: Mord im Schatten des Staatsschutzes
Seit gestern stehen in Stockholm drei Neonazis vor Gericht. Sie sollen im vergangenen Jahr einen führenden Gewerkschaftler regelrecht hingerichtet haben. Kurz vor der Tat hatte der schwedische Geheimdienst ihre Überwachung abgebrochen
aus StockholmREINHARD WOLFF
12. Oktober 1999, 20.35 Uhr. Drei Männer verlassen ein Hamburger-Restaurant in Stockholm und fahren in einem Auto davon. Zwei Beamte des schwedischen Verfassungsschutzes (SÄPO) haben sie mehrere Stunden beschattet, doch entschließen sich jetzt, die Überwachung abzubrechen. Sie glauben Hinweise zu haben, dass die Männer die Beschattung entdeckt haben. So die offizielle Erklärung.
22 Minuten später ist ein führendes Mitglied des syndikalistischen Gewerkschaftsbunds tot. Björn Söderberg wird vor seiner Wohnungstür von Kugeln durchsiebt. Die Polizei spricht von einer „regelrechten Hinrichtung“.
Gestern begann vor dem Stockholmer Amtsgericht der Prozess gegen die drei Männer. Alle sind aktive Neonazis. Der Verdacht einer möglichen Verwicklung in ein Bombenattentat auf einen Journalisten, der in der braunen Szene recherchiert hat, hatte die SÄPO veranlasst, die drei schon einige Wochen vor Söderbergs Ermordung zu überwachen. Wären sie am Mordabend dem vor dem McDonald’s geparkten Volvo in den Stockholmer Vorort Sätra gefolgt, hätten die Beamten den Mord vielleicht nicht verhindern, die Täter aber sofort festnehmen können. Nun findet ein auf einen Monat terminierter Strafprozess statt, dessen Ausgang die meisten JuristInnen als völlig ungewiss einstufen.
Gegen die drei Neonazis gibt es nur Indizien. Die einzige Zeugin hat nur zwei Männer nach der Tat weglaufen sehen, identifizieren kann oder will sie keinen. Doch die Indizienkette scheint der Staatsanwaltschaft stark genug zu sein.
Einer der Angeklagten, der 24-jährige Hampus Hellekant, gilt der SÄPO als einer der leitenden Führerpersönlichkeiten. Er war in der „Nationalen Jugend“ aktiv, schrieb Artikel in der rassistischen Framtid und hat ein ausgeprägtes Waffeninteresse.
In seinem Computer fand die Polizei mehrere Gigabyte vollgepfropft mit detaillierten Informationen über hunderte AntifaschistInnen: Namen, Adressen, Fotos, Einzelheiten über familiäre und berufliche Aktivitäten, Artikel und Bilder von antifaschistischen Demonstrationen. „Das kann nicht die Arbeit eines Einzelnen gewesen sein“, sagt Staatsanwältin Eva Finné. Eine 300 Megabyte große Partition der Festplatte haben die Experten noch nicht knacken können. Sie ist mit einem speziellen Programm und Passwort geschützt.
Die Munition, die sowohl am Tatort als auch in Hellekants Wohnung gefunden wurde, ist vom gleichen Typ wie die, welche zur Ermordung eines Jugoslawen 1998 in Stockholm verwendet worden war. Diese Tat galt als Auftragswerk des mittlerweile ermordeten serbischen Kriegsverbrechers Arkan. Eine Spur, bei der die ErmittlerInnen offiziell noch im Dunkeln tappen.
Ein weiterer Angeklagter, Björn Lindberg Hernlund, arbeitete im gleichen Betrieb wie der ermordete Gewerkschaftler. Söderberg hatte den neonazistischen Hintergrund eines anderen Kollegen aufgedeckt, der dabei war, einen Marsch durch die Gewerkschaftsinstutionen zu starten. Mit der Enthüllung hatte Söderberg die Aufmerksamkeit der schwedischen Gewerkschaftsbewegung auf eine neue neonazistische Taktik gelenkt. Nach vorangegangenen Morddrohungen gegen Björn Söderberg, dafür „büßen“ zu müssen, waren die drei jetzt Angeklagten von der SÄPO mehmals in der Nähe von Söderbergs Wohnung beobachtet worden. Am 3. Oktober klingeln sie bei ihm, doch Söderberg ist in England. Drei Tage später registriert die SÄPO, dass Hellekant aus einer Telefonzelle Söderbergs Nummer wählt. Die SÄPO kümmert sich nicht darum und informiert Söderberg nicht über seine Gefährdung. Sechs Tage später öffnet er die Tür, als es klingelt. Wenige Sekunden später ist sein Körper von zehn Schüssen durchsiebt.
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