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Von Mythen benebelt

Über Haschischfresser, Glückseligkeit und Cold Turkey: Neue Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis und die langfristigen Folgen des Konsums. Hasch ist wohl keine „Türöffner“-Droge, aber auch nicht harmloser als das Rauchen von Tabak

von OLE SCHULZ

Die wildesten Legenden halten sich am längsten: Die Gewaltherrschaft der Ismaeliten, eine haschischfressende Sekte im Vorderen Orient des 11. Jahrhunderts, führte die Europäer einst zu dem Glauben, Cannabis mache nicht nur toll, sondern auch aggressiv – die etymologische Verbindung zwischen den Worten Haschisch und „Assassin“ (franz. für Mörder) wird seitdem gerne als Beleg dafür zitiert, dass Kiffen Gewalttaten provoziere.

Mit der medizinischen Erforschung der Rauschdroge und des Heilmittels Cannabis lichtet sich zwar der Dunst der Mythen, die sich um die Pflanze ranken. Aber Vorurteile halten sich eben hartnäckig, und die Cannabis-Gegner wehren sich weiter mit Händen und Füßen gegen eine Freigabe.

In den USA wurde unlängst gar ein neuer Drogentester patentiert, der geringste Mengen Cannabis nachweisen soll: Der Test identifiziert die DNS-Struktur von Cannabis sativa, weshalb theoretisch ein Molekül ausreicht, das beim Hand-Abstrich entdeckt wurde. Grasliebhaber befürchten nun, dass der Gen-Test bei Einstellungsgesprächen obligat gemacht werden könnte.

Dann hätte wohl auch Mo Mowlan ihren Job nicht so ohne weiteres bekommen: Die britische Ministerin Mowlan gestand Anfang des Jahres als erstes Kabinettsmitglied, dass sie das Gesetz gebrochen und Marihuana geraucht hätte. In Deutschland beharrt dagegen ihre Amtskollegin Andrea Fischer darauf, sie habe wie Präsident Clinton einmal an einer Tüte gezogen, aber selbstverständlich nicht inhaliert.

Die Erkenntnisse der Cannabis-Forschung haben immerhin etwas Licht in das Dickicht von Vorurteilen und Verharmlosungen gebracht. 1988 wurde zum Beispiel nachgewiesen, dass THC, die wichtigste psychotrope Substanz der Cannabispflanze, einen Großteil seiner Wirkung über spezifische Rezeptoren auf den Zellen ausübt; dann wurden Stoffe gefunden, sogenannte „Cannabinoide“, die vom Körper selbst produziert werden und THC-ähnliche Effekte an diesen Bindungsstellen entfalten. Das erste aufgespürte Cannabinoid wurde „Anandamid“ getauft – in Anlehnung an das Sanskrit-Wort „Ananda“, das Glückseligkeit bedeutet. Eine natürliche Funktion des Anandamids scheint zu sein, eine zu starke Aktivierung des Dopamin-Neurotransmittersystems zu kontern. Das könnte erklären, warum viele Schizophrene Gras rauchen: Sie versuchen damit, ihr hyperaktives Dopaminsystem zu kompensieren. Nach dem wissenschaftlichen Forschungsstand lässt sich auch der Mythos von der Einstiegsdroge Cannabis kaum mehr halten. Ein von der US-amerikanischen Regierung in Auftrag gegebener Report des Institute of Medicine (IOM) kam jedenfalls vergangenes Jahr zu dem Urteil, dass Marihuana keine „Türöffner“-Droge sei. Zwar seien Kiffer nicht selten – und vor allem als Jugendliche – auch anderen Rauschmitteln gegenüber aufgeschlossen, auf lange Sicht fallen sie sozial aber nicht weiter auf. Andere Untersuchungen haben allerdings bei täglichem und über Jahre chronischem Konsum eine – mindestens psychisch – ähnliche Abhängigkeit wie der von Alkohol festgestellt; nur das vergleichsweise wenige Hascher zu solchen Schwerstabhängigen werden.

Nicht zu unterschätzen sind die gesundheitlichen Folgen, die das Rauchen von Cannabis verursachen kann: Die krebserregenden Effekte beim Rauchen von Marihuana und Tabak sollen nach einer kalifornischen Studie vergleichbar sein, zumal ein Joint meist beides kombiniert enthält. Daher hatte auch das IOM dafür plädiert, nach neuen Möglichkeiten der Cannabis-Einnahme zu suchen. „Wir sehen wenig Zukunft für den Einsatz von gerauchtem Marihuana als Medizin“, so John Benson, Mitautor des IOM-Reports.

Neue Nahrung erhalten hat vor kurzem die Legende vom Gewaltpotenzial der Haschfreunde: Zumindest wenn Langzeitkiffer plötzlich „entziehen“, sollen sie gewalttätig werden, behauptet eine Untersuchung der Harvard Medical School in Boston. 17 Testpersonen – allesamt auf Entzug gesetzte Hardcore-Kiffer – waren dazu mittels eines manipulierten Computerspiels provoziert worden.

Überraschend viele der Cold-Turkey-Patienten begannen bei einer drohenden Niederlage auf Tastatur wie Bildschirm einzuschlagen und laut zu schreien – für die Forscher ein Beweis für aggressive Impulse. Allerdings ist zweifelhaft, ob verbale Ausfälle vor dem PC gleich zu Gewalt in der realen Welt führen. „Ich zögere mit der Folgerung, dass sich dieses Verhalten einfach in physische Gewalt überträgt“, sagt die Psychologin Margaret Haney von der New Yorker Columbia Universität.

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