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Pause in Nigerias Spirale der Gewalt

Nach zehntägigen Unruhen mit tausenden Toten suspendiert Nigerias Regierung das von einigen Bundesstaaten beschlossene islamische Recht. Vorher wurde die Verhängung des Kriegsrechts erwogen ■ Von Dominic Johnson

In allerletzter Minute ist Nigerias Regierung unter Präsident Olusegun Obasanjo aktiv geworden, um die bedrohte Einheit des Landes zu wahren. Nach einem Sondertreffen des Präsidenten mit den Gouverneuren der 36 Bundesstaaten wurde am Dienstagabend die Suspendierung des umstrittenen islamischen Rechts (Scharia) bekanntgegeben, das bisher drei nördliche Bundesstaaten eingeführt haben. Die geplante Ausdehnung der Scharia auf weitere Bundesstaaten hatte in der letzten Woche zu den schwersten ethnischen und religiösen Unruhen in Nigeria seit dem Bürgerkrieg vor 30 Jahren geführt.

„Um Normalität wiederzuerlangen und Vertrauen in allen Gemeinschaften zu schaffen, wurde beschlossen und vereinbart, dass wir in Sachen Scharia zum Status quo ante zurückkehren“, sagte Vizepräsident Atiku Abubakar nach dem Treffen in Nigerias Hauptstadt Abuja. Die Regierung, so Atiku weiter, sei „alarmiert und traurig“ über die Gewalt der letzten Tage und rufe alle Nigerianer auf, „das Gesetz nicht in die eigenen Hände zu nehmen und Racheakte zu vermeiden“. Seit Montag letzter Woche, als muslimische Milizen in der nordnigerianischen Stadt Kaduna eine christliche Großdemonstration gegen die Scharia angriffen, sind bei Unruhen in mehreren Landesteilen mehrere tausend Menschen getötet worden.

Zunächst kam es vergangene Woche in Kaduna und Umgebung zu pogromartigen Angriffen auf christliche Minderheiten, vor allem Angehörige des südostnigerianischen Igbo-Volkes. Bei diesen Gewalttaten wurden offiziell über 700, vermutlich aber über 2.000 Menschen getötet. 100.000 Angehörige der Igbo-Minderheit in dieser Gegend sind auf der Flucht. Anfang dieser Woche kam es zu Racheakten im mehrheitlich von Igbos besiedelten Südosten des Landes. Bei Angriffen auf Nordnigerianer wurden dort nach Polizeiangaben über 400 Menschen getötet.

Die Ausdehnung der Gewalt hat in den letzten Tagen Forderungen nach Verhängung des Kriegsrechts laut werden lassen. Der nigerianische Senat beschloss am Dienstag sogar, einem möglichen Antrag von Präsident Obansanjo zur Verhängung eines landesweiten Ausnahmezustands „positive und schnelle Behandlung“ zukommen zu lassen.

Der Beschluss der Regierung, die Scharia vorerst auszusetzen, entspricht den Forderungen, die nigerianische Bürgerrechtsgruppen und christliche Kirchen seit der ersten Scharia-Einführung im Bundesstaat Zamfara im Oktober 1999 immer wieder vergeblich erhoben haben. „Es ist unsere Überzeugung, dass die gegenwärtige Tragödie hätte vermieden werden können, wenn die Regierung unsere Warnungen erhört hätte“, erklärten erst zu Wochenbeginn die katholischen Bischöfe des Landes. „Aber selbst jetzt ist es nicht zu spät für die Regierung, entschlossen zu handeln, um diesen verrückten Wettlauf zum nationalen Selbstmord aufzuhalten.“

Die Suspendierung der Scharia hat nun zumindest kurzfristig zu einer Beruhigung der Lage geführt. Aus dem Südosten Nigerias wurde gestern keine neue Gewalt gemeldet. Offen ist aber, wie die muslimischen Politiker reagieren, die die Scharia-Ausbreitung betrieben und damit die Autorität der Regierung herausforderten.

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