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Wege der Verheißung

■ Das jüdische Erbe, der Wille zur Moderne: Zum 100. Geburtstag Kurt Weills

Anders als Bertolt Brecht mied Kurt Weill tongetreue Choralzitate, er zitierte lediglich den Gestus herbei

„Komm, mach mal Licht“, gurrt die Schlagerstimme, „damit man sehn kann, ob da was ist.“ Ans Licht, das war schon immer der Weg der Verheißung, ganz besonders aber im Berlin der Zwanzigerjahre. Dort steckte, wie so viele, auch ein mitunter melancholisch gestimmter junger Mann aus Dessau tief im Dschungel der Großstadt und wollte auf dem einen oder anderen Weg zum Lichte empor. 1928, als ihn die „Dreigroschenoper“ schon ziemlich bekannt gemacht hatte, schrieb Kurt Weill einen Werbesong für das Stromversorgungsunternehmen der Stadt: „Berlin im Licht“. Der Zauber sollte dazu dienen, den Glauben der Hauptstädter und ihrer Besucher an eine leuchtende Zukunft zu nähren – nach der Niederlage im Weltkrieg, bei fortdauernder Wirtschaftskrise und politischer Instabilität keine leichte Aufgabe: „Werbung für moderne Technik und in der Tat für die Moderne selbst“. „Berlin im Licht“, und mit ihm seine Künstler. Vor allem aber auch, für Augenblicke, die Vielen, die sonst fast immer im Schatten standen.

Zur Welt kam Kurt Weill am 2. März 1900 als Sohn von Albert und Emma Weill, die aus einem Kantoren- und Rabbinerhaushalt stammte. Der Vater hatte 1893 „Kol Avraham“ veröffentlicht, eine Sammlung von Synagogengesängen; er war in Dessau als Kantor, Organist und Religionslehrer der Jüdischen Gemeinde tätig. Kurts Musikalität entwickelte sich im Dunstkreis der Synagoge, doch geprägt war sie vom Willen, auf der Höhe der Zeit zu sein – einer Zeit, deren Lebensgefühl sich in den Parametern Beschleunigung, Elektrifizierung und Lichtgeschwindigkeit ausdrückte.

In den Pionierjahren des Mediums engagierte sich Weill für eine demokratische Rundfunkkultur, beteiligte sich mit Versuchsstücken an diesem Großversuch der Massenkommunikation. Mit Bertolt Brecht fuhr er in die Schächte des Ruhrgebiets ein und entschloss sich zu Betriebsbesichtigungen, um den Klang der Maschinen zu inhalieren: „Bei Krupp, das war ungemein erfrischend.“ Mit dem Lindbergh-Flug feierte er die Maschine, die ohne Zwischenlandung und von einem einzigen Mann gesteuert den Atlantik überqueren konnte, das entscheidende erste Mal von Amerika in Richtung Europa. Er selbst trat in der Mitte seines relativ kurzen Berufslebens die entscheidende Reise über den Ozean in entgegengesetzter Richtung (und für immer an): von der Alten in die Neue Welt: Die „Majestic“ setzte ihn und seine Frau Lotte Lenya am 10. September 1935 in New York ans rettende Ufer. „Der Künstler Weill, ein Geschenk Deutschlands an Amerika“, schrieb der Biograf Ronald Sanders in einer großzügigen Geste, „hat in mancherlei Hinsicht Grenzen überschritten.“

Doch bei aller Grenzüberschreitung: Weills jüdische Herkunft hat sich durchgängig in seinem Werk niedergeschlagen, das musikalische Erbe des Elternhauses sollte ihn ein Komponistenleben lang begleiten. Früh wurde er vom Vater zur Musik angehalten, und dessen Weg setzte der Sohn zunächst fort. 1915 entstand als eine der ersten Kompositionen ein vierstimmiger Chorsatz zu Emanuel Geibels „Gebet“ und der Hochzeitschor „Mi Addir“. Aber der junge Mann, der sich früh das Herzogliche Hoftheater zur zweiten Heimat kürte, um tief in jene andere Welt einzutauchen, wollte weiter hinaus. Es gelang ihm, unmittelbar nach Kriegsende eine Kantorenstelle in Berlin-Friedenau zu bekommen und sich in der Kompositionsklasse Engelbert Humperdincks einzuschreiben. Im Winter 1921 entstand eine Choralfantasie mit einem herben alten Choraltext: „Herrgott, dein blutig Zuchtruth an allen Enden, / Uns plaget redlich und uns tat schinden.“ Sehr weit ist der Weg nicht vom grausam strafenden Gott dieser Chorkomposition zur Parodie des Jüngsten Gerichts in der Netze- und Luststadt Mahagonny.

