: „Man ist dem Text ausgeliefert“
■ Das Panorama hinter dem Nadelöhr: Der Regisseur Romuald Karmakar hat zusammen mit dem Schauspieler Manfred Zapatka eine Himmler-Rede als dreistündigen Monolog rekonstruiert. Statt Betroffenheit und Materialfetischismus wird die Logik der Täter sichtbar
Herr Karmakar, wie kommt man auf die Idee, einen Schauspieler drei Stunden lang eine Rede von Heinrich Himmler vortragen zu lassen?
Romuald Karmakar: Ich beschäftige mich seit ungefähr drei Jahren mit einem neuen Spielfilmprojekt. Da geht es um die Biografie eines SS-Generals, der 1989 in der Bundesrepublik gestorben ist, und der sozusagen der dritte Mann hinter Himmler und Heydrich war. Im Zuge dieser Recherchen bin ich auf Zitate der Rede gestoßen. Ich habe mich dann um den gesamten Text bemüht, der bei den Nürnberger Prozessen als Beweisdokument vorlag. Ich habe auch eine Kopie der Original-Tonaufnahme dieser Rede bekommen. Als dann die Postproduktion meines Spielfilms „Manila“ vorbei war, wollte ich sehr schnell und mit wenig Aufwand einen neuen Film drehen. Einfach mit einer Kamera und Freunden.
Ihr Spielfilm „Der Totmacher“ beruhte ja ebenfalls auf historischen Protokollen. Woher dieses Interesse für geschichtliches Material?
Zunächst mal sind beides unglaublich starke Texte. Dann finde ich es immer interessant, wie die Menschen zu einer bestimmten Zeit reden. „Der Totmacher“ spielte ja 1925. Und Ton im Film ist erst Ende der 20er-Jahre verwendet worden. Es war gar nicht so einfach herauszufinden, wie die Leute damals gesprochen haben. Da gab es zum Beispiel das Lindbergh-Hörspiel von Brecht. Das alles ist aber interessanter für mich als Regisseur als für die Schauspieler, denen ich solche Aufnahmen nie vorspielen würde. Auch Manfred Zapatka hat nie den Original-Himmler-Text gehört.
Wie haben Sie die reduzierte Form des Films erarbeitet?
Da wir kein Geld hatten, mussten wir sehr schnell drehen, genauer: an einem Tag. Dann muss man einen Ort bestimmen. Wir haben zum Beispiel überlegt, ob man das öffentlich macht, in eine Schulaula oder eine Buchhandlung geht und dort die Reaktion der Leute filmt. Das hätte aber zu sehr vom Text selbst abgelenkt. Also entschieden wir uns, in einem Fotostudio zu drehen.
Dann war von vornherein klar, dass man Himmler nicht nachspielen darf. Weil man dann gesagt hätte: „Also der Zapatka hat den Himmler nicht so gut getroffen.“ Oder: „Das war echt beeindruckend, wie Sie den Himmler dargestellt haben.“ Also musste es eine andere Form der Interpretation geben. Die allerdings nicht von Anfang an festgelegt war. Deshalb heißt der Film ja auch „Das Himmler-Projekt“, weil ich einfach sehen wollte, was Zapatka mit dem Text macht.
Dann haben wir uns überlegt, wie der Raum aussehen muss. Was ist ein neutraler Hintergrund? Eben nicht Schwarz, weil es mit einer Aussage belastet ist, sondern Grau. Soll er sitzen oder stehen? Soll er jemanden ansprechen? Dann war klar: Er muss an einem Pult stehen. So kommt man der Form immer näher.
Sie filmen Zapatka immer allein, ohne Gegenschuss.
Zunächst gab es die Überlegung, es nur mit drei Kameras zu machen, einer in der Mittelachse und zwei seitlichen. Dann kam noch eine zweite mittlere Kamera hinzu. Je mehr man sich der gängigen Filmmittel entzieht, desto präziser und genauer muss man werden. Am Ende ist man als Betrachter nur noch dem Schauspieler und dem Text ausgeliefert.
War diese Reduzierung für den Schauspieler manchmal auch ein Problem?
Natürlich ist es schwierig, aber eben auch Teil des Arbeitsprozesses. Ich habe auch während des Drehs immer wieder eingegriffen. Und wir hatten zwei Arbeitscodes. Manchmal habe ich eben „Himmler“ hereingerufen, wenn es sich zu sehr nach Himmler anhörte, oder eben „Trotta“, wenn es zu betroffen wurde. Das waren unsere Extreme.
Interessant ist, dass Sie bei öffentlichen Räumen zuerst an eine Schulaula gedacht haben. Könnten Sie sich vorstellen, dass das „Himmler-Projekt“ auch in Schulen gezeigt wird, um den historischen Dokumenten, die sozusagen „abgesehen“ sind, etwas anderes zur Seite zu stellen?
Nach den Vorstellungen haben mich schon einige Leute angesprochen, die den Film für die politische Bildungsarbeit verwenden wollten. Für mich selbst ist natürlich schwer zu sagen, ob der Film dafür in Frage kommt. Aber wenn ich mir vorstelle, wir hätten uns in meiner eigenen Schulzeit einmal drei Stunden die Himmler-Rede angehört, das hätte damals, glaube ich, schon einen tiefen Eindruck hinterlassen.
In der Auseinandersetzung geht es ja auch darum, dass das Böse in Ihrem Film nicht gebannt ist, sondern dass es sich öffnet. Das Verhältnis zur anderen, historisch belasteten Seite wird ja über Stunden immer unklarer. Deshalb ist diese Rede ein seltsam offenes System von Text.
