: Weiber Wirtschaft
Während sich die moderne Reisende dank der touristischen Infrastruktur weltweit holt, was sie braucht, halten andernorts Frauen den Tourismus am Laufen. Die weibliche Seele gehört zum Marketingkonzept
von CHRISTEL BURGHOFFund EDITH KRESTA
Der moderne Tourismus hat der Frau die Küchentür geöffnet und legt ihr die Wunder dieser Erde zu Füßen. Selbst allein reisende Frauen sind inzwischen überall auf der Welt zu Hause. Waren es nicht ohnehin immer die Frauen, die organisierten, planten und ihren Männern die Koffer packten? Heute packt die Frau ihre eigenen Koffer, seine Begleitung ist schön, aber nicht unbedingt nötig. Frauen fahren allein, zu zweit, mit oder ohne Mann, sie buchen bei der Singleagentur oder beim Frauenreiseveranstalter. Sie können wählen zwischen den unterschiedlichsten Angeboten und solchen, die auf sie zugeschnitten sind. Frauen sind ein Marktsegment.
Wellness macht sie vielleicht für ihn, aber am liebsten doch ohne ihn. Auch zum Malen in die Toskana, zum Sprachkurs nach Malta, zum I-Gong-Meister nach Kreta oder zur Begegnung im Harem fahren Frauen alleine. Frauen eignen sich die Welt an: „Vorausgesetzt, frau verfügt über ökonomisches und kulturelles Kapital wie Konto, Bildung und Pass“, schreibt Ina Boesch in einer Studie zu „Frauen im Tourismus“. Und das ist noch das Mindeste, was frau braucht. Sie benötigt auch Mut und den Willen, es zu tun. Denn einerseits gehört Reisen zum Lebensstil der modernen Frau, andererseits belegen Reisehandbücher und Ratgeberliteratur, dass das Ausschweifen in fremde Gefilde doch nicht ganz unproblematisch ist.
Hans Scherer, ein Reisejournalist, äußerte bei einer Sicht der einschlägigen Literatur den Verdacht, dass „verdrängte, dunkle Hausfraueninstinkte“ den Autorinnen die Feder führten. Widmeten sie der kulinarischen Vielfalt doch auffallend viel Raum. Mag sein, dass konventionelles Rollenverständnis immer wieder durchbricht, aber eigentlich geht es in diesem Ratgebermilieu um die Unsicherheit der Frau beim Reisen: Sie ist es nicht gewohnt, für sich selbst initiativ zu sein, sich allein zu orientieren, allein zu reisen schon gar nicht. Reisehandbücher federn die Angst der Frauen ab.
Mühsam ist es, sich allein zurechtzufinden, auch für die Frau mit dickem Bankkonto. „Wohin allein?“, fragte sich stellvertretend für viele Frauen Susi Piroué. Und sie trat in Dialog mit ihrem „Ego“: „Überleg mal“, gibt Ego zu bedenken, „wie viele Jahre hast du überhaupt nicht nachgedacht über mich, hast mich vernachlässigt, regelrecht verkümmern lassen, unlebendig war ich, ganz schrumpelig. Weil du absolut kein Egoist sein wolltest.“ Susi grollt: „Will ich immer noch nicht. Und außerdem hatte ich Wichtigeres im Kopf, Kinder, Mann, Beruf, Freunde . . .“ „Ja“, erwidert Ego, „und ich wäre damals fast im Fundbüro gelandet wie ein unmoderner Regenschirm oder sonst ein ungeliebter Gegenstand. Und jetzt stehst du da und kennst dich selbst am wenigsten. So wenig, dass du dich nicht einmal traust, dir eine Traumreise mit mir zu gönnen.“
In dem Buch „Vom Vergnügen, mit sich selbst zu reisen“ fasst Piroué ihre Zweifel und die Strategien dagegen zusammen. Frauen haben Angst, und diese Angst behindert ihre Autonomie.