Zur herben Klarheit und trüben Radikalität des „Mahagonny“-Songspiels gelangte Weill jedoch auf verschlungenen Pfaden des avancierten Komponierens. Den bekannten Wendepunkt markierte Brecht, der in sein Leben trat – jener Brecht, der den Choral durch die Zone Baals trieb und in Nihilismus schwenkte: „Lobet die Nacht / und die Finsternis, die euch umfangen!“ So steht es geschrieben im „Berliner Requiem“, dessen Titel auf das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms anspielt und sich mit dem Sterben in der Großstadt auseinander setzt; keineswegs hämisch, sondern auf ernüchternd kühle Weise. Mr. Peachum, Generalunternehmer der Bettler in der „Dreigroschenoper“, nimmt religiöse Rhetorik für sein profanes Geschäft auf ziemlich infame Weise in Anspruch. Aus der Selbstverständlichkeit seines Gebrauchs von Losung, Lehrtext und Kirchenlied resultiert der „Morgenchoral“: „Wach auf, du verrotteter Christ! / Mach dich an dein sündiges Leben ...“

Anders als Brecht, der auf bestimmte Bibelstellen oder Gesangbuchverse anspielt, mied Weill tongetreue Choralzitate; er zitierte den Gestus herbei, den er mit schrägen Mitteln ins Groteske hob.

Wie so vieles andere, so nutzte Brecht die Bibel für seine Zwecke – und gerade dieses Buch in besonderem Maße. 1928 von einem Damenmagazin befragt, was den „stärksten Einfluß“ auf sein Werk gehabt habe, antwortete der Dichter: „Sie werden lachen: die Bibel.“ Damals war das Gespann Brecht/Weill wohl eine „vollkommene Einheit“ – die Entzweiung sollte nur zu bald folgen.

Mit dem Januar 1933 änderte sich die Lebens- und Arbeitssituation auch Kurt Weills grundsätzlich. Der Komponist war in Europa unterwegs. Er versuchte vergeblich, in London beruflich Tritt zu fassen, ging wieder zurück nach Paris und dann nach New York, um die von Meyer Weisgall, einem führenden Funktionär der Zionistischen Bewegung bei Max Reinhard, Franz Werfel und ihm in Auftrag gegebene „Eternal Road“ (Der Weg der Verheißung) zu produzieren – ein „Szenisches Oratorium“ zu den Highlights des Alten Testaments von Abraham bis Nebukadnezar. Dem gigantischen Projekt, in das Weill alles einbrachte, was er an musikalischen Mitteln auf der Pfanne hatte, blieb allerdings die erhoffte längerfristige Massenwirkung versagt (und es wird diese auch nachträglich wohl nicht erlangen, trotz der neuerlichen Bemühungen um dieses Werk in Chemnitz).

Freilich bedeutete diese Komposition eine Wiederannäherung an die Religion der Väter, aus deren Regelwerk sich Weill wie viele seiner Altersgenossen weit hinausbewegt hatte. Am Ende setzte er in New York mit „Kiddush“ ein zentrales Stück der Sabbatliturgie, die „Heiligung des Weins“, in Musik; und er bearbeitete die israelische Hymne „Hatikvah“ für Orchester, nachdem er schon „Folksongs of the New Palestine“ arrangiert hatte. Eine Rückkehr nach Berlin oder Dessau stand für ihn nicht zur Debatte. Der Weg der Verheißung hatte neue Ziele gefunden. Frieder Reininghaus

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