Durch den Film, der ja ein Interpretament ist, rückt der historische Text ganz nahe. Wahrscheinlich, weil das Medium einem näher liegt, und weil der Schau-spieler einem auch näher liegt. Man kommt auch an Stellen, bei denen man plötzlich das Gefühl hat, einem Vorstandsvorsitzenden gegenüberzusitzen. Man ertappt sich schon dabei, wie man stellenweise zustimmt. Das ist ja das eigentlich Brutale an dem Ganzen.
Und man wird als Betrachter beteiligt. Durch die formalen Reduzierungen hat man einen Zugang, der aus dem unmittelbaren Erleben des Textes kommt.
Man reduziert alles auf ein Nadelöhr, und wenn man da durchguckt, sieht man das ganze Panorama. Es ist zwar nur eine Rede von 800 erhaltenen Tondokumenten, die es im National-Archiv in Washington zum Nationalsozialismus gibt. Aber es ist ein Blick in den inneren Kreis einer Machtelite. Man erhält einen Überblick über die gesamte Lage der Nation und auch Europas. Das Besondere daran ist, dass man mitbekommt, wie die SS fast jeden Bereich des öffentlichen Lebens kontrolliert oder mitbestimmt hat. Auch weil man immer vergisst, dass Himmler ja nicht nur der Reichsführer der SS war, sondern seit 1936 auch Chef der deutschen Polizei, und er war Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums – also für die ganzen Umsiedelungen und die ethnische Neuordnung Europas verantwortlich.
Jetzt kommt „The Last Days“, die Dokumentation von Steven Spielbergs Shoah Foundation, in die Kinos. Da sind die Berichte von Zeitzeugen mit Musik unterlegt, und die Erinnerung ist sozusagen häppchenweise vorgefertigt. Während in „Das Himmler-Projekt“ klar wird, was das Schlagwort Erinnerungsarbeit eigentlich bedeuten kann.
Ich erinnere mich noch daran, als die Fernsehsender und Zeitungen 1985 voll mit Berichten zu „40 Jahre Kriegsende“ waren. Mich hat damals schon gestört, dass das sehr einseitig war. Dass man halt immer wieder die Bilder sieht, die man zu Genüge kennt, und dass keine sichtbaren neuen Aspekte hinzukamen, sondern immer alles auf einer Betroffenheitsbasis stecken blieb. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Aufarbeitung der Opfergeschichte zwar etwas Wichtiges ist, aber für unser Verständnis nicht zufriedenstellend sein kann, weil wir uns mehr mit der Täterseite beschäftigen müssten. Und da gibt es gerade im filmischen Bereich enorme Defizite, was diese Zeit angeht.
Alles Material, das man von damals in der Selbstinszenierung der Macht kennt, sind ja inszenierte Bilder. Und wenn man die im Fernsehen einfach übernimmt bzw. als Realität abbildet, widerspricht dies ja eigentlich dem Bestreben, diese Inszenierung zu verstehen.
Zeitgeschichte wird ja sowieso bereitwillig den Historikern überlassen und den Zeitgeschichtsredaktionen im Fernsehen. Einerseits erfahren wir ja durch die Forschung immer mehr über diese Zeit, und gleichzeitig bemächtigt sich das Fernsehen dieses komplexeren Wissens mit immer einfacheren Mitteln. Weil man denkt, dass alles, was anders dargestellt wird, für eine breite Schicht nicht mehr vermittelbar ist. Das ist auch deshalb interessant, weil das Element des talking head, aus dem „Das Himmler-Projekt“ ja besteht, etwas ist, das im Fernsehen in der Zeitgeschichte überhaupt keine Chance mehr hat. Das heißt, talking heads werden mittlerweile genauso verwendet wie Zitate aus Wochenschauen. Sie werden nicht mehr herangezogen, um Sachverhalte darzustellen, sondern nur um gegenwärtiges Dokumentarmaterial alternativ zum damaligen Dokumentarmaterial zu verwenden. Da werden im Grunde von den Zeitzeugen nur noch Einzeiler verwendet und als Beweise für die eigentlichen Thesen des Films benutzt. Der Kanon heißt: „Bitte nicht zu viel erzählen, wir wissen schon Bescheid.“
Sehen Sie „Das Himmler-Projekt“ auch als eine Reaktion gegen diese Entwicklung?
Ich sehe mich eigentlich nicht in erster Linie als jemand, der Zeitgeschichte transportieren will, sondern als Filmregisseur. Und man kann halt einfach feststellen, dass man bei diesem großen Thema filmisch absolut eingefahren ist und bis auf ganz wenige Ausnahmen überhaupt nicht mehr versucht, Zeitgeschichte darzustellen. Es gibt einen konventionellen Kanon, der akzeptiert wird. Dabei ist doch eigentlich dieses riesige Reservoir an Geschichte, auch an Geschichten, bei denen man einfach beobachten kann, was der Mensch mit dem Menschen macht, eine sehr interessante Herausforderung für die filmische Bearbeitung. „Shoah“ von Claude Lanzman ist eben ein großartiger Film. Die filmischen Mittel, mit denen er arbeitet, machen den Film über das Thema hinaus zu einem richtig großen Ereignis. Ophuls schafft das auch, aber das sind eben ganz wenige Ausnahmen.
Interview: Harald Fricke/ Katja Nicodemus
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