Ob Frauen nun real besonderen Gefahren ausgesetzt sind oder nicht, die Angst reist mit. Sie gehört zum konventionellen weiblichen Rollenmuster wie der Hausfrauen- oder der Fürsorgereflex. Es ist die Angst, unvollständig zu sein ohne Mann oder wenigstens die beste Freundin; die Angst, schutz- und hilflos zu sein, die Angst vor aggressiver Anmache jedweder Art; die Angst vor sozialer Stigmatisierung durch das Umfeld, die Angst vor Einsamkeit. Vor allem deshalb sind Frauen schneller bereit als Männer, die pauschalen Angebote der Reiseunternehmen wahrzunehmen. Sie wählen den sicheren und bequemen Weg. Sie wählen die Unselbstständigkeit, die Pauschalreise.
Die Ambivalenz von Angst und vitaler Neugierde, von Frausein und Freisein, strukturiert die Welterfahrung von Frauen. Die Reduktion aufs Frausein unter lustfeindlichen, repressiven Konventionen ließ schon viktorianische Ladys kränkeln – und auf Reisen wieder genesen. Beschränkte sich ihr Wirkungsradius daheim auf die Runde um den Teetisch, so wurden sie unterwegs zu travelling ladies, die es zuweilen zu legendärem Ruf brachten. Litten sie daheim unter Schwindsucht, Anämie und rätselhaftem Siechtum, entwickelten sie unterwegs eine ganz erstaunliche Robustheit.
Ihr Mut (Ida Gräfin Hahn-Hahn, Isabella Bird, Ida Pfeiffer, Alexandra David-Neel und viele andere) führte sie auf Himalajagipfel, in die verbotenen Tempel der Tibeter und hinter die verschlossenen Türen der Harems, sie erfuhren die Unendlichkeit der Wüste, begaben sich auf Tigersafari in Indien und sahen zu ihrem blanken Entsetzen Witwenverbrennungen. Beeindruckende Frauen, leuchtende Beispiele der Eigenwilligkeit. Reisende Amazonen! So jedenfalls wurde sie mit zunehmender Reiselust von Frauen im Nachhinein dargestellt.
Die travelling ladies wurden zu Vorreiterinnen, zum Vorbild der modernen Reisenden. Dabei zeichneten sich diese Damen aus dem Bürgertum häufig durch eine erzkonservative Haltung gegenüber der politischen Frauenbewegung im eigenen Land aus. Aber auch bei der Betrachtung anderer Kulturen schauten sie mit imperialistischem Blick auf den Rest der Welt. Bei aller Weltoffenheit blieben sie ihren Rollen und Weltbildern treu. Niemals gaben sie vor, in eine andere Haut, eine andere Rolle schlüpfen zu können oder zu wollen.
Ganz anders die weiblichen Aufbrüche in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Die neue Reisewelle von Frauen war zumeist in oder am Rande der Alternativbewegung angesiedelt. Es war eine Melange aus naiver Begeisterung für das so genannte Ursprüngliche, Archaische, für fremde Mythen, für Göttinnen, für fremde Weisheiten. Selbstfindung auf Reisen. Diese Frauen gingen mit ihrer ganzen weiblichen Identität auf Reisen.
Wie die Viktorianerinnen, die viel gelesene Reisebücher schrieben und in Gazetten wie der Gartenlaube Berichte aus fernen Ländern veröffentlichten, so machten es auch die frauenbewegten Reisenden der Achtzigerjahre: Frauenbuchreihen erschienen auf dem Markt, die überquollen von Selbstfindungsversuchen auf Reisen und süßlichen Berichten aus anderen Kulturen. Das damalige Lebens- beziehungsweise Reisegefühl spiegelte sich wider in Fantasien wie der „Ode an die Regenwaldfrau“: Dieses Lachen Wahaju / blitzt über alle Götter hinweg / der Papuas und auch der Christen / so rein sind unsere Herzen nicht / so weiß nicht unsere Zähne / schwer hast du zu tragen / an Schulterlast und Tradition / beschämst mich / täglich neu / mit einer Leichtigkeit / unheimlich bist du den Missionaren / ein Geschenk des Himmels / wenn wir von deinem Staunen lernen / und dem Kampf / in unserem Dschungel / brauchen wir solch / sanfte Steinzeitherzen (Anna Würth).
Vom heutigen Standpunkt ist kaum zu unterscheiden, wohin diese Reisen gingen: in fremde Länder oder in die eigenen Traumwelten. Frauen unterwegs: Immer war es ihr Bedürfniss, Freiräume zu erobern, sich frei bewegen zu können. Dass die modernen reisenden Frauen dabei auch ihr Innerstes nach außen kehrten, unterscheidet die beiden Generationen reisender Frauen.
Fließend der Übergang zur postmodernen Reisenden. Sie wagt sich noch mehr aus den touristischen Bahnen heraus. Sie kennt keine Tabus. Ihre Kultur möchte sie am liebsten abstreifen. Sie nimmt sich, was sie braucht, und schlüpft in die Rolle, die sie sich wünscht: ob als Südseeinsulanerin oder als weiße Massai. Sie erfindet sich neu. Eine Vertreterin davon ist sicherlich die Schweizerin Corinne Hofmann, die mit ihrem Buch „Die weiße Massai“ seit Monaten die Bestsellerlisten anführt. Mit einer Handlung, die so schlicht wie abenteuerlich ist: Frau fährt im Urlaub nach Kenia, sieht den Mann ihres Lebens, will ihn und erobert ihn. Für ihren „schönen Massai, ihren Krieger“ gab Corinne Hofmann Freund und eine gesicherte Existenz auf. Sie zog zu ihrem „Halbgott“ in die Steppe und wohnte in einer Kuhfladenhütte. Dort fühlte sie sich endlich zu Hause, angekommen bei sich und dem Mann ihrer Träume. Dank einer intakten touristischen Infrastruktur kommt die moderne Reisende heutzutage problemlos bis ins letzte Wüstendorf.
Der Tourismus hat die fernen Königreiche näher gebracht, die Auswahl an Prinzen erhöht. Frauen begeben sich auf globale Glückssuche und versuchen ihre Lebensentwürfe noch in der hintersten Stohhütte zu realisieren. Hofmanns Massai passt wunderbar in unserer romantisch-verkitschtes Bild der Geschlechterbeziehung. Ihr „schöner Krieger“ ist die ideale Projektionsfläche für die alte Geschichte vom Prinzen. Und so lebte Corinne Hofmann den Exzess europäischer Weiblichkeit in der abgelegensten Steppe.
Wie viele andere auch an den Stränden Jamaikas, Kenias oder Tunesiens. Doch die Erotik der Frauen ist einem romantischen Liebesideal verpflichtet, mag sie, von außen betrachtet, auch in die Nähe eines Sextourismus gerückt werden. Die Lust der Frauen braucht Nähe und Vertrauen. Ihre Sexualität segelt unter romantischer Flagge. Der Südmann, ob Afrikaner, Latino oder Türke, umschwirrt die Nordfrau, gibt ihr das Gefühl strahlender Weiblichkeit und sich selbst das Statussymbol sexueller Freizügigkeit, materieller Vorzüge und vielleicht die Hoffnung auf ein Leben im reicheren Land. Und die Frau spielt bei diesem Spiel mit uralter Rollenverteilung mit.
