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Mer losse der Michel hier

Gestern stürmten die Hamburger Närrinnen wieder das Rathaus: Traditionell ist das der Auftakt der tollen Tage im Norden  ■ Von Peter Ahrens

Es war wie jedes Jahr – ein herrliches Bild. Als die Frauen gestern wieder das Rathaus stürmten und für einen Tag die Narren und Närrinnen die Herrschaft über die Stadt übernahmen. Traditionell ist in Hamburg im Gegensatz zum Rheinland bekanntlich nicht der Donnerstag, sondern der Freitag vor Rosenmontag der Auftakt der so genannten tollen Tage. Die Hansestadt untermauert damit auch in diesem Jahr ihren Ruf nicht nur als Medienhauptstadt, sondern auch als närrische Metropole.

Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) machte gute Miene zum Närrinnen-Spiel, als ihm gestern nach altem Brauche von den Frauen die Krawatte abgeschnitten wurde. Die karnevalistischen Damen mit der Präsidentin der Kunsthochschule, Adrienne Goehler, an der Spitze – seit Jahren Ehrenmitglied der Hamburger Karnevalsgesellschaft Klimperkasten – stürmten das Senatsgehege, wo sie von ihrer Gesinnungsgenossin, der stellvertetenden Bürgermeisterin Krista Sager (GAL), empfangen wurde. Sager, die sich nach eigenen Angaben während ihrer Zeit als Bundessprecherin in Bonn „zur rheinischen Frohnatur“ entwickelt hat, begrüßte die „Weiberschar“ erstmals mit einem kräftigen „Halau“ – dieser karnevalistische Gruß war im Vorjahr als Sieger aus einer Imagekampagne der Wirtschaftsbehörde unter dem Motto „Närrisches Hamburg: Tor zur Welt und ganz viel Geld“ hervorgegangen. Sagers Initiative ist es auch zu verdanken, das rheinische Bräuche wie die Nubbelverbrennung am Rosendienstag im Norden Einzug gehalten haben.

Bausenator Eugen Wagner (SPD) und sein Kollege aus dem Umweltressort Alexander Porschke (GAL) hatten gestern in weiser Voraussicht den Schlips in der Garderobe gelassen und waren mit modischen Rollkragenpullis erschienen. „Wir lassen uns doch unsere Männlichkeit nicht abschneiden“, sagte Porschke augenzwinkernd. So mussten sich die Frauen vor allem an Runde schadlos halten. Doch der ertrug das alles klaglos. Schließlich hat er die ostfriesische Karnevalstradition (50 Jahre Karnevalsverein Neuschoo „Die lachende Bütt“) mit nach Hamburg gebracht. Runde grinsend zu den versammelten Rathauskorres-pondentInnen: „An den tollen Tagen lasse ich regelmäßig Fünfe gerade sein.“

In diesem Jahr steht die Session, die „fünfte Jahreszeit“, in Hamburg unter dem Slogan „Hummel, Hummel, so viel Rummel“ – vorweg das diesjährige Dreigestirn Henning Voscherau (Prinz), Jan Philipp Reemtsma (Jungfrau), Justus Frantz (Bauer). Dabei werden die Narren und Närinnen auch wieder politisch Farbe bekennen. Im Mittelpunkt dürfte diesmal die Spendenaffäre der CDU stehen. Die Karnevalsvereine, wie der Schnakenbeker Carnevalsverein, die Marner Karnevalsgesellschaft oder der Allgemeine Karnevals-Club (AKC), haben sich wieder viel Originelles einfallen lassen: Auf einem der Wagen steht beispielsweise eine überdimensionale Kohl-Puppe mit einem schwarzen Koffer, auf dem der Zettel steht: Bimbes. „Wir haben lange drüber nachgedacht, wie wir die Affäre karnevalistisch aufbereiten“, ist AKC-Vorsitzender Hein Jessen „richtig stolz“ auf den Einfall. Auf einem anderen Wagen sieht man CDU-Landeschef Dirk Fischer und Fraktionsvorsitzenden Ole von Beust beim Fingerhakeln. Damit soll auf die Rivalität zwischen den beiden prominenten Christdemokraten angespielt werden.

Aber auch Rot-Grün bekommt „sein Fett weg“. So sind populäre Themen wie die Steuerreform und die 630-Mark-Jobs Zielscheibe des Spotts der „Narren“. Motti wie „Ökosteuer – ungeheuer“ oder „630 Mark - wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?“ zählen zu den Highlights des diesjährigen Zuges, der traditionell vom Gänsemarkt über den Jungfernstieg und die Mönckebergstraße nach Dulsberg führt.

Am kommenden Mittwoch, dem so genannten Aschermittwoch, ist dann für die Hamburger Jecken, wie es in dem beliebten Volkslied heißt, „wieder alles vorbei“.

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