfunden, aber von der eigenen Lebenserfahrung und Motivation steckt viel mit drin.“

Frau Föhr hat ein bewegtes Leben hinter sich. Sie behauptet von sich selbst, von Menschen gelangweilt zu sein, die über das Neue sagen: „Das macht mich kaputt, dem entziehe ich mich.“ Sie will erleben, neugierig sein, denn, und hier zwinkert sie mir zu, „genau die Zeiten, in denen nicht alles so läuft wie normal, machen doch die Intensität des Lebens aus.“

Sie war zweimal verheiratet. Das erste Mal mit einem Krimiautor, ein „hoch sensibler, wahnsinniger Macho“, das zweite Mal mit einem Primgeiger der Ex-DDR, dessen Namen sie nicht verraten will. Er taucht im Gespräch immer als „mein sanfter Geiger“ auf. Sonst erzählt sie viel von ihren vier Kindern und vielen Enkelkindern. Auch die Wand an ihrem Schreibtisch ist voll mit Bildern von den Familienmitgliedern.

Da sitzt sie dann jeden Morgen, trinkt Kaffee, taucht ein in die Welt ihrer Figuren und schreibt. Nachmittags muss sie dann raus in die Welt und Geschichten erleben.

1989 konzipierte Frau Föhr die Serie „Barfuß ins Bett“. Eine der ersten (und letzten) DDR-Serien, in der nicht mehr eine intakte Idealfamilie in einer heilen Welt im Mittelpunkt stand: „Wir haben damals gemerkt, dass sich was ändert. Ein paar Jahre früher wäre so eine Serie unvorstellbar gewesen. Dabei sind menschliche Probleme nicht einfach nur abhängig von der Gesellschaftsordnung.“

Dann spricht sie von der Angst. Wie sie als zwölfjährige ein Gedicht schrieb. „... Keiner sagt dem Kind, dass die Angst mit ihm alt werden wird.“ Als sie das vorliest, nickt sie mit dem Kopf. „Das ist wirklich so, das sagt dir keiner.“

Mittlerweile haben wir die Flasche Wein leer getrunken, und wir reden einfach so noch ein bisschen. Über Männer und Liebe und die großen Gefühle. Mir kommt mein eigenes Leben wie ein Drehbuch vor, und ich wundere mich, ob etwas von dem, was ich Frau Föhr erzähle, demnächst in einer Folge von „Für alle Fälle Stefanie“ auftaucht.

„Eigentlich gibt es auf der ganzen Welt nur drei verschiedene Geschichten, die aber verschieden umgesetzt und erzählt, immer wieder aufs Neue Spannung aufkommen lassen“, habe ich mal in einem Buch übers Drehbuchschreiben gelesen.

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