Die Frau freit, indem sie sich freien lässt. Es sind die Frauen, die allein oder zu zweit reisen, oft frauenbewegte Frauen, die in den Armen des Südmannes dahinschmelzen. Die Urlauberinnen, die sich in Ländern des Südens oder der Dritten Welt auf Liebesaffären einlassen, haben oft studiert und kommen aus der Mittel- oder Oberschicht. Dass die Prinzen sich in der Regel als Frösche entpuppen, tut der Begeisterung nur wenig Abbruch. „Das war einmal etwas anderes“, sagt Hofmann heute, „etwas, was jede gefühlsmäßige Dimension sprengte.“ Auf jeden Fall war es eine Grenzerfahrung auf den Klippen der Seele. Diese Frauen probieren sich aus, ihre Bühne ist der ganze Globus, die unterschiedlichsten Kulturen sind ihre Kulissen. Die vielfache männliche Anerkennung an fremden Gestaden schmeichelt dem Selbstwertgefühl. Bei Bruchlandung ist der Rückflug sicher. Und möglicherweise ein neuer Bestseller.
In Zeiten der Globalisierung holt sich die Frau weltweit, was sie braucht. Sie agiert emanzipiert. Mit sich trägt sie die traditionellen Weiblichkeitsvorstellungen. Doch ihren europäischen Weiblichkeitswahn kann sie in Drittweltländern relativ gefahrlos ausleben, denn sie ist die materiell und statusmäßig Überlegene. So lässt sich selbst an orientalischen Machos unbekümmert naschen.
Die tunesische Putzfrau lernt diesen von einer anderen, gnadenloseren Seite kennen. Eventuell ist er ihr Hotelmanager, und sie steht bei ihm in Lohn und Brot. Er wird sie scheuchen, kommandieren, dominieren. Während die westliche Frau die Freiheit hat, in anderen Gefilden dank Rückflugticket vorübergehend auf konventionelle Weiblichkeitsmuster zu regredieren, hat die Angestellte im Tourismus diese Wahl nicht – sie muss diese Muster leben. Sie muss kochen, putzen, waschen, bedienen, und sie tritt selten in Erscheinung. Sie spielt die Rolle des dienstbaren Geistes, der dem Gast hinterherfegt, der die Betten macht. Diese Frau sollte unsichtbar bleiben und ihre Arbeit im Stillen verrichten, ununterscheidbar, austauschbar, verfügbar, immer hilfsbereit, ansprechbar. In großen Hotelanlagen wuseln Heerscharen dieser dienstbaren Geister auf weißem Marmor. Sie sind die Garanten des Paradiesfeelings, dort, wo die Besucherin Königin ist.
Zwischen der Reisenden, die die touristischen Strukturen für sich nutzt, und der weiblichen Arbeitskraft im Tourismus liegen Welten. Letztere wird gerade wegen der so genannten weiblichen Tugenden zur Idealkraft im Tourismus. Ihre Rolle entspricht im Wesentlichen dem Bild der dienenden Frau, wie es sich hierzulande als Weiblichkeitskonstrukt der bürgerlichen Gesellschaft im Laufe des 19. Jahrhundert herausgebildet hat.
Wie im bürgerlichen Haushalt unter Kaiser Wilhelm soll es auch im Haus Tourismus zugehen. Denn wo Touristen Entspannung suchen und sich vergnügen wollen wie sonst nur in den eigenen vier Wänden, da ist zum Wohlfühlen die Frau gefordert. Auch in ihrer Gastgeberrolle, dem herrschaftlichen Pendant zum dienstbaren Geist. Mütterliche Fürsorge, weibliche Gastfreundschaft, ein herzliches Lächeln zum Empfang sind die Qualitäten, die einer Frau in höheren touristischen Positionen abgefordert werden.
