piwik no script img

Göttermäßig gut eingedeckt

Mit Fliegenpilz-Gebräu in Aphrodites Armen: In der Kneipe „Zaubertrank“ an der Mundsburg treffen sich Hexen, HeidInnen, Mittelalter-Freaks und FreundInnen des Rausches  ■ Von Gernot Knödler

Hans-Georg Schaaf kredenzt Most in Probiergläschen. In einem kleinen Karton stellt er sie auf einen der ungehobelten Biertische in seiner Mittelalter-Kneipe neben den Mundsburg-Hochhäusern. Der Most schmeckt schwer, wie Sherry, ist im Abgang etwas schwach, lässt aber im übrigen eine Streuobstwiese ahnen. Er moussiert kein Stück. Das liege aber bloß daran, dass der Apfelwein vollständig durchgegoren ist, klärt Schaaf den Reporter auf, der später leicht schwankend den „Zaubertrank“ verlassen wird.

Der Wirt ist ein Genussmensch, man sieht es ihm an. Alles an ihm ist rund und weich: der Bauch, der Kopf und die vollen Lippen. „Um es gleich vorweg zu sagen: Ich sehe mich nicht als Priester oder Heiler, sondern als Spezialisten für Rausch – und zwar durchaus für den psychoaktiven und aphrodisierenden Rausch“, erklärt er zur Begrüßung.

Schaafs „Ausschank“ im Winterhuder Weg 110 ist eigentlich nur der Appendix seines eigentlichen Gewerbes: der Herstellung von Säften, Weinen, Essenzen und Met aus fast allem, was jemals zu Saft gepresst und womit jemals ein Getränk gewürzt wurde. Nebenan im Lagerraum stehen große Ballonflaschen mit dunklen Flüssigkeiten in den Regalen. Wein aus Himbeere, Aronien, Honig und Birnen wartet hier auf GenießerInnen. Kleine verzinkte Eimerchen hängen unter den Gummischläuchen, durch die der Wein abgelassen wird. Damit ja kein Tropfen verloren geht. Denn was es bei Hans-Georg Schaaf zu trinken gibt, ist nicht verwässert. „Mich hat immer sehr interessiert, wie man Kopfschmerzen vermeidet“, sagt der Wirt. Der Clou: In den Wein dürfe weder Schwefel noch andere Chemie – und das wiederum setze voraus, dass er nicht mit Wasser gestreckt werde.

Doch beim Wein fängt die Beschäftigung mit dem Rausch erst an, wie eine riesige Übersicht aus angepinnten DIN A 4-Blättern im Lagerraum beweist. Hier hat Schaaf akkurat seine Erfahrungen mit Bier und Met notiert, insbesondere mit den Beimischungen, mit denen diese Gebräue einst im Mittelalter aufgepeppt wurden. Hatten die Brauer damals zu wenig Honig zur Verfügung, um ein zünftig alkoholreiches Getränk zu schaffen, mischten sie Alraune, Stechapfel, Fliegenpilz oder Bilsenkraut dazu, damit die Mischung trotzdem knallte. So kann beispielsweise der Zusatz von Wermut bei leerem Magen wirken wie Marihuana. Er kann aber auch eine Abtreibung auslösen oder Leber und Galle stimulieren. „Hopfen allein ist sexuell destimulierend“, meint Schaaf, „wir müssen uns das nicht antun.“

Da der Wirt für seine Zaubertränke auf die Kenntnisse und Praktiken des Mittelalters zurückgreift, versucht er in seinen Räumen auch Mittelalter-Fans zu sammeln. Da gibt es regelmäßige Bardennächte, Vollmond-Rituale und Gewandungstreffen für Leute, die in ihrer Freizeit Rollenspiele inszenieren oder sich mittelalterlich kleiden. Sie können sich im „Zaubertrank“ über die korrekten Schnittmuster, Waffenführung und Ernährung austauschen. Und an jedem ersten Montag im Monat gibt es den Hexenstammtisch, an dem die Wölwa Sabine Morrison über den altnordischen Glauben Auskunft gibt.

Eigentlich gebe es gar keine Hexen, sagt Morrison, eine schlanke Enddreißigerin mit rot gefärbten Haaren und einer vorkragenden bleichen Stirn. Es habe nur die weisen Frauen gegeben, die Wölwen. Sie benutzten einen langen Stab, aus dessen Name „Hag“ das Wort „Hexe“ entstanden sei.

Morrison gilt als „pragmatisch“. Klar, dass man die alten Feste nicht mehr genau so feiern könne wie zur Wikingerzeit: „Stell' Dich mal hin und schlitz 'nem Ochsen die Adern auf...“ Nein, ihr genügt es völlig, einen Ochsen aus Brot nachzubilden und damit den Ritus zu begehen.

Auf den zotteligen Fellen rund um die ungehobelten Tische sitzt an diesem Abend ein halbes Dutzend Frauen unterschiedlichen Alters und lauscht. „Weihnachten gehört zwischen den 18. und 22. Dezember, nicht auf den 24.“, doziert Morrison. „das Datum wollte die Kirche, um die Leute von ihrer alten Religion wegzukriegen.“ Schaar findet „das Christentum an sich ganz ok., aber nicht, was die Kirche daraus gemacht hat“. Als „Heide“ im strengen Sinn bezeichnet er sich aber auch nicht. Ob der Wirt die Frauen tatsächlich an die 29 nordischen Hauptgötter glauben, oder was ihren Glauben ausmacht, ist nicht klar zu ermitteln. Die Götter seien viel menschlicher als der christliche Gott, findet eine Teilnehmerin. Morrison sagt, Odin, Schöpfergott und Gott der Ekstase, sei wahrscheinlich ein Mensch gewesen, der aus dem Orient zu den Wikingern gekommen sei.

Auf der Liste der Nordgötter, die Wölwa Morrison am Ende verteilt, steht Odin ganz oben. Schaaf kriegt auch eine und Morrison stellt zufrieden fest: „Du bist jetzt auch eingedeckt, göttermäßig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen