CDU: EINE PARTEI HORCHT IN SICH HINEIN UND HÖRT FIESE STIMMEN
: Angie’s Roadshow

So viel Demokratie war in der CDU noch nie. Wichtig ist in der Partei plötzlich nicht mehr, was hinten rauskommt. Ja, fast scheint es so, als interessiere im Moment keinen so richtig, dass überhaupt etwas rauskommt. Hauptsache, es wird diskutiert, etwas ziellos zwar, dafür aber umso engagierter. Für diesen nach 25 Jahren Helmut Kohl ganz ungewöhnlichen Vorgang hat die CDU-Führung eine wirklich putzige Formulierung gefunden: Die Partei horcht in sich hinein. Und was hört sie da?

Offensichtlich fiese Stimmen, die den Spitzenleuten der CDU raten, erst an sich, dann an die Partei und zuletzt an die Politik zu denken. Rühe gegen Merkel, Rüttgers gegen Rühe, Merkel gegen Rüttgers, Biedenkopf gegen keinen und Stoiber gegen alle – eines der ältesten Spiele in der Politik gehört auch in der CDU nach Helmut Kohl zum Standardrepertoire. Gott sei Dank, ist man geneigt zu sagen, vor lauter diffuser Erneuerung wusste man doch schon gar nicht mehr, worauf man sich bei dieser guten alten Partei noch verlassen kann.

Vielleicht liegt ja wirklich in dem Vorgang selbst das Problem. Was soll schon dabei herauskommen, wenn eine Partei in sich hinein horcht? Wie viele Ohren hat sie eigentlich? Und wo ist das Zentrum, dass das, was die Partei hört, geistig verarbeitet? Der basisdemokratische Reflex der CDU, so sympathisch er auf den ersten Blick vielleicht anmutet, weil er, was die Diskussionskultur betrifft, einer toten Partei wenigstens ein bisschen Leben einhaucht – dieser Reflex ist Teil der Krise der CDU.

Die Regionalkonferenzen, auf denen die Partei unentwegt in sich hineinhorcht, sind aus der Not geboren worden. Als Wolfgang Schäuble noch richtiger Parteichef war, wollte er die CDU nach der schmerzhaften Trennung von ihrem Übervater Helmut Kohl durch offene Diskussionen mit sich selbst versöhnen. Jetzt, nach Schäubles eingeleitetem Rücktritt, sind die Regionalkonferenzen Teil des innerparteilichen Machtkampfes. Die Gegner von Angela Merkel verspotten die Veranstaltungsreihe als „Angie’s Roadshow“ und qualifizieren die Zustimmung zur Frau aus dem Osten als emotional ab. Merkel selbst ist als Generalsekretärin bei jeder dieser Konferenzen dabei und besitzt damit gegenüber ihren Mitbewerbern um den Parteivorsitz einen Vorteil. Aber diesen Vorteil genießt sie dadurch, in dem sie ihn nicht nutzt. Sie sitzt auf den Veranstaltungen einfach da, lächelt und – schweigt. Das ist in der Mediengesellschaft von heute nicht das Unsympathischste, und manchmal gewinnt man auf diese Art sogar Machtkämpfe. Aber eine offene Debatte mit Schweigen voranzubringen – das schafft selbst eine Ostfrau nicht, die in einem System groß geworden ist, in dem man mit einer kalkulierten Verweigerung des Gesprächs politischen Wirbel entfachen konnte.

Die Parteibasis spielt dieses Spiel mit. Viele einfache CDU-Mitglieder reden sich zwar – das erinnert ein bisschen an die SED zu Wendezeiten – ihre Wut über die da oben und ihren eigenen Opportunismus von der Seele. Aber in ihrem Jubel über Angela Merkel schwingt schon wieder eine vertraute Sehnsucht nach einem „Übervater“ mit, diesmal nach einem weiblichen Anti-Kohl aus dem Osten.

Angela Merkel verkörpert eine kulturelle Erneuerung der CDU: jung, Frau, Ostdeutsche, Protestantin und im genormten Politikerbetrieb immer noch unkonventionell genug, um als Ausnahme zu gelten. Mit ihr als Vorsitzende wäre die Kohl-Ära wohl endgültig beendet. Das ist nicht das Schlechteste, was der CDU passieren kann. Aber ist es das Beste? Und interessiert das die Parteibasis überhaupt noch? Ein bisschen zu schnell springt sie auf den Merkel-Zug auf, in der Hoffnung, mit der Frau aus dem Osten im Trend der Zeit zu liegen. Die Parteibasis setzt auf Merkels Ausstrahlung – aber sie hat die wahrscheinlich neue CDU-Vorsitzende auf keiner der Regionalkonferenzen auch nur ein einziges Mal danach gefragt, wofür sie überhaupt steht und woran sich die konservative Volkspartei in Zukunft politisch orientieren wird. Weil Fragen an den großen Vorsitzenden schon wieder (oder immer noch?) als Unbotmäßigkeit gelten?

Wer nicht fragt, bleibt dumm, heißt es. Das wollen wir mal für die CDU nicht hoffen. Aber auf eine Frage wird die Partei vorerst keine Antwort bekommen: Kommt die Herausforderung als Parteivorsitzende für Merkel nicht doch zu früh? Ohne dass die Partei das wollte, hat sie durch ihr Verfahren eine neue Chefin gekürt, die noch nicht einmal erklärt hat, dass sie überhaupt antritt. An der Ostfrau als CDU-Vorsitzende kommt die Partei nicht mehr vorbei. Angela Merkel selbst auch nicht. JENS KÖNIG