Tourismus enthält, wie die traditionelle Hausfrauenarbeit, Komponenten von Beziehungsarbeit, die auf das Wohlergehen von Menschen zielen und nicht auf Produktionsprozesse. Die reproduktive, regenerative Sphäre, wofür vor allem die touristische Großanlage steht, war schon immer weibliche Domäne. Kein Wunder, dass die Tourismusindustrie mit Vorliebe auf so genannte weibliche Qualitäten setzt und die Frauen darauf reduziert. Die weibliche Seele gehört zum touristischen Marketingkonzept. „Diese Frau kennen wir. Sie ist wunderbar flexibel, mal durchgestylte Reisende, perfekte Silhouette für Bikinimode, mal anmutig lächelnd zum Empfang, in Afrika exotische Früchte anbietend, in der Karibik unweigerlich ein Tablett mit Drinks. Es ist die Trägerin der touristischen Werbung, mit Vorliebe weiblich, Wunschbild oder inkarnierte Gastfreundschaft“, so Christine Plüss und Marianne Frei vom Baseler Studienkreis Tourismus und Entwicklung.
In „Herrliche Aussichten“, ihrer Studie zu Frauenarbeit im Tourismus, analysieren die Schweizerinnen die Hinwendung der Tourismusindustrie zur Frau. These: „Im Tourismus setzt sich die strukturelle Diskriminierung der Frauenarbeit fort.“ Und das heißt: Frauen arbeiten zumeist in untergeordneten Positionen und bei schlechter Bezahlung. Sie besetzen wirtschaftlich ungesicherte Saisonarbeitsplätze ohne große Karriereaussichten, sie leisten so genannte unqualifizierte Arbeit, denn putzen kann schließlich jede.
Dies bestätigt auch eine Untersuchung der UNO zu „Gender und Tourismus – Frauenbeschäftigung und Beteiligung im Tourismus“: „Der Anteil von Frauen am Management ist unakzeptabel niedrig.“ Frauen, heißt es weiter, verdienen mit der gleichen Arbeit weniger als Männer (bis zu 79 Prozent).
Und das, obwohl in der Tourismusindustrie weltweit mehr Frauen beschäftigt sind als in anderen industriellen Bereichen (46 Prozent zu 34 Prozent). In manchen Ländern, so haben die Schweizer Forscherinnen herausgefunden, sind im Tourismussektor bis zu 80 Prozent Frauen beschäftigt. Frauen halten mit ihrer Arbeit die größte Wachstumsindustrie am Laufen. Dabei brechen gerade in Ländern der Dritten Welt neue Industrien wie der Tourismus traditionelle, frauendiskriminierende Strukturen auf. Oft lockert er konventionelle Geschlechterbeziehungen, in denen der Mann dominiert, schafft den Frauen zumindest eine Basis bislang ungekannter ökonomischer Unabhängigkeit, verringert soziale Kontrolle, ermöglicht Kontakte mit Fremden und somit auch eine größere Bewegungsfreiheit der Frau im öffentlichen Raum.
Unter emanzipatorischen Gesichtspunkten ein Riesenfortschritt, der dementsprechend von Männern misstrauisch beäugt wird. In vielen Gesellschaften wirkt dies wie ein Erdrutsch auf bestehende Geschlechterverhältnisse und Familienstrukturen. Die tendenzielle ökonomische Unabhängigkeit der Frau stellt traditionelle Rollenverhältnisse in Frage. Der Geschlechterkampf ist nun auf der Tagesordnung, die Scheidungsraten steigen, im Gegenzug sinkt die Geburtenrate. Tourismus fördert so den Anschluss vieler traditioneller und so genannter unterentwickelter Regionen an die Standards der Ersten Welt.
In anderen Fällen vernichten solche so genannten Modernisierungsprozesse eine erprobte und tragfähige Subsistenzwirtschaft. Wo beispielsweise für den Bau von Golfplätzen in Thailand oder anderswo die bäuerliche Bevölkerung enteignet wird, haben Bäuerinnen oft keine andere Chance mehr, denn als Caddie für reiche Touristen die Schläger über die Greens zu ziehen. Hier werden aus unabhängigen Bäuerinnen schlecht bezahlte Arbeitskräfte. Die Enteignung hat für die Bevölkerung im agrarischen Sektor katastrophale Folgen. Sie wird ihrer Lebensgrundlage beraubt und verarmt. Erst nachfolgenden Generationen gelingt es dann möglicherweise, sich neu zu orientieren und in modernen Wirtschaftsstrukturen Fuß zu fassen.
Der Prozess der weltweiten Modernisierung ist ein Prozess mit weitreichenden Folgen. Er befördert Widersprüche und die Entwicklung von Ungleichzeitigkeiten: Verlust von Autonomie, beklagen die einen, anderen Frauen bringt er neue Spielräume, indem ihnen erstmals finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht wird.
Nur wenigen Frauen, die im Tourismus arbeiten, gelingt dabei wirkliche Autonomie. Sie bewegen sich zumeist im Umfeld „nachhaltiger“ Entwicklungsprozesse. Sie sind Vorreiterinnen und Vorzeigefrauen wie etwa die Organisatorin eines Projekts in Bali, „Sua Bali“. Sie führt, initiiert und leitet die touristische Entwicklung einer Dorfgemeinschaft. Ein Projekt, prämiert vom Studienkreis für Tourismus als Beispiel für nachhaltigen Tourismus. Ein Tropfen auf den heißen Stein, ein kleiner Hoffnungsschimmer für Vertreter eines sozialverträglichen und ökologischen Tourismus, in dem die Dienstleister auch ihre eigenen Herren sind, Akteure eines selbstbestimmten Wandels.
Doch unter den Rahmenbedingungen einer globalen Wirtschaft sind solche Projekte bedroht. Mittelständische Betriebe, erst recht Dorfprojekte wie Sua Bali tun sich schwer, mit den Produkten der touristischen Großindustrie zu konkurrieren. Diese bietet ihre Reisen allemal billiger an. Zum anderen ermöglicht die Liberalisierung des Weltmarkts dem ausländischen Kapital künftig noch größere Freiheiten, in nationale Wirtschaften einzudringen und nach Gutdünken zu wirtschaften. „Während also transnationale Unternehmen viele neue Rechte erhalten, wird die Verfügungsgewalt von nationalen Entscheidungsgremien, Regierungen, politischen Gruppen und Nichtregierungsorganisationen ausgehöhlt. Die Befürchtung liegt auf der Hand, dass lokal erarbeitete und angepasste Kriterien für eine nachhaltige Entwicklung zunehmend übergangen werden“, schreibt Christine Plüss.
Es entsteht eine „transnationale Geografie der Macht“ (Saskia Sassen) mit „neuen strategischen Orten“ (Brigitte Young), an denen die Produktionsfaktoren für den globalen Wettbewerb billig einzukaufen sind.
Was für den globalen Kapitalismus im Allgemeinen gilt, das gilt ganz besonders für die internationale Tourismusindustrie: An allen Gestaden der Welt und in bemerkenswert idyllischen Gegenden wurden und werden Megazentren für jährlich mehrere Millionen Besucher aus dem Boden gestampft. Um uns, den Reichen dieser Welt, umsorgt von weiblicher Dienstleistung, heimelige Gefühle zu vermitteln. Die Chancen für „nachhaltige“ Entwicklungsmodelle stehen schlecht.
Schlechte Chancen also auch für Emanzipationsmodelle im Tourismus. Die Tourismusforscherin Karin Grütter resümiert: „Im Zeitalter der Globalisierung werden die spezifisch westlichen Vorstellungen von Weiblichkeit wieder auf die ‚Natur‘ der Frau zurückgeführt und damit universalisiert.“ Die konventionellen Vorstellungen vom „Frausein“ erleben im touristischen Dienstleistungssektor eine neue Konjunktur. Und das weltweit. Nur die Frau, die reist und bezahlt, die kann „ihr Frausein“ spielerisch erproben.
CHRISTEL BURGHOFF lebt als freie Autorin in Frankfurt am Main. EDITH KRESTA ist Redakteurin für Reise und Interkulturelles in der taz.
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